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"Radweg jetzt": Großbardau will sich nicht länger vertrösten lassen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Demonstration30 Jahre warten: Großbardaus Schüler kämpfen für einen Radweg

15. Mai 2024, 09:03 Uhr

Für viele ist es ein einschneidendes Erlebnis: Die erste Fahrt alleine mit dem Rad zur Schule. Für Schüler des Evangelischen Schulzentrums Muldental in Großbardau ist das aber nur sehr bedingt empfehlenswert. Denn auf der engen Staatsstraße 11 von Grimma nach Großbardau fehlt nach Ansicht der Bürger ein Radweg. Seit mehr als 30 Jahren. Nun machen Schüler und Einwohner ihrem Unmut Luft. Mit einer Demonstration in Grimma. MDR SACHSEN hat der Schule und Straße ohne Radweg einen Besuch abgestattet.

"Ich bin seit 19 Jahren auf dieser Strecke unterwegs. Zum Glück ist noch nichts passiert. Aber die Autofahrer halten oft keinen Abstand ein. Ein Radweg wäre super", sagt David Rottluf. Der Mitarbeiter der Kita "Parthenzwerge" in Großbardau kennt die Route wie seine Westentasche. Er fährt die Staatsstraße 11 zwischen Grimma und Großbardau mit dem Roller derzeit täglich vier Mal. Vor rund fünf Jahren bekam er nach eigenen Angaben einmal einen Autospiegel ab, zum Glück sei es glimpflich ausgegangen.

David Rottluf fährt jeden Tag zweimal zur Kita "Parthenzwerge" nach Großbardau. Bildrechte: MDR/Christian Kerber

Vier Kilometer lange Strecke

Noch hat die vier Kilometer lange S11 zwischen dem 2006 eingemeindeten Großbardau und Grimma keinen Radweg. Dabei kämpft der rund 1.000-Seelen-Ort seit vielen Jahren dafür. Die Staatsstraße hat keinen Mittelstreifen, sie geht rauf und runter, rechts wartet eine wenige Zentimeter tiefer liegende Wiese. Immer wieder fahren Lastwagen, die nicht überholen können, auf Radfahrer auf.

"Seitenstreifen nicht befahrbar": Ein Schild auf der Staatsstraße 11 von Großbardau nach Grimma. Bildrechte: MDR/Christian Kerber

Demo mit 100 Teilnehmern

Die öffentlichen Anstrengungen für den Bau werden nun forciert. Dafür hat die örtliche Politik um Stadtrat und Ortschaftsrat Andreas Wittig und Bürger Steffen Knoll das Evangelische Schulzentrum Muldental mit ins Boot geholt. Am Montag demonstrierten 100 Schüler und Einwohner des Ortes mit einem Radkorso. Dafür fuhren sie von Großbardau bis zum Rathaus Grimma und zurück. 2:20 Stunden dauerte die Demonstration.

Die Fahrrad-Demo begann um acht Uhr in Großbardau und führte zum Rathaus in Grimma. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

"Es geht nichts vorwärts"

Für die Schule koordinierte Englisch- und Französisch-Lehrerin Sarah Müller die nächste Demo nach 2023. MDR SACHSEN sagte sie: "Letztes Jahr kam der Ort auf uns zu. Der Fahrradweg werde seit 30 Jahren gefordert. 'Es geht nichts vorwärts, wir müssen mal wieder etwas tun', hieß es. Wir wurden gefragt, ob wir das Ganze unterstützen möchten."

"Die S11 ist kein sicherer Schulweg"

"Die S11 fungiert aktuell auch als Umleitungsstraße. Da ist reger Verkehr. Die ist eigentlich auch schon für den Autoverkehr nicht breit genug. Ein sicherer Schulweg ist das erst recht nicht", sagt Lehrerin Müller.

Fremdensprachen-Lehrerin Sarah Müller koordiniert am Schulzentrum Muldental das Engagement für den Radweg. Bildrechte: MDR/Christian Kerber

Schüler wären im Alltag mobiler

Den Schülern würde es in ihrer Alltagsmobilität helfen, selbstständig von Zuhause zur Schule zu fahren, nicht "immer auf das Elterntaxi angewiesen" zu sein. Oder auf den Bus.

Förderpädagogin Bernadette Osthoff ist es "wichtig, dass die Eigenständigkeit der Schülerinnen und Schüler gefördert wird. Oft gibt es das Problem, dass die Buszeiten nicht genau passen." Mit einem Radweg wäre es "viel einfacher, selbstständig zur Schule zu kommen."

"Zum Glück fahre ich nicht zur Rush Hour"

Einer der beiden Redner auf der Demo war Bruno Waschulewski. Der 17-Jährige fährt viel Rad und nutzt auch diese Strecke. Wenn auch mit Magengrummeln: "Ich habe Glück, dass ich nicht zur Rush Hour diese Strecke fahre. Im Dunkeln ist es aber auch nicht so toll, da mit einem kleinen Fahrrad entlang zu fahren. Da wird einem schon mulmig. Oder wenn ein Lkw an einem vorbeifährt, dann kann einem das schon Angst machen, wenn da nur 40 Zentimeter zwischen mir und den fetten Rädern sind."

Den Radweg könnten künftig auch Jogger und Fußgänger nutzen, stellt er sich vor. Und es wäre praktisch, so zum Bahnhof nach Grimma zu kommen.

