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Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksii Makeiev, sagte in Dresden, dass Luftabwehrsysteme und Waffen Leben retten. "Das klingt für Deutsche seltsam, aber das ist Realität." (Archivfoto) Bildrechte: picture alliance/dpa | Robert Michael

DebattenabendBotschafter in Dresden: "Erschöpft sein kann sich die Ukraine nicht leisten"

31. Januar 2024, 10:17 Uhr

Seit zwei Jahren kämpft die Ukraine gegen Russlands Invasion und Krieg. Wie halten das die Menschen aus? Was sollen Geflüchtete tun: Arbeiten in Sachsen oder heimkehren? Was ist mit Frieden? Bei einem Debattenabend in Dresden haben sich Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig und der ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksii Makeiev, darüber ausgetauscht. Die Zuhörenden im vollen Hörsaal der TU hatten viele Fragen.

Wie groß ist die Erschöpfung in der Ukraine?

"Erschöpft sein kann sich die Ukraine nicht leisten nach zwei Jahren unter russischem Bombenterror. Das Leben von Millionen Ukrainern ist nicht mehr das, was es vor zehn Jahren war." Er beschrieb den Zuhörenden den Tagesstart seiner Landsleute so: "Morgens überprüft man: Gab es Luftalarm oder nicht? Habe ich Anrufe verpasst? Was ist mit meinen Angehörigen?" Millionen Ukrainer könnten ihre ganz persönliche Geschichte erzählen, "wie viele Freunde sie im Krieg verloren haben, wie viele Verwandte. Die Angst, die sie haben, wie sie entschlossen sind, wieder heimzukehren."

Die Widerstandsfähigkeit der Ukraine ist in unserer DNA.

Oleksii Makeiev | Ukrainischer Botschafter in Deutschland

Makeiev kritisierte, dass sich Politiker in Deutschland oft von Meinungsumfragen leiten ließen und sagten, die Stimmung kippe. Vielleicht würden bei Debatten zur Lage der Ukraine die Bürger nicht genug mitgenommen, dass die Botschaften nicht ankämen? Er verspüre auch Müdigkeit in der Berichterstattung über den russischen Angriffskrieg. Vielen scheine der Krieg "sehr weit entfernt zu sein".

Die Situation der Ukraine könne nur in ehrlichen Gesprächen vermittelt werden, "damit die Menschen begreifen, worum es geht." Später fragte er die mehr als 100 Besucher im vollbesetzten, aber stillen Hörsaal: "Ziel Russlands ist die Auslöschung der Ukraine. Wollen wir das erlauben?"

Was denken Sie, wenn Sie Herrn Kretschmers Vorschläge zu Friedensverhandlungen mit Russland hören?

"Jedes Mal, wenn ich den Ministerpräsidenten Michael Kretschmer treffe, sagt er mir, dass er fest an der Seite der Ukraine steht. Es gibt Dinge, über die wir sprechen müssen", meinte der ukrainische Botschafter. Oft werde er gefragt, ob es nicht besser wäre mit Russland zu verhandeln. In den 1970er-Jahren sei das gut gewesen. "Und wo sind wir heute? Hat das geholfen?" Habe Russland je gefragt, ob Europa ihm demokratisch helfen solle so wie die Ukraine, Polen und die baltischen Staaten? "Hat es nie, aber die Europäer kommen immer zu Russland und versuchen psychologische Hilfe zu geben."

Wir halten die Front gegen ein Land, das von der Nato als Hauptgegner bezeichnet wird. Zwei Jahre hat die Ukraine es geschafft, Europa vor der russischen Invasion zu schützen. Das hat uns hundertausende Leben gekostet.

Oleksii Makeiev | ukrainischer Botschafter in Deutschland

Dulig für stabilen Frieden, keine Gebietseinfrierung

Auch Gesprächsgast Martin Dulig, Sachsens Vize-Ministerpräsident und Wirtschaftsminister (SPD), wurde im Hörsaal mehrfach auf Kretschmers Forderungen nach Friedensverhandlungen mit Russland angesprochen. "Sachsen glaubt häufig, Außenpolitik machen zu müssen". Es sei kein Geheimnis, dass Dulig anderer Meinung als der Ministerpräsident ist.

