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Nach dem UrteilDer Fall Kezhia aus Klötze: So geht es der Familie

06. Februar 2024, 12:07 Uhr

Kezhia aus Klötze im Altmarkrreis Salzwedel wurde nur 19 Jahre alt. Ein 43-Jähriger wurde wegen Mordes zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Was sagt die Familie zum Urteil? Darüber hat "Kripo live" exklusiv mit Kezhias Onkel gesprochen. Inzwischen ist der mutmaßliche Täter in Revision gegangen.

von Kripo live

Kezhia war spurlos verschwunden. Wie ist die Familie mit der Ungewissheit und später mit dem Ermittlungsverlauf umgegangen?

Mario H.: Mittlerweile gehen wir auf den Todestag von Kezhias Verschwinden zu. Das gesamte Jahr war schwer zu ertragen, weil sich die Situation auf Kezhia bezogen permanent geändert hat. Angefangen hat es damit, dass Kezhia verschwunden ist und keiner wusste, warum. Alle Möglichkeiten standen offen. Dann kam immer mehr der Verdacht auf, dass ein Gewaltverbrechen dahinterstecken könnte. Das war emotional eine neue Situation. Dann: Wird sie denn überhaupt gefunden werden, werden wir sie überhaupt wiedersehen?

Sie wurde schließlich gefunden, was an allererster Stelle eine Erleichterung war. Als wir dann aber die Nachricht bekommen haben, wie sie gefunden wurde, in welchem Zustand, kam das nächste schreckliche Tief. Wir standen vor der Situation: ein schlimmes Gewaltverbrechen, ein brutales Gewaltverbrechen. Dann kommt die Frage: Warum? Und wer war der Täter? Obwohl ein Täter ja im Fokus war, stand es ja zu dem Zeitpunkt noch nicht fest. Und so ging das dann immer weiter pro Woche. Und selber tun konnten wir gar nichts. Wir konnten einfach nur warten und das Erfahrene verarbeiten, soweit das möglich war. Und das ging so bis zu dem letzten Verhandlungstag. Bis zum Urteilsspruch ging das so.

Die Auswertung des Fahrtenschreibers führte die Ermittler zur Leiche. Wie beurteilen Sie die Arbeit der Sachverständigen rückblickend?

Ziemlich am Anfang war gar nicht klar, ob Kezhia gefunden wird. Sich darauf gedanklich einzustellen war unerträglich. Für uns war es sehr hilfreich, und da sind wir auch sehr dankbar, dass verschiedene Sachverständige bei den Auswertungen, insbesondere der Geodaten oder dem Fahrtenschreiber, ihre gesamte Fähigkeit und ihr Können zur Verfügung gestellt hatten, natürlich auch in Verbindung mit der Kriminalpolizei, die überhaupt erst auf die Idee gekommen ist, in diese Richtung zu ermitteln. So mussten wir uns nicht in die vielen Vermisstenfälle einreihen, die bis ans Lebensende im Unklaren bleiben.

Ich selber war am Fundort. Ich habe mir diesen Ort angeschaut und musste da feststellen, wenn es die Möglichkeit der Auswertung der Fahrdaten nicht gegeben hätte, wäre Kezhia nicht gefunden worden. Denn es ist ein abgesperrter Teil der Kiesgrube gewesen, der nicht abgebaut wird. Der Betreiber selber hat zu mir gesagt, er wäre da in zigtausend Jahren nicht hingefahren und hätte da nichts gemacht.

Warum war es der Familie wichtig, jeden Verhandlungstag dabei zu sein?

Für uns als Familie war es wichtig, jeden Verhandlungstag anwesend zu sein, den Ermittlungsverlauf verfolgen zu können. Wir wollten wissen, was geschehen ist und warum es geschehen ist. Es ging darum, jedes Detail, jedes gesprochene Wort aufzunehmen. Uns war ziemlich schnell klar, dass wir viele Informationen nur selber vor Ort aus dem Gerichtssaal bekommen können. Sonst hätten wir vieles nur durch Hörensagen erfahren.

Auch sehr schwer war im Prozessverlauf von Anfang an die Anschuldigung gegenüber der Familie seitens der Verteidigung. Die Anschuldigungen gegenüber Kezhia gingen ja soweit, dass Kezhia mitschuldig an ihrem Tod ist beziehungsweise der Auslöser ihres Todes ist. Das war gerade insbesondere nach der Einlassungserklärung ein schwerer Schlag und ein Schock für die ganze Familie, für mich insbesondere.

Durch die Länge des Prozesses und durch das wiederholte Anwenden dieser Strategie der Verteidigung ist das jeden Tag enorm belastend gewesen und hat die emotionale Belastung der Familie und einzelner Personen, wie ihrer Mutter, jedes Mal verschlechtert. Man muss dann wirklich darauf hoffen und warten, dass das im Verlauf des Prozesses aufgrund von Zeugenaussagen oder von Beweisen widerlegt wird.

Wie haben Sie den Täter vor Gericht wahrgenommen?

