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Kinderpornografische InhalteCyberkriminologe Thomas-Gabriel Rüdiger im Interview

31. März 2023, 19:30 Uhr

Kinderpornografie wird in der Regel mit pädokriminellen Erwachsenen in Verbindung gebracht. Umso überraschender ist es, dass die Zahl der Fälle, in denen Jugendliche als Tatverdächtige angesehen werden, in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen ist. Im Interview mit MDR SACHSEN klärt Cyberkriminologe Prof. Thomas-Gabriel Rüdiger über die ungewöhnliche Entwicklung auf.

MDR SACHSEN: Der Anteil junger Tatverdächtiger bei Besitz und Verbreitung sogenannter "kinder- und jugendpornografischer Inhalte" steigt seit einigen Jahren massiv. Sie halten das aber für irreführend und diese jungen Menschen auch in den seltensten Fällen für "Kriminelle". Warum?

Thomas-Gabriel Rüdiger:  Darunter werden ganz viele Sachverhalte erfasst, die - wenn man ehrlich ist - keinen kriminellen Hintergrund haben. Wenn ein 13-jähriger Junge eine 14-jährige Freundin hat und die betreiben sogenanntes "Sexting", tauschen also Nacktmaterial voneinander aus, dann macht sich die 14-Jährige juristisch gesehen an kinderpornografischen Inhalten strafbar. Und das ist ja nicht das, woran die Gesellschaft bei dem Thema denkt! Die Gesellschaft denkt bei kinderpornografischen Inhalten vermutlich an das Darknet, an vernetzte Täter, die schwerste Gewalttaten an Kindern ausüben.

Bei der Vorstellung der polizeilichen Kriminalstatistik verwies BKA-Präsident Holger Münch auf Gruppenchats unter Jugendlichen, die erheblich zu einer Erhöhung dieser Fallzahlen beitragen und bei denen sich die Chatteilnehmer gar keiner Strafbarkeit bewusst seien. Welchen Einfluss haben solche Chats auf die Entwicklung in diesem Deliktbereich?

Aus Dortmund wurde beispielsweise berichtet, dass in einer Schule gegen 400 Schülerinnen und Schüler wegen solcher Chatdelikte ermittelt wurde. Gegen 400 an nur einer Schule! Sobald jemand etwas in einer Klassengruppe postet, haben das alle automatisch auf ihren Geräten gespeichert und es besteht formal erstmal der Anfangsverdacht der Strafbarkeit wegen des Besitzes solcher Inhalte.

Bekommt man Nacktbilder von Minderjährigen oder Kindern geschickt, kann formal der Anfangsverdacht berstehen, sich wegen des Besitzes solcher Inhalte strafbar zu machen. Bildrechte: IMAGO / Panthermedia

Vor zwei Jahren wurden solche Delikte vom Vergehen zum Verbrechen hochgestuft mit einem Jahr Mindestfreiheitsstrafe. Damit können Ermittlungen auch nicht mehr wegen Geringfügigkeit eingestellt werden, wovor Expertinnen explizit gewarnt hatten. Rächt es sich nun, diese Expertenmeinungen ignoriert zu haben?

Es gibt ganz abstruse Fallkonstellationen im Zusammenhang mit der Gesetzesverschärfung. Ich möchte das an dieser Stelle mal klar sagen: Wenn man im Netz in irgendeiner Form auf kinderpornografische Inhalte stößt, niemals einen Screenshot anfertigen ohne Rücksprache mit der Polizei. Sonst kann es sein, obwohl man es ja als Beweismittel einbringen möchte, dass gegen einen selbst ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden muss. (…)

Es muss doch möglich sein, dass wir Gesetze schaffen, die jene verfolgen, die wir als Gesellschaft auch massiv verfolgt haben wollen, also vernetzte Sexualstraftäter, aber nicht Jugendliche, die freiwillig Sexting betreiben oder dass jemand im Chat ein Bild bekommt.

Was empfehlen Sie Eltern, die selbstverständlich nicht möchten, dass gegen ihre Kinder beispielsweise nach einem "freizügigen Flirt" mit beinahe gleichaltrigen Freundinnen und Freunden wegen eines Verbrechens ermittelt werden muss, wenn solche Inhalte der Polizei bekannt werden?

Wenn ich meinem Kind ein Smartphone in die Hand drücke, kann es ab diesem Moment passieren, dass mein Kind mit pornografischen Inhalten, mit Sexualstraftätern in Onlinespielen und sozialen Netzwerken konfrontiert wird oder mit extremistischen Inhalten. Das heißt, wenn ich meinem Kind ein Smartphone gebe, dann muss ich mein Kind auf diese Risiken vorbereiten. Wenn mir das zu viel ist und ich mit meinem Kind beispielsweise nicht über Nacktbilder von Kindern reden will, dann ist es auch zu früh für ein Smartphone. (…) Und wir müssen hier über Medienkompetenz reden, ab der ersten Klasse in jeder Schule. Denn Kinder müssen doch wenigstens die Chance haben zu wissen, was überhaupt strafbar ist!

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MDR (pri)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 31. März 2023 | 19:00 Uhr