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Der Stör ist vom Aussterben bedroht. Fünf Arten leben noch in der Donau in Rumänien, sind aber stark dezimiert. Eine ist bereits ausgestorben. Bildrechte: IMAGO / Nature Picture Library

Wird der Stör aussterben?Rumänien: Kampf gegen die Kaviar-Mafia

10. Januar 2023, 15:58 Uhr

Kaviar gilt weltweit als Delikatesse. Dabei handelt es sich eigentlich um Fischeier – und die Fische, von denen sie stammen, sind wegen des Kaviarfiebers vom Aussterben bedroht. Im rumänischen Donau-Delta spielt sich gerade ein verzweifelter Kampf ab – um die Rettung der Störe und gegen die rumänische Kaviar-Mafia, die sich nicht an das Fangverbot hält.

von MDR Osteuropa-Redaktion

Es ist fast ein idyllisches Bild, wenn sich das blau-weiß lackierte Polizeiboot durch das Donau-Delta seinen Weg bahnt. Der Fluss hat hier unzählige Seitenarme gebildet, ein regelrechtes grünes Labyrinth aus Baumkronen und Sträuchern, die die Ufer säumen. Fast könnte man meinen, dass Freizeitsegler hier ihre Runden drehen, wären die schwarzen Westen mit dem Schriftzug "Polizei" nicht da. Die beiden Beamten an Bord sollen der rumänischen Kaviar-Mafia das Handwerk legen, die die Stör-Bestände im Donaudelta dezimiert. Doch allzu oft haben sie das Nachsehen.

Störe in der Donau

Störe gehören zu den ältesten noch lebenden Tieren der Welt – seit der Zeit der Dinosaurier bevölkern sie die Gewässer. Der Beluga-Stör gilt zudem als der größte Süßwasserfisch in Europa – das größte jemals gefangene Exemplar war mehr als sieben Meter lang und gut eineinhalb Tonnen schwer.

Auch auf dem menschlichen Speisezettel haben die Fische eine lange Tradition. Archäologen konnten nachweisen, dass Störe schon um 3.500 v. Chr. an der Donau gefischt wurden und römischen Legionären als Nahrung dienten. Die ersten schriftlichen Belege für den Störfang stammen aus dem 11. Jahrhundert – damals trugen die Fische zur Ernährung der Kreuzfahrerheere bei, die ins Heilige Land zogen.

Heute leben noch fünf Störarten leben in der Donau: Sterlet, Hausen (auch Beluga genannt), Sternhausen, Glattdick und Waxdick. Nur der Sterlet verbringt sein ganzes Leben im Süßwasser, die übrigen vier Arten leben als erwachsene Tiere im Schwarzen Meer, kehren aber zum Ablaichen immer wieder ins Süßwasser der Donau zurück. Einst wanderten sie sogar bis nach Regensburg, doch seitdem große Staudämme aus den Siebziger- und Achtzigerjahren die Donau zerschneiden, ist bereits nach einigen Hundert Kilometern flussaufwärts Endstation.

"Manche Wilderer, die hier Fische wie den Stör fangen, haben richtige Schnellboote mit starken Motoren, 350 PS, über 100 Stundenkilometer schnell. Unser bestes Boot schafft 80, also ist es für uns praktisch unmöglich, solche Wilderer zu verfolgen", berichtet Gabriel Medeuru in einer ARD-Weltspiegel-Reportage.

Stör im Aquarium: Sind die Tage der "Wasserdinosaurier" gezählt? Bildrechte: imago/Nature Picture Library

Dabei ist der Stör im Donaudelta vom Aussterben bedroht. Schuld ist die Gier nach Kaviar, also Störrogen, der als Delikatesse gilt. Neben Überfischung setzen menschliche Eingriffe in die Natur die Population unter Druck. Staumauern von Wasserkraftwerken haben die Wanderrouten der Störe zerschnitten – dabei müssen die Fische wandern, um sich fortpflanzen zu können. Auch durch die Flussregulierung wurde ein großer Teil ihrer Brut- und Jagdreviere zudem trockengelegt. Eine der sechs hiesigen Störarten ist bereits ausgestorben, vier weitere stehen laut WWF kurz davor.