Unser Ministerpräsident hat schon jede Meinung gehabt. Man muss das sortieren.

Martin Dulig | Gesprächsgast beim Debattenabend über die sächsisch-ukrainischen Beziehungen

Kretschmer hatte kurz vor Weihnachten vorgeschlagen, die Ukraine solle notfalls vorübergehend Gebiete an Russland abtreten, um Frieden zu schaffen. So ein Szenario mit Gebietseinfrierung würde lange bestehen bleiben, merkte Dulig an und warnte: "Russland wäre der Gewinner dieser Situation." Wenn über Frieden gesprochen werde, müsse klar sein, dass es um einen stabilen Frieden für die Ukraine gehen müsse. "Das muss man erklären."

Ukrainer sollen sich in den deutschen Arbeitsmarkt integrieren, aber auch heimkehren, vor allem auch wehrpflichtige Männer. Ein Widerspruch?

Was sagt ein Botschafter rund 200.000 wehrpflichtigen Ukrainern in Deutschland, fragte eine junge Frau. Makeiev beschrieb seinen Auftrag so: Einerseits sei es seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Rechte seiner Landsleute im anderen Land nicht gefährdet seien. "Ich muss aber auch dafür sorgen, dass diese Menschen in die Ukraine zurückkehren. Denn wer wird das Land wieder aufbauen?" Menschen zur Rückkehr zu motivieren sei keine leichte Aufgabe. Makeiev könne dafür nur ehrliche Worte nutzen. Wer keine Heimkehr wolle, könne in einem freien Europa nicht dazu gezwungen werden.

Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (li.) und der Botschafter Oleksii Makeiev stellten sich am Dienstag erst den Fragen der Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Anna Holzscheiter und antworteten dann vielen Zuhörenden im vollbesetzten TU-Hörsaal. Bildrechte: MDR/Kathrin König

Integration mit Heimkehr verbinden?

Der Diplomat aus Berlin verwies beim Thema auf deutsche Firmen, die in der Ukraine investieren und riet den Zuhörenden, sich bei denen zu bewerben. Auch Unternehmern sage er immer wieder, sie sollten Ukrainer einstellen. Die Arbeitsagenturen müssten gezielter mit Ukrainern arbeiten, auch maßgeschneiderter beraten, verlangte Makeiev und verwies auf den Bildungsgrad der ukrainischen Geflüchteten, dass 51 Prozent einen Hochschulabschluss hätten. Leicht ironisch merkte er an, dass sein Volk eines von Handwerkern und Unternehmern sei und keine 35-Stunden-Wochen kenne.

Auch Minister Dulig warb für den Wirtschaftsstandort Sachsen. Selbst wenn viele Ukrainer schon schlechte Erfahrungen machen mussten, sollten sie sich nicht entmutigen lassen. "Sie werden gebraucht. Ich bin absolut optimistisch, dass sich der Arbeitsmarkt für Sie öffnet."

Was kann Wissenschaftsdiplomatie für Frieden tun?

Der ehemalige Rektor der TU Dresden, Hans Müller-Steinhagen, fragte am Ende der Debatte, was Hochschulen zur Deeskalation beitragen könnten. "Wenn Sie von einer russischen Hochschule angefragt werden, gehen Sie hin. Wenn nicht, gehen Sie nicht von selbst hin", antwortete Botschafter Oleksij Makeiev. Er würde die Beziehungen dann auf Eis legen, "wenn Sie kein gutes Gefühl haben, dass es zu etwas führt". Es sei jedoch wichtig, weiterhin wissenschaftlich zusammen zu arbeiten, wenn man die gleichen Werte teile.

  • Den Debattenabend können Sie im Video des Mitveranstalters, der Friedrich-Ebert-Stiftung, verfolgen:

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