Die Begegnung im Gerichtssaal mit dem Täter, wenn man das als Begegnung bezeichnen möchte, ist wirklich schwer zu beschreiben. Wenn er hereingeführt wurde, hat er sein Gesicht immer vom Publikum abgewandt. Und wenn er denn am Platz saß, hat er eine Stellung eingenommen, die er so gut wie nicht verändert hat: aufgestützt auf seinen verschränkten Händen – mit Blickrichtung Richter, meistens den Blick auf den Tisch. Ansonsten ist da emotional nicht viel passiert, auch kein Blickkontakt ins Publikum oder zu Zeugenaussagen wie bei Kezhias Mutter oder ihrer Oma. Das Einzige, wo er dann immer aktiv wurde, war nach jedem Verhandlungstag, also nach dem Verhandlungsende, wo er sich meistens wild gestikulierend und aufgeregt mit seinen Verteidigerinnen unterhalten hat. Da hat er oft, wie mir auch andere Zuschauer berichtet haben, wütend und frustriert gewirkt. Das kann man so deuten, dass er nicht damit zufrieden war, wie so ein Prozesstag gegen ihn verlaufen ist.

Wie kamen die Schlussworte des Täters bei der Familie an?

Wir haben Woche um Woche auf das Ende der Verhandlungen hingefiebert und konnten uns auch gar nicht vorstellen, dass das so lange gehen sollte. Am letzten Verhandlungstag, kurz vor dem Urteilsspruch, wurde dem Täter noch einmal die Möglichkeit gegeben, sich zu erklären oder abschließende Worte wiederzugeben. Diese Worte haben uns überhaupt nichts gebracht, weil es sehr einstudiert aussah. Auch in Abstimmung noch einmal mit seinen Verteidigerinnen: "Soll ich denn jetzt was sagen?" Sie meinten offenbar: "Ja, mach mal lieber und das ist so besser." Das hat man so wahrgenommen. Ob es genau dieser Wortlaut war, weiß ich nicht. Und seine Worte waren, dass ihm das leid tut, ihm unendlich leid tut und dass er sich entschuldigen möchte bei seiner Familie und bei der Familie von Kezhia. Und er weiß, dass das falsch war. Naja, halt eben ein auswendig gelernter Text und noch ein paar Emotionen versprüht, indem er geweint und geschluchzt hat. Aber ganz ehrlich, ich und der Rest meiner Familie können diese Entschuldigung nicht annehmen und wir werden sie nicht annehmen. Auch weil er, spätestens da, wo er explizit als Täter infrage kam und im Fokus stand, uns hätte viel Leid und Sorge abnehmen können und den Ablageort von Kezhia nennen können. Er hätte uns so viele Wochen des Bangens ersparen können. Auch während der Verhandlungstage kam in der Richtung nichts, was uns hätte emotional entlasten können durch Aussagen seinerseits. Sondern die Familie wurde im Gegenteil weiter belastet. Eine Entschuldigung am Ende ist daher nicht akzeptabel.

Wie geht die Familie mit dem Urteil um?

Wir haben jetzt ein Urteil. Dafür sind wir auch dankbar. Wir sind allen Menschen dankbar, die damit zu tun haben, die dafür gesorgt haben. Aber jetzt beginnt für uns nochmal wieder eine neue Phase, eine neue Phase des Verarbeitens, des Trauerns und des sich immer noch die Frage Stellens: Wieso, weshalb, warum? Der Prozess ist nun vorbei. Das Urteil ist gesprochen, aber direkt nach dem Urteilsspruch hat sich das sehr, sehr, sehr seltsam angefühlt. Einerseits ist es so eingetreten, wie wir gehofft und gefordert haben, andererseits hat uns das emotional nicht zufriedengestellt. Alle haben uns erklärt: Kezhia wurde bestialisch umgebracht, der Täter ist benannt. Das war es nun. Es ist tatsächlich eine Herausforderung, jetzt zu akzeptieren, dass wir mit dem Verlust leben müssen – ein Leben lang und auch mit der Tatsache, wie dieser Verlust zustande gekommen ist.

Kleine Chronologie im Fall KezhiaDie damals 19-jährige Kezhia H. aus Klötze galt seit dem 4. März 2023 als vermisst. Wie Ermittlungen ergaben, war sie an diesem Tag an einer Bushaltestelle mit ihrem damaligen Freund, dem inzwischen 43 Jahre alten Tino B., verabredet.

Dieser gab später in Ermittlungen an, sie mit dem Auto abgeholt zu haben. Sie hätten sich ein Fußballspiel ansehen wollen und seien dafür ins circa 45 Kilometer entfernte Wolfsburg gefahren.

Der Fahrtenschreiber wurde ausgewertet und brachte ein anderes Ergebnis hervor: Dadurch konnte schließlich die Leiche am 20. April 2023 in einem Wald bei Bahrdorf aufgefunden werden.

Tino B. wurde des Mordes angeklagt und ihm seit August 2023 der Prozess gemacht.

Am 29. Januar 2024 wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt. Dagegen ist er in Revision gegangen.

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MDR (cbr)

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | Kripo live | 04. Februar 2024 | 19:50 Uhr

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