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Medienvertreter, Polizisten und Justizbeamte beim Prozessbeginn um mutmaßliche Mitglieder der Neonazi-Schlägertruppe Knockout 51. Doch auch Rocker und Neonazis besuchten den Prozess. (Archivfoto) Bildrechte: MDR/Wolfgang Hentschel

Neonazi-ProzessHochrangiger Rocker beim Prozess gegen "Knockout 51" in Jena

28. August 2023, 08:55 Uhr

Am Oberlandesgericht Jena wird mutmaßlichen Mitgliedern der Neonazi-Schläger-Truppe "Knockout 51" der Prozess gemacht. Beim Auftakt waren auch Neonazis sowie Mitglieder eines Rocker-Clubs dabei. Die Hintergründe:

von Johanna Hemkentokrax, MDR THÜRINGEN

In Jena läuft derzeit ein Prozess gegen vier mutmaßliche Mitglieder der Neonazi-Schläger-Truppe "Knockout 51" unter anderem wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Die Bundesanwaltschaft wirft den Männern vor, Jagd auf Linke gemacht zu haben - mit der Absicht zu töten. Nach MDR THÜRINGEN-Informationen pflegen mutmaßliche Mitglieder der Gruppe bis heute gute Kontakte in die Organisierte Kriminalität.

"Heute die Brüdas von KO51 unterstützt", heißt es auf dem Foto, das der Dortmunder Neonazi Steven F. noch am Tag des Prozessauftakts vergangene Woche auf Instagram postete. Das Foto zeigt eine Gruppe Neonazis und Rocker aus dem Ruhrgebiet, die vor dem Schild des Thüringer Oberlandesgerichts Jena posieren.

Dass die Dortmunder Gruppe aus Rockern und Neonazi-Gewalttätern zum Prozessauftakt Mitte August gegen die mutmaßlichen Neonazi-Schläger nach Jena gereist war, sei kein Zufall gewesen, sagt Felix Steiner von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Thüringen (Mobit). Vielmehr unterstreiche die Unterstützung aus dem Ruhrgebiet die Einbindung von "Knockout 51" in bundesweite Netzwerke. "Hierzu zählen in erster Linie die Dortmunder Kampfsport-Netzwerke rund um das rechtsextreme Szene-Event 'Kampf der Nibelungen', bei dem Knockout als offizielle Unterstützerstruktur galt und Mitglieder auch als Kämpfer angetreten sind", erklärt Steiner weiter.

Neben mehreren einschlägig polizeibekannten Neonazis aus Dortmund waren nach MDR-Informationen auch mindestens zwei Mitglieder des sogenannten "Ghost Gang MC", eines einschlägig polizeibekannten Rocker-Clubs aus Wuppertal, zur Unterstützung der Angeklagten nach Jena gereist.

Hochrangiger Rocker reiste zum Prozess nach Jena

Einer der Rocker, Benjamin Sch. ist nach MDR THÜRINGEN-Informationen sogenannter Secretary, also ein hochrangiges Mitglied des Clubs, der sich vor Jahren von den "Bandidos" abgespalten hatte. Fotos, die dem MDR THÜRINGEN vorliegen, zeigen Sch. mit der Tätowierung "BffB" auf dem Arm, in der Rocker-Szene steht das für "Bandidos forever, forever Bandidos". Der "Ghost Gang MC" sorgte in der Vergangenheit unter anderem mit Drogengeschäften für Schlagzeilen. Laut Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen besteht der Club in seiner heutigen Form seit 2003 und wird der nordrhein-westfälischen Rockerszene zugeordnet.

Auf Anfrage heißt es von der Behörde weiter, "bei einem diesjährigen Season Opening des 'Ghost Gang MC' konnten neben einem Mitglied des 'Ghost Gang MC' mit Bezügen zum Rechtsextremismus auch Mitglieder der rockerähnlichen rechtsextremistischen Gruppierung 'Brothers of Honour' festgestellt werden. Ebenfalls anwesend war der Frontmann der als rechtsextremistisch eingestuften Band 'Oidoxie' aus Dortmund." Bezüge nach Thüringen, die über die Anhängerschaft von Einzelpersonen mit Geburtsort und/oder Wohnsitznahme in Thüringen hinausgehen, sind dem LKA Nordrhein-Westfalen nicht bekannt.

Weitere Vernetzung trotz Ermittlungsverfahren

Ein Foto, das der Redaktion vorliegt, zeigt Sch. gemeinsam mit dem Dortmunder Neonazi-Musiker Marco Gottschalk und den mutmaßlichen "Knockout 51"-Mitgliedern Nils A. und Benjamin S. bei einem Treffen beim "Ghost Gang MC" in Wuppertal. Gegen die letztgenannten Männer aus Thüringen ermittelt die Bundesanwaltschaft nach MDR-THÜRINGEN-Informationen im Zuge gesonderter Verfahren gegen Mittäter und Unterstützer von "Knockout 51". Das Gruppen-Foto hatte Rocker-Kader Sch. erst im April 2023 selbst bei Instagram gepostet.

Benjamin Sch. und "Oidoxie"-Chef Marco Gottschalk, dessen Band sich im engsten Kreis um die in Deutschland verbotenen Neonazi-Netzwerke "Blood & Honour"/"Combat 18" bewegt, waren nach MDR-Informationen immer wieder zu Gast im Eisenacher "Flieder Volkshaus", der Landesgeschäftsstelle der NPD, heute "Die Heimat". Dort tauchten auch Neonazis mit Bekleidung mit dem Logo der "Brothers of Honour" auf. Szenekenner vermuten hinter den "Brothers of Honour" eine Art Nachfolgestruktur für die verbotenen "Combat 18"/"Blood & Honour"-Netzwerke. Auch Mitglieder von "Knockout 51" waren bei diesen konspirativen Treffen immer wieder anwesend.

Forscher: Vorterroristisches Milieu

Sichtbar wurden die Verbindungen zwischen Rockern, Hooligans und Neonazis in den vergangenen Jahren auch immer wieder bei Neonazi-Aufmärschen im Ruhrgebiet, Neonazi-Kampfsport-Events und Anlässen wie der Beerdigung des Dortmunder Neonazi-Kaders Siegfried Borchardt, zu der Rechtsextreme, Rocker und Hooligans aus dem gesamten Bundesgebiet anreisten. Auch mutmaßliche Mitglieder von "Knockout 51" waren zu diesen Anlässen in den vergangenen Jahren immer wieder ins Ruhrgebiet gereist.

In Dortmund hat sich in den vergangenen Jahrzehnten eine gefährliche Mischszene aus Neonazi-Gruppen, Rocker-Clubs, Hooligans und rechtsextremen Kampfsportlern entwickelt. Der Rechtsextremismus-Forscher und Buchautor Robert Claus sagte dem MDR THÜRINGEN, die Szenen bildeten gemeinsam ein männerbündisches Gewaltmilieu, in dem gewalttätiges Handeln ein entscheidender Faktor für den Aufstieg in der Hierarchie darstelle. "Dabei bringen Hooligans primär ihre Gewalterfahrungen, Neonazis ihre Ideologie und Rocker ihr Wissen um den Aufbau von Geschäftsstrukturen ein. Daraus resultiert eine sehr gefährliche Mischung aus menschenverachtender Ideologie, Gewaltkompetenz und Finanzstrukturen." Letztlich handle es sich um ein präterroristisches Milieu, das stetig versuche, seine Strukturen zu professionalisieren.

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MDR (rom)

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | Nachrichten | 28. August 2023 | 06:00 Uhr

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