OstalgieDas Staatstheater Meiningen sagt "Good Bye, Lenin"
Als Kinofilm war "Good Bye, Lenin" ein großer Erfolg. Nun ist eine Theaterversion erstmals auf einer ostdeutschen Bühne zu sehen, der Westen war hier schneller. Unser Kritiker zeigt sich von der Inszenierung nur mäßig begeistert. Neben handwerklichen Mängeln stellt sich auch die Frage, ob der Stoff 20 Jahren nach der Filmpremiere noch zeitgemäß ist.
- Schon vor der Aufführung von "Good Bye, Lenin" werden die Besucher mit DDR-Flair empfangen.
- Die Inszenierung orientiert sich am gleichnamigen Kinofilm, es gibt aber handwerkliche Schwächen.
- Beim Rezensenten stellen sich Momente des Fremdschämens ein und die Frage steht im Raum, ob die Zeit nicht über den Stoff hinweggegangen sei.
Wenn das kein Timing ist – am 21. Januar 2024 jährt sich der Todestag von Wladimir Iljitsch Lenin zum 100. Mal. Passgenau dazu heißt es in Meiningen nun "Good Bye, Lenin".
Die erfolgreiche Kinokomödie mit Katrin Saß und Daniel Brühl aus dem Jahr 2003 hat den Weg auf die Bühne gefunden. Nicht zum ersten Mal. Das Stück, vom Drehbuchautor des Films, Bernd Lichtenberg, geschrieben, wurde im vergangenen Jahr schon in Dinslaken und Esslingen inszeniert. Nun zieht also auch ein Theater aus dem Osten nach und dabei alle ostalgischen Register.
Hammer, Sichel, Mummenschanz
Vor dem Theater wurde eine riesige DDR-Fahne gehisst, am Portal feiert man mit einem Banner "75 Jahre DDR". Aus den quäkenden Lautsprechern eines Volkspolizei-Barkas werden die Besucher mit kämpferischen Liedgut beschallt.
Drinnen im Theater gibt es nicht die übliche Karten-, sondern eine stilechte Grenzkontrolle. Im Gegensatz zum echten antifaschistischen Schutzwall, lässt sich diese Eingangsbarriere allerdings von allen, die das nicht so mögen, relativ leicht umgehen.
Lenins eiskaltes Händchen
Der Einstieg auf der Bühne weiß dann aber zu überzeugen. Im prächtig restaurierten neoklassizistischen Meininger Theatersaal erklingt Henry Purcell. Sein "Cold Song", diese stakkatohaft sich steigernde hymnische Musik voller Emotionen. In der linken Proszeniumsloge singt ein Pionierchor mit. Aus der Rechten winken huldvoll schwarz gekleidete Gestalten. Sind's die Honeckers oder das Ehepaar Ceausescu mit ihrer Entourage?
Egal, die Leiche, die dazu aus dem Theaterkeller hochfährt, ist ganz eindeutig Lenin. So wie er in seinem Mausoleum liegt. Doch hier in Meiningen bewegt er plötzlich sein eiskaltes Händchen. Richtet sich auf und singt: "Let me, let me, let me freeze again to death". Doch bevor er sich zu Tode friert, zieht er noch den roten Bühnenvorhang zur Seite und wir blicken in ein ramponiertes, völlig runtergekommenes Theater. Willkommen in einem untergehenden Land namens DDR. Auf das die Meininger des Jahres 2024, fein angezogen, aus ihrem bequemen Gestühl in den nächsten zweidreiviertel Stunden schauen dürfen.
Film ab auf dem Theater
Wir erleben die originale Handlung des Films, seine Figuren, Szenen, Dialoge. Diesen verzweifelten Versuch, ein falsches Leben im richtigen zu erhalten. Sich gegen die Zeit zu stemmen.
Der Film konnte dabei mit seiner herrlichen Ironie überzeugen. Mit Schauspielern, die dieses Jonglieren mit den Elementen Komik und Tragik, Unsinn und Wahrhaftigkeit beherrschten.
