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Rote ArmeeVor 30 Jahren verließen die letzten Sowjetsoldaten Königsbrück

11. Oktober 2022, 07:00 Uhr

Nach der Maueröffnung 1989 wurde mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag der Abzug der Sowjettruppen bis 1994 festgelegt. Königsbrück verließen die letzten Soldaten samt Militärtechnik vor genau 30 Jahren. Damit endete die militärische Geschichte des Ortes und aus dem sieben Hektar großen Truppenübungsplatz wurde die unter Naturschutz stehende Königsbrücker Heide. Wegen der Gefahr durch im Boden verbliebene Kampfmittelreste sind große Teile des Gebietes noch immer für den Menschen gesperrt.

Vor 30 Jahren verließen die letzten Sowjetsoldaten des 44. Panzerregiments mit Lkw und Panzern den Truppenstandort in Königsbrück. Damit endete für die Anwohner das Leben an einem militärischen Truppenübungsplatz mit dem damit verbundenen Lärm und Verboten. Der Königsbrücker Peter Sonntag ist direkt am Alten Lager, wo die sowjetische Panzerreparaturbrigade stationiert war, aufgewachsen. Vom ersten Stock seines Elternhauses an der Großenhainer Straße konnte er direkt ins Lager gucken.

Leben mit Krach und Sperrgebiet

"Na sicher war das spannend", sagt der heute 70-Jährige. Zum Beispiel wenn dort exerziert wurde. Auch die Motorengeräusche der Panzer und der Diesel, der auf die Straße geflossen ist, sind ihm noch in Erinnerung. Manchmal durfte er als Junge zum Kastaniensammeln aufs Gelände. Für ihn seien ebenfalls die Feierlichkeiten im Kasino gut in Erinnerung geblieben: "Das war schön." Aber man habe als Zivilist keine Berührungspunkte unmittelbar mit dem Militär gehabt, sondern nur mit Offizieren und ihren Familien.

Weniger schön waren die Militärübungen auf dem 70 Quadratkilometer großen Übungsgelände - der an Königsbrück angrenzenden Wald- und Heidelandschaft. "Die haben wir im ganzen Ort gehört und wenn die Granaten explodierten, hat der ganze Ort gezittert", sagt Peter Sonntag.

Wenn die Granaten explodierten, hat der ganze Ort gezittert.

Peter Sonntag | Heimatverein Königsbrück

Einmal sei er mit dem Auto zum Pilzesuchen in den Wald gefahren und dabei aus Versehen ins Sperrgebiet gelangt. Mit Raketen beladene Lastwagen standen vor ihm. "Da habe ich zugesehen, dass ich schnell wegkomme", sagt der Rentner. Denn wenn man zum Verhör auf die Kommandantur mitgenommen wurde, konnte es unangenehm werden, erklärt er.

Zur Geschichte des Truppenübungsplatzes - hier klicken

* Nach dem Sieg über die deutsche Wehrmacht übernahm die Rote Armee sämtliche militärische Einrichtungen in Königsbrück.
* 1967 erfolgte der Aufbau der Panzerkaserne Röhrsdorf, wo in späteren Jahren auch die durch die Nationale Volksarmee (NVA) für Aufgaben der Warschauer Vertragsstaaten genutzte Troposphärenfunkzentrale eingerichtet wurde.
* Der Truppenübungsplatz wurde zu einem modernen Manövergelände und Schießplatz für verschiedene Waffengattungen. Er war Ausbildungs- und Übungsgelände für Kampfhubschraubereinheiten und Luftlandetruppen.
* 1984 begannen erste Stationierungen von Mittelstreckenraketen mit Atomsprengköpfen sowie die Lagerung von Kernsprengköpfen.
* Mit der 119. Raketenbrigade standen elf Abschussrampen sowie 19 Trägerraketen um Königsbrück zur Verfügung.
* Stationiert waren in Königsbrück unter anderem folgende Einheiten der Sowjetarmee: Panzerinstandsetzungs- und Bergebataillon, 119. Raketenbrigade der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland und Raketenabteilung, 40. und 44. Gardepanzerregiment der 11. Garde-Panzerdivision, Bataillon chemische Abwehr, Pioniere, materielle Sicherstellung und Luftsturm.

Quelle: Heimatverein Königsbrück

Truppenabzug mit der Eisenbahn

In den Jahren 1991 und 1992 ging es für Soldaten und Kriegsgerät zurück nach Russland. Das geschah vornehmlich über die Schiene. Peter Sonntag empfand das eher als unspektakulär: "Wir haben beobachtet, wie Stück für Stück verladen wurde. Und auf einmal waren sie weg", sagt er. Am 10. Oktober feierten die Königsbrücker schließlich auf der höchsten Erhebung der Wald- und Heidelandschaft, der Königshöhe, den Abzug der Soldaten mit einem Dankgottesdienst.

Aus dem Truppenübungsplatz wurde ein Naturschutzgebiet. Heute ist von den militärischen Gebäuden nicht viel zu sehen. Das Offizierskasino im Neuen Lager steht noch. Ein Gebäude im Alten Lager beherbergt jetzt unter anderem eine Modellausstellung des örtlichen Heimatvereins mit der Via Regia als Thema.

Ein kleines Stückchen Militär ist im Ort geblieben: Die Außenstelle des Zentrums für Luft- und Raumfahrtmedizin der Bundeswehr befindet sich auf dem früheren Gelände des Instituts für Luftfahrtmedizin der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR.

Heimatverein hat Stationierung aufgearbeitet

Peter Sonntag ist Vorsitzender und Gründer des Heimatvereins Königsbrück und Umgebung. Der hat auch die Zeit der Stationierung der Roten Armee aufgearbeitet. Dargestellt ist sie unter anderem auf einer Schautafel auf einem Informationspfad zur örtlichen Militärgeschichte.

Der 1996 gegründete Heimatverein befasst sich aber nicht vorrangig mit Militärgeschichte. Es gibt Projekte mit Schulen und Kindergärten zu den historischen Kamelien, das bäuerliche Brauchtum spielt eine große Rolle und der Erhalt von stummen, jahrhundertealten Zeitzeugen, wie des Schellendorffschen Epitaphs in der Hauptkirche der Kleinstadt.

Zur ehemaligen Garnisonsstadt Königsbrück - hier klicken

 * 1907 wird ein 70 Quadratkilometer großes Areal bei Königbrück zum Truppenübungsplatz ausgebaut. Mehrere Dörfer werden zwangsumgesiedelt.
* 1935 übernimmt die Wehrmacht das Gelände. Die letzte und dritte Ausbaustufe leitet 1945 die Sowjetarmee ein.
*Durch einen ständigen Ausbildungsbetrieb und riesige Manöver mit bis zu 30.000 Mann wird der letzte Rest Natur nahezu komplett zerstört. Es entstehen steppenähnliche Zustände.
* Mit dem Abzug der Sowjetarmee gleicht die Königsbrücker Heide einer Wüste aus Sand und Schrott. Schätzungsweise 20 Millionen Tonnen Kampfmittel - Granaten, Minen und Panzerteile - wurden bis heute hier entsorgt.
* 1996 wird das Naturschutzgebiet Königsbrücker Heide gegründet. Mit mehr als 1.600 Tier- und Pflanzenarten, darunter 300, die in Roten Listen geführt werden, gehört es zu den Spitzengebieten der Artenvielfalt in Sachsen.

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MDR (ama)

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | Sachsenspiegel | 11. Oktober 2022 | 19:00 Uhr