Bruno Waschulewski (li.) und Justus Hultsch fungierten bei der Demo als Schüler-Redner. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

"Gab einige Unfälle in den letzten Jahren"

Sein Mitredner, der 14-jährige Justus Hultsch, berichtet: "Es gab einige Unfälle in den letzten Jahren mit Schwerverletzten und Toten auf der S11 zwischen Großbardau und Grimma, auch in Verbindung mit Radfahrern. Weil Radfahrer übersehen wurden oder Autofahrer zu schnell gefahren waren."

Auch Lenja Friedrich (14) demonstrierte: "Für mich würde es sich anbieten, wenn ich zu Freunden oder zu meinem Hobby mit dem Fahrrad fahre. Dann müssten mich meine Eltern nicht fahren." Sie glaubt, dass "wir auf den Radweg noch mehr aufmerksam machen müssen". So dass die Politik sehe, dass "wir das ernst meinen".

Lenja Friedrich und Bruno Waschulewski vom Evangelischen Schulzentrum Muldental nahmen an der Demo teil. Bildrechte: MDR/Christian Kerber

Ausweichstrecke durch Wald und Industriegebiet wird abgelehnt

Aus dem Verkehrsausschuss der Stadt Grimma kam der Vorschlag, eine andere Strecke nach Grimma zu nutzen. Diese führt über Waldbardau und sei nur 600 Meter weiter. Um die 600 Meter geht es Lehrerin Sarah Müller aber nicht: "Dort ist die Strecke ebenfalls eng, dann kommt ein Wald, es geht über Stock und Stein, und es folgt ein Industriegebiet mit Rechts vor Links. Wenn das ein sicherer Schulweg sein soll, dann weiß ich auch nicht."

Schüler und Radfahrer Bruno Waschulewski sagt: "Die Ausweichstrecke ist eine Hubbelstraße mit Betonplatten und fetten Schlaglöchern."

Ein Plakat auf der Fahrrad-Demo für den Radweg von Großbardau nach Grimma. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Grimmas OB Berger: "Wissen nicht, wann sie gebaut wird"

Grimmas Oberbürgermeister Matthias Berger (parteilos) sagte MDR SACHSEN: "Wir begrüßen natürlich, dass der Radweg hoffentlich irgendwann einmal kommt, aber das liegt alleine in der Verantwortung der Staatsregierung." Die Enttäuschung der Anwohner resultiere alleine daraus, dass bei einer Versammlung 2016 Erwartungen geweckt worden seien, dass der Radweg 2018 parallel zur Staatsstraße fertig sei: "Das ist aber nicht passiert".

Positiv sei, dass der Radweg nun auch in Grimma fortgeführt werden soll. Man habe eine Verbesserung im Planungsstand, wisse aber immer noch nicht, wann die Strecke gebaut wird.

Radweg wird seit 1993 gefordert

Die Ortspolitik hat tatsächlich schon eine Chronik zum Radweg aufgesetzt.

  • Die ersten Forderungen seien von Bürgern kurz nach der Wende 1993 gekommen.
  • Im Zuge der Eingemeindung nach Grimma 2006 sei der Radweg offiziell als Priorität eins eingestuft worden.
  • 2012 hätten einzelne Einwohner von Großbardau erstmals demonstriert.
  • 2022 sei das Planfestellungsverfahren beantragt worden.
  • Im April 2023 und jetzt im Mai 2024 gab es weitere Demos.

Auch in den kommenden Monaten sind laut der Schule weitere Aktionen geplant. Und politisch? Derzeit müsse wohl erst die Ortsdurchfahrt Grethen, rund fünf Kilometer von Grimma entfernt, realisiert werden, glaubt der Ortschaftsrat von Großbardau. Dann könnte der Radweg an die Reihe kommen.

Eventuell 2028, aber der Zeitpunkt ist mehr eine Spekulation. Verbunden werden soll er offenbar mit einem Ausbau der Staatsstraße. Die wurde 2012 auch schon einmal erneuert - ohne Radweg.

Die Bürger von Großbardau hoffen schon lange auf den Radweg. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

"In Zeiten der Verkehrswende nicht mehr akzeptabel"

Lehrerin Sarah Müller verliert so langsam die Geduld: "Der Radweg ist an den Ausbau der Staatsstraße geknüpft und solange die nicht erneuert und ausgebaut wird, findet halt auch der Radwegbau nicht statt. Das ist sehr langwierig und bürokratisch. Das braucht seine Zeit, aber in Zeiten der Verkehrswende ist das eigentlich nicht mehr akzeptabel."

Großbardau plant weitere Aktionen in der kommenden Zeit. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Strecke im Selbstversuch

Bekommt der, der mit dem Rad nach Grimma, der selbsternannten "Perle im Muldental", über die Staatsstraße 11 kommt, Schweißperlen auf die Stirn? Ein Selbstversuch verläuft unfallfrei, ein unangenehmes Gefühl aber begleitet die gesamte Strecke dennoch. Immerhin: Die Fahrer der Lastkraftwagen scheinen sich der Situation bewusst zu sein. Zwei fahren jeweils hinter dem Reporter her. Ohne Hupen. Als ich die Geduld verliere und hinter dem Ortsschild Grimma in eine Einfahrt fahre, bedankt sich der Fahrer des Lkw für das Vorbeilassen.

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Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten aus dem Studio Leipzig | 13. Mai 2024 | 14:30 Uhr

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