Mit rund 5.000 Quadratkilometern Fläche ist das Donau-Delta doppelt so groß wie das Saarland und würde immerhin ein Drittel der Fläche von Thüringen einnehmen. Bildrechte: IMAGO/imagebroker

Um diese Katastrophe doch noch abzuwenden, wurde der Störfang in Rumänien 2006 verboten und ein Wiederbesiedlungsprogramm mit Fischen aus künstlicher Aufzucht eingeleitet. Doch die Lage bessert sich kaum – auch deshalb, weil es nicht gelingt, Wilderern und illegalen Kaviarhändlern das Handwerk zu legen.

Um den Druck auf die wild lebenden Fischbestände zu verringern, wird Kaviar in speziellen Störfarmen produziert. Eine davon leitet Marilena Maereanu. Wer Störe züchte, brauche viel Geduld, berichtet sie. Männchen sind erst mit acht Jahren geschlechtsreif, Weibchen mit zehn.

Wir treffen die Biologin bei einer Ultraschalluntersuchung an. Sie zieht gerade ein Weibchen aus dem Wasser, um sein Entwicklungsstadium zu bestimmen. Das Ergebnis: Die Eierstöcke sind noch nicht reif, werden aber wahrscheinlich im kommenden Jahr soweit sein. "Bei der Kaviar-Produktion arbeiten wir nur mit künstlicher Befruchtung. Das geht mit Besamung oder hormoneller Stimulation", sagt Maereanu und zeigt uns Dosen mit Kaviar aus eigener Herstellung: "100 Euro für 100 Gramm oder 50 Euro für eine 50-Gramm-Dose. Das ist der Erzeugerpreis. Im Einzelhandel würde dieser Kaviar doppelt so viel kosten." Auf dem Schwarzmarkt, wo Stör-Eier von frei lebenden Fischen gehandelt werden, zahlt man ein Mehrfaches davon – mehrere Tausend Euro pro Kilo. Dabei müssen Wilderer weder Futter, noch Stromrechnungen, noch Personalkosten bezahlen, die in einer solchen Störfarm anfallen.

Fischzucht und Kaviarproduktion in Störfarmen sollen den Druck auf die wildlebenden Bestände verringern. Außerdem werden hier Jungfische für die Wiederansiedlung im Fluss gezüchtet. Bildrechte: imago/Nature Picture Library

Mit den Erträgen aus der Kaviarproduktion finanziert Maereanu ihre Arbeit an einem Forschungsprojekt zur Wiederansiedlung des Störs in der Donau: "Was wir mit der Fischzucht verdienen, investieren wir wieder in die Forschung. Es geht nicht um viel Geld."

Die Einheimischen sehen das Fangverbot oft kritisch. Der Störfang ist in den Donau-Dörfern eine Tradition und Teil der lokalen Identität – auch deshalb ist es schwer, dagegen anzukämpfen. Denn Aquakulturen wie die von Marilena Maereanu mögen zwar Fischfleisch und Kaviar als Lebensmittel liefern, den kulturellen und identitätsstiftenden Aspekt des Störfangs können sie aber nicht ersetzen.

Alte Fischerhütten im Donau-Delta in Rumänien versprühen einen exotischen Charme. Bildrechte: imago images / blickwinkel

Mirel Efimov lebt in Sfântu Gheorghe, einem ehemaligen Fischerdorf, das nur mit dem Boot zu erreichen ist. Sein Vater und Großvater waren Fischer – weil fast alle hier vom Störfang und dem Kaviar-Geschäft lebten. Jetzt schippern die Umtriebigeren wie Efimov in ihren Booten Touristen durch die Gegend. Das strenge Störfangverbot treffe die Falschen, meint er – es würden nur die kleinen Wilderer erwischt, z.B. alte Männer, die mal nach alter Sitte ein Netz ausgeworfen haben. Diejenigen aber, die Störe in großem Still fangen, kämen ungeschoren davon.

Das bestätigt auch der Polizist Gabriel Medeuru: Die Kaviar-Mafia sei der Polizei überlegen, nicht nur wegen ihrer schnelleren Boote, sondern auch weil sich die Wilderer per Funk warnten, sobald das Polizeiboot im Hafen ablege. Doch eine alte Polizistenweisheit gibt ihm dennoch Kraft: Zehnmal mögen die Wilderer entkommen, aber einmal werden wir sie erwischen. Ob das den vom Aussterben bedrohten Fischen hilft?

(baz)

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Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | Heute im Osten - Die Reportage | 04. Februar 2023 | 18:00 Uhr