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Yvonnes (vorn) Job in der Kita-Küche wird mit etwas mehr als Mindestlohn bezahlt. Bildrechte: MDR exakt

NiedriglohnSchuften für wenig Geld

13. Februar 2024, 12:00 Uhr

In Ostdeutschland leben besonders viele Niedriglöhner – jeder vierte muss mit einem Einkommen knapp über dem Mindestlohn klarkommen. Was bedeutet das für den Alltag der Menschen und wie lebt es sich damit in Zeiten der Inflation?

Aus der runden Glaskanne gießt Yvonne Wasser in den Behälter. Dann drückt die 47-Jährige auf den roten Knopf der schwarzen Maschine. Wenig später brodelt es und frischer Kaffeeduft zieht durch die kleine Küche der städtischen Kita in Chemnitz. Es ist 5.30 Uhr und der Dienst von Yvonne als Küchenleitung hat gerade begonnen. Sie verdient etwas mehr als Mindestlohn – zusätzlich jobbt sie als Aushilfe in einem Restaurant. Es ist ein Leben mit wenig Geld.

Während Yvonne anfängt, Gemüse klein zu schneiden, erzählt sie, dass sie eigentlich gelernte Arzthelferin und examinierte Pflegerin ist. Die Arbeit in der Gastro hat ihr aber besser gefallen. Über 30 Jahre arbeitet sie schon in der Branche. Früher hat sie sogar ein Restaurant geleitet. "Ich habe als Betriebsleitung auch sehr gut verdient. Aber du bist halt auch 24/7." Da habe sie Abstriche an anderen Stellen machen müssen. Nun sei es anders: etwas mehr Freizeit anstatt immer Stress, aber eben auch weniger Geld. Durch den Job in der Kita-Küche hat sie dafür früher Feierabend und die Wochenenden frei.

Es ist einfach schön, wenn du Kinder glücklich machen kannst.

Yvonne | über ihre Arbeit

Hinzu kommt die Wertschätzung durch die Kinder. Gemalte Bilder und kleine Zettelchen auf denen zum Beispiel steht "Der Joghurt schmeckt sehr lecker" kleben an einer Pinnwand neben den weißen Kacheln. "Es ist einfach schön, wenn du Kinder glücklich machen kannst", sagt Yvonne lächelnd, während sie Salami und Käse auf Tellern garniert. Außerdem finde sie es wichtig, dass die Kinder etwas Ordentliches essen.

Essenslieferant muss genau kalkulieren

Zum Mittag gibt es an diesem Tag Spinat, Eier und Kartoffeln. Das Essen wird durch eine Cateringfirma, für die Yvonne arbeitet, angeliefert und haargenau kalkuliert – aufs Gramm genau. "Rührei zum Beispiel sind 70 Gramm pro Kind", erklärt Yvonne.

So genau wie geplant wird, wird auch der Preis pro Essen berechnet. Erst Anfang dieses Jahres wurde der erhöht – wegen der Inflation und der angepassten Mehrwertsteuer von 19 Prozent. Könnte die Cateringfirma unter diesen Bedingungen den insgesamt 60 Angestellten höhere Löhne zahlen? "Wir gehen jetzt vom Kita- und Schulbereich, von der Gemeinschaftsverpflegung aus. Dann ist die Antwort: nein", sagt Geschäftsführer Torsten Weiße-Köhler. Er beliefert vor allem Kitas und Schulen und für ein Schulessen seien die angesetzten 5,45 Euro schon recht hoch. Oder: Wenn man das im Kita-Bereich mit Frühstück und Vesper für zwei Kinder berechne, dann ergeben sich 320 Euro pro Monat. "Das muss man erstmal erwirtschaften."

Die Preise könnten nicht viel höher angesetzt werden. Deshalb könne er seinen Angestellten nicht mehr zahlen, auch wenn er dies gern tun würde. "Ich kann das verstehen, dass da nicht mehr übrigbleibt", sagt Yvonne. Dennoch dürfte es mehr sein. Aus ihrer Sicht müsste es ein Umdenken etwa durch den Träger geben. Wenn die Stadt Chemnitz das Kita- und Schulessen zahlen würde, gebe es auch mehr Spielraum für die, die es kochen und machen. "Sonst denke ich wird irgendwann der Berufszweig komplett aussterben."

Wie gerecht ist der Lohn von Bäcker, Friseur oder Kraftfahrer?

Es gibt viele Branchen und Berufe, in denen der Lohn niedrig ist: Gastronomie und Einzelhandel sowie Bäcker, Friseure oder Kraftfahrer. Wie gerecht sind dort die Einkommen? "Es gibt eine grobe Richtschnur, was als angemessen gilt", sagt Sozialwissenschaftler Dr. Malte Lübker von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. "Das sind 60 Prozent des Medianlohns."

