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85. GeburtstagClaudia Roth würdigt Schriftsteller Volker Braun: Literatur, die Schwachstellen aufdeckt

07. Mai 2024, 04:00 Uhr

Der in Dresden geborene Schriftsteller Volker Braun feiert seinen 85. Geburtstag. Er gilt neben Heiner Müller und Peter Hacks als einer der bedeutendsten Dramatiker der DDR – war etabliert und übte zugleich Kritik an der Gesellschaft. Nach dem Mauerfall erhielt er mit dem Georg Büchner-Preis den wichtigsten deutschen Literaturpreis. Bis heute ist er aus der Gegenwartsliteratur nicht wegzudenken: schreibt u.a. Gedichte, Hörspiele und Romane über aktuelle Themen, wie Kolonialismus und Klimawandel.

Der Schriftsteller Volker Braun ist 85 Jahre alt geworden. Am 7. Mai 1939 in Dresden geboren, zählt Braun zu den bekanntesten Autoren der DDR. Auch nach der Wiedervereinigung zählt er zu den bedeutenden literarischen Stimmen Deutschlands.

"Als Prosaist, Essayist, Lyriker und Dramatiker prägt Volker Braun seit vielen Jahrzehnten die literarische Landschaft in Deutschland. Er hat sich immer als politischer Schriftsteller verstanden, der mit einer subversiven Verve die Schwachstellen einer Gesellschaft, eines Systems aufzudecken versucht", so würdigte Kulturstaatsministerin Claudia Roth den Dramatiker, Lyriker, Erzähler und politischen Denker Volker Braun bei MDR KULTUR.

Braun ist neben Heiner Müller der bekannteste Autor aus jener, auch als "Brecht-Schüler" bezeichneten, Generation. Seit den 1960er-Jahren stellt er seine Utopien von Freiheit und Rebellion gegen einen gesellschaftlichen Ist-Zustand, der in der DDR und BRD diese und jene Macht und vor allem die Unterdrückungsverhältnisse befestigt hat.

Pro und Contra zur DDR

Folgte der junge Braun den Ideologien des Arbeiter-und-Bauernstaates DDR anfangs noch mit Enthusiasmus und ideologischer Folgsamkeit, so benannte der spätere Dichter mit Büchern wie "Es genügt nicht die einfache Wahrheit" (1975), "Training des aufrechten Gangs" (1976) oder "Hinze-Kunze-Roman" (1985) immer drängender den bürokratischen und politischen Druck, unter dem der Sozialismus allmählich erstickte – bis er dann im Herbst 1989 endgültig kollabierte.

Die Schriftsteller Christoph Hein und Volker Braun (rechts) 1987. Bildrechte: IMAGO / Rolf Zöllner

Als subversiv verstandener Autor war Braun zugleich einer der Etablierten. Womit er eine DDR-typische Position einnahm, wie sie ähnlich auch die Biografie einer Christa Wolf, eines Christoph Hein oder manches ostdeutschen Malerfürsten gekennzeichnet hat. So heftig sie das System kritisierten – so eng waren sie ihm verbunden. War es doch letztlich ihr wichtigstes Thema.

Als subversiv verstandener Autor war Braun zugleich einer der Etablierten.

Literaturredakteur Jörg Schieke über Volker Braun

1976 gehörte Braun zu den Mitunterzeichnern der Protestresolution gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns. Er war immer wieder am Berliner Ensemble tätig und erhielt 1981 den Lessing-Preis der DDR. Zeitweilig wurde er von der Staatssicherheit überwacht.

Ein sozialistischer Herr-und-Diener-Roman

Im "Hinze-Kunze-Roman" beschreibt Braun das Verhältnis von Herr und Knecht (ein Funktionär und sein Fahrer) unter den hier paradox zugespitzten Bedingungen des Sozialismus. Seinerzeit, 1985, politisch höchst anstößig, liest sich der Roman heute eher wie ein Denkmal der realsozialistischen Satire.

Das Buch wurde erst ausgeliefert und dann aus den Buchhandlungen wieder zurückbeordert – was den Autor umso berühmter machte. Braun hat diesen Konflikt, diese fixe Vereinnahmung als "Kritiker der realsozialistischen Verhältnisse" erkannt und dann umso nachdrücklicher dagegen angeschrieben.

Volker Braun bewies schon in seinen frühen Werken einen hellsichtigen, zunehmend kritischen Blick auf bestehende gesellschaftliche Zustände.

Claudia Roth | Kulturstaatsministerin

Ästhetischer Widerstand

Schon in den 1980er-Jahren übt Braun sich auch im ästhetischen Widerstand. Er erprobt neue Schreibweisen, verstößt gegen die Grammatik, bedient sich bei den Modernen und übernimmt literarische Techniken der Avantgarde.

Brauns Gegenlehre, in vielen Texten immer wieder vorgetragen, ist die von einem wahren, auch und gerade sinnlich-entfesselten Sozialismus, in dem der Mensch sich erotisch und geistig-intellektuell verwirklicht, statt sich als Waren- oder Ideologieempfänger gängeln und betäuben zu lassen.

Volker Braun bei einer Lesung in seiner Geburtsstadt Dresden 2020. Bildrechte: imago images/C3 Pictures

Inspiriert von Arthur Rimbaud

Einer, der diesen ewigen Aufbruch und Widerstand für Braun zu verwirklichen scheint, ist der französische Dichter Arthur Rimbaud (1854-1891), dessen Biografie – vom Dichter zum Waffenhändler, zum gesellschaftlichen Außenseiter – er 1984 in einem seinerzeit viel gelesenen Essay "Rimbaud. Ein Psalm der Aktualität" nachging.

Während die ostdeutschen Underground-Dichter, so Braun, sich mit artistischen Fingerübungen begnügten, habe sich Rimbaud dahin gewagt, wo das wahre Leben blüht und foltert. Da also, bei Rimbaud und bei den Entrechteten, den vom bürgerlichen Leben Ausgestoßenen, da entstehe die gültige Poesie.

Im Westen etabliert, aber in der Nische

Eine Haltung, mit der Braun nach 1989 und der deutschen Wiedervereinigung durchaus auch bei den kapitalismuskritischen Kreisen im Westen andocken konnte: Im Jahr 2000 erhielt er den Büchner-Preis, die höchste Ehrung, die der deutsche Literaturbetrieb zu vergeben hat.

Volker Braun wurde mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt. Er erhielt in der DDR den Nationalpreis und den Lessingpreis und im wiedervereinigten Deutschland den Georg-Büchner-Preis. Bildrechte: imago/Fotoagentur Nordlicht

Dennoch spürt ein Denker wie Braun, dass – trotz Büchner-Preis und Suhrkamp Verlag im Rücken – seine politisch unterlegten, an Brecht und zugleich an zeitgenössischer Poesie geschulten Texte nur noch bei einem ausgewählt kleinen Publikum Resonanz finden. Zuletzt befasste sich der Autor, politisch aktuell wie eh und je, mit der kolonialen Vergangenheit der Deutschen und mit den als Klimakatastrophe heraufziehenden Gefahren.

Der 1939 geborene Braun hat über Jahrzehnte fortgeschrieben, was er als junger Mann im Geiste Brechts schon angestoßen hat: Eine Dichtung, die sich als ein Stück Aufklärung und als Einübung persönlicher Freiheit versteht.

Heute, da Volker Braun 85 Jahre alt wird, gehört sein Werk zum festen Fundus deutscher Gegenwartsliteratur.

Quelle: MDR KULTUR (Jörg Schieke),
Redaktionelle Bearbeitung: op

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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 06. Mai 2024 | 22:00 Uhr