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Jörg Wrobel in "seiner" Kirche: Der Rentner engagiert sich ehrentamtlich für das Gotteshaus in Osterwohle. Bildrechte: MDR/Carina Emig

Verletzlicher SchatzWie ein Rentner ehrenamtlich jede freie Minute in die Dorfkirche Osterwohle steckt

20. Mai 2024, 11:58 Uhr

Eigentlich könnte Jörg Wrobel seinen Ruhestand entspannt genießen. Stattdessen kümmert sich der 70-Jährige aber voller Leidenschaft um die Kirche seines Heimatdorfes. Doch nicht nur um Holzwürmer sorgt sich Wrobel, sondern auch um Unterstützung.

Der 70-jährige Jörg Wrobel schließt die schwere Eichentür zur Osterwohler Dorfkirche auf. Die zehnköpfige Besuchergruppe, die aus Brandenburg und Niedersachsen angereist ist, kann nicht fassen, was sich im Innern verbirgt. Die überbordende, bis in die kleinste Ecke des Raumes reichende Fülle filigraner Schnitzereien zieht seit Jahrhunderten die Besucher in den Bann. Wrobel kennt jeden Winkel der Kirche, beschäftigt sich seit 25 Jahren intensiv mit der Geschichte. Auf unterhaltsame Weise führt er die Gäste durch das Gotteshaus, sorgt zum Beispiel mit der Anekdote über den schwangeren Mann am Taufbecken für Kurzweil.

Es ist ein überwältigender Kunstschatz, der das Gotteshaus des 100-Einwohner-Dorfes Osterwohle im Nordosten der Altmark ziert. "Ein kirchliches Kleinod von Weltrang" nennt es Steffen Kiesner-Barth, der ein Buch über die Dorfkirche geschrieben hat. Mit jedem Blickwechsel entdeckt das Auge ein neues phantasievolles Motiv und möchte die vielen, mit präziser Detailfreude herausgearbeiteten, Formen erfassen. Von außen eher unscheinbar, überrascht die Kirche im Innern mit ihren überbordenden Holzschnitzereien. Darunter filigrane Engel, fantasievoll gefertigte Gesichter, zierliches Blattwerk.

Dorfkirche Osterwohle: "Weltweit einzigartiges Gotteshaus"

Bis zu 1.000 Besucher jährlich führt Jörg Wrobel durch das, wie er sagt, weltweit einzigartige Gotteshaus. Ihn quält, dass er bislang keinerlei Unterstützung hat: "Was ist, wenn ich mal ausfalle und krank bin? Ich wünschte, die Kirchgemeinde und die Stadt Salzwedel, zu der der Ortsteil Osterwohle gehört, würden einfach mehr an einem Strang ziehen." Nachdem die Besuchergruppe weg ist, befreit Wrobel die große Eichentür vom Spinnendreck. Putzen, kehren, Rasen mähen sind nur drei der vielen Tätigkeiten, die Wrobel ausübt – bislang alles im Ehrenamt.

Jörg Wrobel wurde in Osterwohle geboren, in der Dorfkirche getauft und konfirmiert. Bildrechte: MDR/Carina Emig

Ich bin in Osterwohle geboren, in der Dorfkirche getauft und konfirmiert. Mir ist es wichtig, dass möglichst viele Besucher unser kirchliches Kleinod mit Weltrang sehen und erleben können. Deswegen mache ich so viele Kirchführungen. Aber was ist, wenn ich mal ausfalle?

Jörg Wrobel, pensionierter Rentner

Besonders viel Zeit widmet der pensionierte Gärtner der Holzwurmbekämpfung. Zwar wurde die Kirche seit 1999 mit Geldern der Deutschen Stiftung für Denkmalschutz, von der Stiftung KiBa, dem Bund und dem Land Sachsen-Anhalt umfangreich saniert und restauriert, denn der Zahn der Zeit und Generationen von Holzwürmern hatten an der Osterwohler Dorfkirche genagt, aber nun nehme der Befall wieder deutlich zu. Die Schnitzereien bestehen aus dunklem Eichen- und hellem Lindenholz.

