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In öffentlicher Sitzung werden Beweise durch die Anhörung von Zeugen bezüglich der Entwicklung und Strukturen politisch motivierter Gewaltkriminalität in Thüringen sowie zur Entwicklung und Ausmaß politisch motivierter Gewaltkriminalität allgemein und im Freistaat Thüringen vernommen. Der Zeuge, der Bundesvorsitzende der Werteunion, Hans-Georg Maaßen, mit seinem Rechtsbeistand Prof. Dr. Ralf Höcker. Bildrechte: IMAGO/Jacob Schröter

ExtremismusVernehmung abgebrochen: Eklat im Untersuchungsausschuss "Politische Gewalt"

25. Oktober 2023, 16:42 Uhr

Ein ehemaliger Verfassungsschutz-Präsident und ein vormaliger Linksextremist haben am Dienstag im Untersuchungsausschuss "Politische Gewalt" ausgesagt. Neue Erkenntnisse haben die Vernehmungen nicht gebracht. Dafür sorgte der Ex-Verfassungsschützer für einen Eklat.

von Bastian Wierzioch, MDR THÜRINGEN

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Ein ehemaliger Verfassungsschutz-Präsident und ein ehemaliger Linksextremist sagten am Dienstag im Untersuchungsausschuss "Politische Gewalt" im Thüringer Landtag aus. Neue Erkenntnisse haben die Vernehmungen nicht gebracht. Dafür sorgte der Ex-Verfassungsschützer für einen Eklat.

Die Vernehmung war schneller vorbei als erwartet. Dafür gesorgt hatte der ehemalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen. Bei seiner Befragung als sachverständiger Zeuge im Untersuchungsausschuss "Politische Gewalt" im Thüringer Landtag hatte er Ministerpräsident Bodo Ramelow und dessen Linkspartei als "linksextrem" bezeichnet sowie dem Präsidenten des Thüringer Verfassungsschutzes die fachliche Eignung abgesprochen. Das Fass zum Überlaufen brachte schließlich Maaßens Anwalt, Ralf Höcker, mit einem Diktaturvergleich.

Der Reihe nach: Begonnen hatte der Tag im Thüringer Landtag mit einem Spürhund, Taschenkontrollen wie am Flughafen und mehreren Dutzend Polizeibeamten auf den Fluren des Parlaments. Die Befürchtung hinter den erhöhten Sicherheitsvorkehrungen: Militante Linke könnten einem der beiden Zeugen des Tages, Johannes D., etwas antun. Der 31-jährige gelernte Erzieher ist aus der linksradikalen Szene ausgestiegen und gilt dem Milieu heute als Verräter.

Zuvor gehörte er zum inneren Zirkel einer militanten Gruppe, zu der auch die Leipzigerin Lina E. zählt. Dem Bundesamt für Verfassungsschutz hat er sich als Informant zur Verfügung gestellt. Im Lina E.-Verfahren vor dem Dresdner Oberlandesgericht hat er als Kronzeuge ausgesagt. Heute befindet er sich im Zeugenschutzprogramm des sächsischen Landeskriminalamtes.

Keine Fragen von Rot-Rot-Grün

Johannes D. war auf Antrag der CDU-Fraktion in den Ausschuss geladen worden. Das Gremium soll die Entwicklung politisch motivierter Gewaltkriminalität in Thüringen in den vergangenen zehn Jahren untersuchen und der Frage nachgehen, wie die Sicherheitsbehörden damit umgegangen sind. Dem Ausschuss gehören Abgeordnete der Fraktionen von CDU, AfD sowie der rot-rot-grünen Minderheitskoalition an.

In den bisherigen Ausschusssitzungen seit Mai 2022 ging es schwerpunktmäßig um Rechtsextremismus. Über mutmaßliche linksextremistische Strukturen in Thüringen hingegen wurden keine neuen Erkenntnisse zu Tage gefördert. Ein Umstand, der sich auch mit der Aussage des ehemaligen Linksextremisten nicht ändern sollte.

Konkret befragt wurde Johannes D. ausschließlich von den AfD- und CDU-Vertretern im Ausschuss. Die Abgeordneten der Regierungsfraktionen hingegen stellten ihm keine Fragen. Dabei fiel auf, dass sich die AfD- und CDU-Ausschussmitglieder fast ausschließlich für die Straftaten der Leipziger Gruppe um Lina E. interessierten. So fragten die Abgeordneten etwa nach verwendeter Verschlüsselungs-Technologie für Handys und Computer, nach Kampfsporttraining vor den Anschlägen oder nach der Art der Schlagwerkzeuge bei einem Überfall in Eisenach.

Johannes D. war dort als "Späher" mit dabei gewesen, als im Dezember 2019 der Rechtsextremist und Kneipenwirt Leon R. angegriffen wurde. Das Landgericht Meiningen verurteilte D. deswegen wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe. Insgesamt hatte die Bundesanwaltschaft der Gruppierung um Lina E. sieben gewalttätige Überfälle auf Rechtsextremisten vorgeworfen.