2022 lag das mittlere Einkommen bei circa 21 Euro pro Stunde. Die Niedriglohnschwelle liegt bei zwei Dritteln davon: 14 Euro. Alles zwischen diesem Wert und der Lohnuntergrenze, dem Mindestlohn, gilt als Niedriglohnbereich. Im Januar 2022 lag der Mindestlohn noch bei 9,82 Euro – aktuell ist er bei 12,41 Euro und damit immer noch unter der Niedriglohnschwelle von 2022. "Und deswegen denken viele Menschen, mich eingeschlossen, dass das kein ausreichend, gerechter Lohn ist", so Lübker.

Und deswegen denken viele Menschen, mich eingeschlossen, dass das kein ausreichend, gerechter Lohn ist.

Malte Lübker | Sozialwissenschaftler

Im Osten gibt es weitaus mehr Beschäftigte, die von einem Mindestlohn leben müssen. "Wir sehen ein Lohngefälle zwischen Ost- und Westdeutschland, immer noch", erklärt Lübker. Dies liege zum Teil an den Rahmenbedingungen, wie etwa den Größen der Betriebe. "Wir sehen in Ostdeutschland besonders deutlich, dass Menschen, die nicht nach Tarif bezahlt werden, weniger bekommen als Tarifbeschäftigte."

Auf der anderen Seite "gibt es immer wieder das Argument von Arbeitgebern, dass wenn der Mindestlohn zu hoch ist, dann können wir das nicht bezahlen", so Lübker. Als der Mindestlohn Anfang 2015 eingeführt wurde, gab es intensive Debatten und Prognosen, dass bis zu zwei Millionen Jobs wegfallen und zahlreiche Firmen pleitegehen würden. Seitdem ist der ursprüngliche Mindestlohn von 8,50 Euro mehrfach angehoben worden. "Wenn es dann kommt, dann passiert meistens erst mal gar nichts." Die Betriebe könnten sich oft zuvor darauf einstellen und teilweise würden auch die Preise steigen, einen großen Effekt hätten Lohnsteigerungen beim Preisanstieg allerdings nicht.

Steigende Preise belasten besonders kleine Einkommen

Steigende Preise wiederum bekommen besonders Menschen mit kleinen Einkommen zu spüren – gerade bei Lebensmitteln. So spürt etwa Stefanie die Auswirkungen der Inflation trotz sparsamer Lebensweise. Die 32-Jährige arbeitet in Lengenfeld im Vogtland in der Logistik eines Schuhlagers. Ihr Stundenlohn liegt an der Niedriglohnschwelle von 2022. Da sie nur 35 Stunden in der Woche arbeitet, bekommt sie am Ende nur so viel wie bei einem Mindestlohnjob mit 40 Stunden.

Vor Kurzem hat sich Stefanie ein gebrauchtes Auto gekauft – der blau glänzende Kleinwagen ist ihr ganzer Stolz und den braucht sie für ihren etwa 15-minütigen Arbeitsweg. "Wenn die Arbeitszeiten halbwegs feststehen, könnte ich auch mit dem Bus fahren", sagt sie. Doch Lieferungen kämen teils kurzfristig, manchmal müsse sie länger bleiben oder früher anfangen. "Da ist man mit einem Auto schon flexibler."

Stefanie arbeitet in der Logistikbranche und führt sorgfältig Buch über ihre Finanzen. Bildrechte: Mia Media, MDR

Sie nutzt ihren PKW auch für den Einkauf und führt eine Fernbeziehung. Stefanies Freund wohnt 130 Kilometer entfernt. Sie sehen sich zweimal im Monat. Für ihr Auto hat sie mehrere Jahre gespart. Über 22.000 Euro hat es gekostet. Den größten Teil davon hat sie direkt bezahlt und zuvor angespart. Für den Rest musste sie einen Kredit aufnehmen.

Um die Raten zahlen und von ihrem kleinen Gehalt leben zu können, wirtschaftet Stefanie sehr sparsam. Sie wohnt im Dachgeschoss auf 43 Quadratmetern. Auf dem Wohnzimmertisch hat sie ein Heft aufgeschlagen. Darin trägt die junge Frau jede einzelne Ausgabe ein: Miete, Rechtsschutz oder Imbiss. Selbst kleinste Beträge von 99 Cent sind dort in einer Tabelle aufgelistet und benannt. "Dass ich so ein bisschen im Blick habe, was ich ausgebe und wie viel ich im Monat übrighabe", sagt sie.

Doch trotz sparsamer Lebensweise - momentan bleibt bei Stefanie kaum etwas übrig. Wie würde für sie also ein fairer Lohn aussehen? "Es wäre in Ordnung, wenn man monatlich immer noch einen Betrag auf die Seite legen könnte", sagt sie. Das kann sie derzeit nur selten. Einen Urlaub hat sie noch nie gemacht.  

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Dieses Thema im Programm:MDR+ | MDR exactly | 05. Februar 2024 | 17:00 Uhr