"Zu milde Winter, dafür große Hitze im Sommer: all das lieben die Holzwürmer und macht sie sehr aktiv", berichtet Jörg Wrobel. Vor allem das helle Lindenholz schmecke den Schädlingen leider hervorragend. "Hier waren ganz tolle Restauratoren aus Brandenburg, aber seit nunmehr zwei Jahren kommt keiner mehr." Er sei momentan der Einzige, der Kanzel, Taufbecken und Lettner mit Holzwurmbekämpfungsmitteln einpinsele.

Geschichte der Kirche Osterwohle

Außen Feldstein – innen Barock: Die Feldsteinkirche in Osterwohle stammt in ihrem Ursprung aus dem 13. Jahrhundert. Oleke von Saldern, die Witwe des 1607 verstorbenen Albrechts IV. von der Schulenburg, erteilt zu Beginn des 17. Jahrhunderts den Auftrag für die opulente Innenausstattung. Wann genau das phantastische Schnitzwerk entstand, ist heute nicht mehr bekannt. Lediglich die Kanzel gibt einen Anhaltspunkt, denn sie lässt als einziges Stück die Jahreszahl 1621 erkennen. Oleke von Saldern starb ein Jahr danach.

Was Oleke bewegte, ausgerechnet zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) einen Auftrag dieser Größenordnung zu erteilen, ist unklar. Julia Ricker von der "Deutschen Stiftung für Denkmalschutz" schreibt über Oleke von Saldern: "Ihre Idee zeugt von hoher Bildung, einzigartigem Kunstsinn und guten finanziellen Möglichkeiten." Neben der Umgestaltung des Innenraumes im frühbarocken Stil, wurde an der Westseite der Kirche ein Treppenturm angebaut und ein barocker Turm ins Dach integriert.

Immer wieder führt Jörg Wrobel (Mitte) Besucher durch die Kirche seines Heimatdorfes. Bildrechte: MDR/Carina Emig

Wrobel soll als Stadtführer anerkannt werden

Wrobel ist zwar noch fit, doch die geschnitzte Decke, aus der Masken, Hopfenfrüchte und Pinienzapfen aus Holz herunterwachsen, die erreicht der 70-Jährige nicht und das grämt ihn. "Gegen die Holzwürmer müsste dringend neu begast werden, denn wieder rieselt überall das Holzmehl. Das letzte Mal ist lange her. 2005 fand die letzte große Aktion gegen den Holzwurm in der Kirche statt." Seine Sorge teilt Jörg Wrobel daher dem zuständigen Pfarrer Silvio Scholz und dem Salzwedeler Bürgermeister Olaf Meining (parteilos) mit, die er zum Rundgang durch die Osterwohler Pfarrkirche eingeladen hat.

Jörg Wrobel sei ein Glücksgriff, weiß Pfarrer Silvio Scholz. Allerdings reiche es momentan noch aus, den Holzwurmbefall selbst zu behandeln. Scholz kümmert sich insgesamt um 27 Kirchdörfer im Pfarrbereich Osterwohle-Dähre. "Die Kirche in Osterwohle ist etwas Besonderes, aber die anderen 27 Schmuckstücke wollen auch betreut und saniert werden", sagt der Gottesmann. Über noch mehr Touristen würde er sich freuen, ist sich darin einig mit Bürgermeister Olaf Meining.

Es gibt immer etwas zu tun: Jörg Wrobel arbeitet an der hölzernen Verkleidung des Taufbeckens. Bildrechte: MDR/Carina Emig

Das Salzwedeler Stadtoberhaupt will sich nun dafür einsetzen, dass die Kirche in eine kombinierte Führung über die Ortsteile eingepreist wird und Jörg Wrobel dann sogar als Stadtführer anerkannt würde. Für den Rentner würde das bedeuten, dass er für seine Führungen ein Honorar bekäme. Alleine in den vergangenen 14 Tagen hätte er schon 30 ehrenamtliche Arbeitsstunden auf dem Zettel. Deshalb freut sich Jörg Wrobel über so viel Anerkennung und die guten Aussichten. Er schlussfolgert, dass es damit sicherlich auch leichter fiele, einen Nachfolger zu finden und zu begeistern, damit auch zukünftig möglichst viele Gäste das Osterwohler Kleinod besuchen können.

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MDR (Daniel George)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 20. Mai 2024 | 09:40 Uhr

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