Fragen am Thema vorbei

Nach mutmaßlichen linksextremistischen Strukturen in Thüringen allerdings - einem Schwerpunkt des eigentlichen Untersuchungsauftrags - fragten die AfD- und CDU-Vertreter kaum und vor allem nicht hartnäckig. Beispiel:

Frage: "Gab es Rückzugsorte der linksextremen Szene in Eisenach?"

Antwort: "Gab es nicht."

Frage: "Welche Verbindungen in die Thüringer linksextreme Szene hatten die Angreifer in Eisenach?"

Antwort: "Keine."

Frage: "Was war das Ziel der Angreifer?"

Antwort: "Rechtsextremisten nachhaltig schädigen und am besten zur Aufgabe zu bewegen."

Auf diese Weise wurde in D.s Vernehmung tatsächlich nur das besprochen, was bereits öffentlich bekannt war. Dazu teilte die Linke-Abgeordnete Katharina König-Preuss im Anschluss mit: "Die heutige Anhörung hatte keinerlei Relevanz, keinerlei Mehrwert für den Untersuchungsausschuss, alles wurde bereits mehrfach im Prozess in Dresden sowie in unterschiedlichsten medialen Formaten berichtet."

Katharina König-Preuss ist Abgeordnete der Linken in Thüringen. Bildrechte: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Markus Schreiber

Maaßen-Vernehmung abgebrochen

Am Nachmittag: Auftritt Hans-Georg Maaßen. Vor dem Sitzungssaal des Untersuchungsausschusses, der medial sonst wenig Beachtung findet, bringen sich mehrere Fotografen und ein Kamerateam in Stellung. Die Reihen der Zuschauer sind deutlich voller als bei allen vorausgegangenen Sitzungen. Und Maaßen kommt nicht allein. Er hat Ralf Höcker mitgebracht. Der Rechtsanwalt vertritt auch die AfD vor dem Bundesverfassungsgericht. Maaßen selbst gehört der CDU an.

Der Zeuge, der Bundesvorsitzende der Werteunion, Hans-Georg Maaßen, mit seinem Rechtsbeistand Prof. Dr. Ralf Höcker. Bildrechte: IMAGO/Jacob Schröter

Sein Parteiausschluss wegen zahlreicher rechtspopulistischer Aussagen wurde im Juli in der ersten Instanz vom zuständigen Kreisparteigericht abgelehnt. Ob die Bundes-CDU die nächste Instanz anruft, ist offen. Heute arbeitet Maaßen als Rechtsanwalt in Mönchengladbach. Von 2012 bis 2018 war er Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Als sachverständigen Zeugen in den Untersuchungsausschuss hatte ihn die AfD-Fraktion berufen.

Doch zu Maaßens eigentlicher Befragung kam es nicht. Bereits während seines Eingangsstatements wurde die Sitzung mehrfach unterbrochen und die Vernehmung schließlich ganz abgebrochen. Denn in seiner Vorbemerkung hatte Maaßen den Thüringer Ministerpräsidenten Bodo Ramelow sowie dessen Linkspartei als "linksextrem" bezeichnet.

Wörtlich sagte er, während seiner Amtszeit habe dem Bundesamt für Verfassungsschutz der "legalistische Linksextremismus große Sorge bereitet, da mit Bodo Ramelow und seiner Partei Linksextremisten in diesem Land regiert" hätten.

Bodo Ramelow spricht beim Festakt zu 30 Jahren Thüringer Verfassung auf der Wartburg. Bildrechte: picture alliance/dpa | Bodo Schackow

Zudem sprach der ehemalige Verfassungsschützer dem aktuellen Leiter des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, die Eignung für dessen Amt ab. Kramer sei eine "Persönlichkeit, die nicht über die notwendigen fachlichen Voraussetzungen für die Leitung einer Landesbehörde" verfüge, sagte der Ex-Präsident.

Die Linke-Abgeordnete König-Preuss warf Maaßen daraufhin vor, die Landesregierung und Kramer zu diskreditieren. Ramelow war jahrelang vom Bundesverfassungsschutz beobachtet worden. Das Bundesverfassungsgericht entschied jedoch, dass dies verfassungswidrig war.

Bis dahin hatte es der Ausschutzvorsitzende Raymond Walk (CDU) bei Sitzungsunterbrechungen und Ermahnungen zur Sachlichkeit belassen. Als aber Maaßens Anwalt Ralf Höcker dieses Vorgehen mit den Zuständen im Justizapparat der DDR verglich, platzte sogar dem sonst ausgesprochen höflichen Vorsitzenden der Kragen.

Die Entscheidungen für den Abbruch und Maaßen nicht noch einmal einzuladen, waren richtig.

Raymond Walk | CDU

Raymond Walk, Abgeordneter und Innenpolitiker der CDU-Landtagsfraktion, spricht im Landtag. Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Martin Schutt

Kurz darauf wurde die Vernehmung - unter Protest der AfD - abgebrochen. Die Stimmen dafür in der nicht-öffentlichen Abstimmung kamen von Rot-Rot-Grün. Die CDU enthielt sich. Auf Anfrage von MDR THÜRINGEN teilte der CDU-Abgeordnete Walk allerdings mit: "Die Entscheidungen für den Abbruch und Maaßen nicht noch einmal einzuladen, waren richtig."

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MDR (baw/cfr)

Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 24. Oktober 2023 | 19:00 Uhr

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