ÖPNVWarum Stendals Fast-Ausstieg aus dem Deutschlandticket ein Alarmsignal istvon Lars Frohmüller, MDR SACHSEN-ANHALT
Vor zwei Wochen hatte sich der Landkreis Stendal teilweise aus dem Deutschlandticket zurückgezogen. Am Mittwochabend gab es in einer Sondersitzung des Kreistages die Rolle rückwärts. Doch der Fall Stendal könnte sich wiederholen.
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- Entscheidung für das Deutschlandticket: Trotz angespannter Finanzen entscheidet sich der Kreistag von Stendal für das 49-Euro-Ticket, getrieben von staatlichen Zusicherungen.
- Strukturelle Probleme im ÖPNV: Die Ausrichtung des Öffentlichen Personennahverkehrs im Landkreis Stendal offenbart tiefgreifende Mängel.
- Zukunft des Deutschlandtickets: Trotz vorläufiger Lösung bleibt die Finanzierung des Deutschlandtickets im Landkreis Stendal und anderen Regionen unsicher.
Am Mittwoch gegen 18 Uhr stimmte der Kreistag in Stendal nach einer zweiwöchigen Hängepartie doch noch für das Deutschlandticket. Zusicherungen der Landesregierung über fast 500.000 Euro für den Nahverkehr der Kommunen gaben den Ausschlag. Damit kann Stendal die Lücke von über 40.000 Euro für das Deutschlandticket stopfen.
Seit Jahren bekommen die Landkreise zunehmend mehr Aufgaben durch den Bund übertragen. Und seit Jahren sind im Landkreis Stendal die Kassen leer, für 2022 lag der Fehlbetrag bei 62,4 Millionen Euro. Bis 2030 sollen die Schulden abgebaut werden. Jeder Euro an Mehrausgaben ist für den Landkreis ein Kraftakt.
"Das 49-Euro-Ticket war ein Auslöser. Es hätte aber auch irgendetwas anderes sein können, wo wir sagen – wir leisten jetzt kommunalen Ungehorsam, weil wir es nicht mehr können", sagt Annegret Schwarz (CDU), die Vorsitzende des Kreistages in Stendal. In ihrer Wahrnehmung ist das Deutschlandticket auf dem flachen Land weniger nachgefragt, deswegen fiel es ihrer Fraktion auch leichter, sinnbildlich ein Stoppschild vor den Bus zu stellen.
Ein Ticket ohne Bus
Für dieses Argument kommt sogar aus den Befürworterreihen des Deutschlandtickets indirekt Unterstützung. Katrin Kuhnert, die für die Linke im Kreistag sitzt, sagt: "Wir haben einen ÖPNV im Landkreis Stendal, der völlig an den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger vorbeifährt. Der ÖPNV ist zu 80 bis 85 Prozent auf den Schülerverkehr ausgerichtet, das heißt: Ist keine Schule, fährt kein Bus." Und damit lohnt sich auch für die Gelegenheitsfahrt kein 49-Euro-Ticket, beispielsweise um eine Fahrt zum Supermarkt oder zum Arzt zu realisieren, so Kuhnert.
Juliane Kleemann von der SPD sieht das ähnlich. Sie sagt, in anderen Bundesländern beweise man einen längeren Atem und unterstütze die regionalen Verkehrsanbieter, um das Angebot zu verbessern. "Diese Landkreise sagen, wir müssen es hinkriegen, dass Leute sehen, dass wir das ernst meinen, dass der Bus in ihrem Dorf drei oder vier Mal am Tag fährt. Und wir halten aus, dass wir ein bisschen Minus in der Kasse haben." Nicht nur das Minus in den Kassen treibt die Kommunen um, es steht auch schlecht um die gesamte Substanz.
Burnout der Kommune
Sei es die Unterbringung von Geflüchteten, das Onlinezugangsgesetz oder das Deutschlandticket – die Umsetzung findet immer auf kommunaler Ebene statt. Für Landrat Patrick Puhlmann (SPD) wird das zunehmend schwieriger: "Viel gravierender wird jedoch in den nächsten Jahren der Personalmangel. Wir werden auf Dauer nicht mehr alle Aufgaben in der gewohnten Qualität erfüllen können. Überall finden Sie eine hohe Quote an unbesetzten Stellen. Sie bekommen, selbst wenn Sie wollen, die Leute nicht."
Der Bund und das Land müssten die Kommunen zukünftig besser finanziell ausstatten: "Wenn ihr wollt, dass wir etwas tun in den Kommunen, wenn andere bestellen, dann muss das auch mit den entsprechenden finanziellen Mitteln unterlegt sein. Das ist oft nicht so und geht dann zu Lasten von anderen Aufgaben", so Puhlmann.
Das sehen auch die Stadträte so. Katrin Kuhnert von den Linken sieht die Landtagsabgeordneten in der Pflicht: "Wir haben eine Reihe von Landtagsabgeordneten im Kreistag, und da bleibt bei mir ein Fragezeichen, wie man dort im Landtag die Probleme des Landkreises artikuliert, die sich dann in einen vernünftigen Haushalt niederschlagen."
Zukunft des Deutschlandtickets weiter in Gefahr
Der Landkreis Stendal hat auf seiner Sitzung am Mittwoch die Weichen für das neue Jahr gestellt, doch die Finanzierung hat erneut ein Ablaufdatum. Bis zum Mai sind die Mittel nun bereitgestellt. Danach wird noch einmal neu verhandelt: "Es verschiebt sich nur die Gesamtproblematik. Das Thema kommt zum 1. Mai wieder auf den Tisch. Bis dahin muss eine Lösung für die Finanzierung her", so die Kreistagsvorsitzende Annegret Schwarz. Ansonsten könnte es zum erneuten Ausstieg von Stendal, aber auch anderer Landkreise aus dem Ticket kommen, da ist sich Schwarz sicher.
Der erste Ausstiegsversuch hatte deutschlandweit Aufsehen erregt. Für Puhlmann, den Landrat aus Stendal, ein Signal an die Entscheider im Bund: "Diese breite Berichterstattung führte dazu, genau diese Botschaft zu setzen: Man kann sich nicht etwas ausdenken, was dann Kommunen, die man nicht ordentlich ausstattet, austragen. Weil man hofft, dass die Mitglieder eines Kreistages sich nicht trauen, dagegen zu stimmen. Das Zeichen haben wir gesetzt, dass wir das so nicht hinnehmen."
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MDR (Lars Frohmüller)
Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 21. Dezember 2023 | 14:00 Uhr
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