Doch die Ruhe und Sorgfalt, schauspielerisch so etwas zu entwickeln, wird von Regisseur Thomas Dannemann hier kaum jemandem zugestanden. Das ist eine allzu wilde Hatz durch Texte und Situationen, bei der sich der Eindruck aufdrängt, dass Regie und Darsteller nicht immer beieinander waren.
Ein echtes handwerkliches Problem ist die Textverständlichkeit. Was meiner Meinung nach nicht nur daran lag, dass man hier locker nuschlig berlinern sollte, sondern dem einen oder der anderen irgendwie die Haltung zur Rolle fehlte.
Alter Film in neuen Schläuchen
Unwillkürlich steht die Frage im Raum, ob die Zeit über diesen Stoff nicht hinweggegangen ist. Dem versucht man beizukommen, in dem die ganze Entwicklung aus heutiger Sicht hinterfragt wird. Hätte das mit der Wiedervereinigung nicht besser laufen können?
Und da erfindet man dann eine kabarettistische Birgit Breuel dazu, die den jammernden Ossis die marktwirtschaftlichen Leviten liest. Da kommt Beifall aus der Kurve der ewig Gekränkten, die umso mehr klatschen, wenn das Ensemble zu "Unsere Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer" eine bekloppte Choreografie hinlegen darf.
Da kamen bei mir dann erste Momente des Fremdschämens auf – und dann wurde mir ganz mulmig, als das Publikum aufgefordert wurde, jetzt doch mal die vielleicht bessere Nationalhymne mitzusingen, die man sich 1990 ja hätte geben können – Brechts Kinderhymne. "Der Text steht auf Seite 26 im Programmheft, fordert der Vorsänger auf der Bühne auf, und dann singen sie. Oben auf der Bühne, was die Chance zum Mitsingen gewesen wäre. Für alle, die das wirklich besser finden.
Aber keiner tat's und sitzen sind auch alle geblieben. Soweit hat die beseelende Kraft dieses Theaterabends dann doch nicht gereicht.
Lenins letzte Frage
Nachdem auch die vom Stück beschworene Illusion, dass Erich Honecker am 7. Oktober 1989 ein Einsehen gehabt hätte, um Sigmund Jähn, den Mann mit dem kosmischen Weitblick die Amtsgeschäfte im Sinne eines menschlichen Sozialismus zu überlassen, von einem Unwetter hinweggefegt wurde, herrscht schlussendlich gähnende Leer auf der Bühne.
Nur einer schaut sich das Chaos sprachlos, schulterzuckend an und fragt mit Lenin: Was tun? Meine Antwort ans Meininger Theater: Bitte mit den wirklichen Problemen unserer Tage beschäftigen.
Quelle: MDR KULTUR (Wolfgang Schilling), Redaktionelle Bearbeitung: op
Die AufführungGood Bye, Lenin!
Stück von Wolfgang Becker, Bernd Lichtenberg
nach dem Film von Wolfgang Becker und Bernd Lichtenberg
Regie: Thomas Dannemann
Bühne: Justus Saretz
Kostüme: Cornelia Kraske/Ariana Moll
Musik: Matthias Flake
Mit
Jan Wenglarz als Alexander Kerner
Pauline Gloger als Ariane Kerner
Evelyn Fuchs als Christiane Kerner
Gunnar Blume als Robert Kerner, Birgit Breuel, Sandmann
u.a.
Staatstheater Meiningen
Bernhardstraße 5, 98617 Meiningen
Termine:
Sonntag, 21.01.2024 | 18:00 Uhr | Großes Haus
Samstag, 27.01.2024 | 19:30 Uhr | Großes Haus
Mittwoch, 07.02.2024 | 19:30 Uhr | Großes Haus
Donnerstag, 29.02.2024 | 19:30 Uhr | Großes Haus
Samstag, 09.03.2024 | 19:30 Uhr | Großes Haus
Sonntag, 24.03.2024 | 15:00 Uhr | Großes Haus
Sonntag, 31.03.2024 | 15:00 Uhr | Großes Haus
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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 20. Januar 2024 | 12:10 Uhr