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TotensonntagZum Sterben schön: Der "Fröhliche Friedhof" in Rumänien

21. November 2021, 21:41 Uhr

Wenn sich Touristen ins nordrumänische Dorf Săpânța verirren, dann vor allem wegen eines besonderen Friedhofs. "Fröhlicher Friedhof" wird er genannt. Traditionelle hölzerne Grabstelen sind hier kunstvoll mit Bildern und Versen zum Leben der Verstorben verziert - eine Dorfchronik, die 90 Jahre zurückreicht.

von Denis Kliewer

Irina Monga kommt täglich zum Grab ihrer Tochter. An dessen Kopfende ragt ein blaues Holzkreuz mit einem kunstvoll geschnitzten und bunt bemalten Bild in der Mitte. Ein Mädchen ist darauf zu sehen, das von einem Auto erfasst wird. "Sie starb bei einem Verkehrsunfall", sagt Irina Monga. "Was soll man machen, so ist das Leben, Unfälle geschehen. Sie überquerte die Straße, der Fahrer war unaufmerksam. Das war vor 30 Jahren, sie ist nur dreieinhalb Jahre alt geworden."

Das Langzeitgedächtnis des Dorfes Săpânța

Seitdem ist ihr Schicksal auf dem Grabkreuz abgebildet. Und nicht nur das ihre. Der ganze Friedhof des rund Dreitausendseelendorfes Săpânța ist voll von traditionellen orthodoxen Holzkreuzen mit einem schützenden Spitzdach darüber. Alle in Blau gehalten, mit jeweils einem bunten Bild im Stile der naiven Kunst und einer Geschichte darauf. Über 1.000 Einzelschicksale sind hier über die letzten 90 Jahre zusammengekommen - nicht nur die guten Eigenschaften, auch die Laster werden hier verewigt.

Irina Monga hat ihre dreijährige Tochter vor 30 Jahren bei einem Autounfall verloren. Seitdem kommt sie täglich zum Friedhof. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

"Je nachdem, was ein Mensch erlebt hat, ob er ein guter Mensch war oder ein schlechter, wird das auf das Kreuz geschrieben und gemalt", erzählt Irina Monga. "Oder wenn etwas Besonderes im Leben passiert ist. Also so wie mit dem Autounfall bei meiner Tochter."

Kreuze erzählen Lebensgeschichten - gute und schlechte

Der Tod ist ein besonderes Ereignis in der gläubigen Gemeinschaft von Săpânța. Stirbt ein Gemeindemitglied, trägt das ganze Dorf Trauer. Alle verabschieden sich vom Verstorbenen, bevor er zu Grabe getragen wird. Dann macht sich Dumitru Pop an die Arbeit. Er ist derjenige, der sich die Motive für die Kreuze ausdenkt. Zwar kann man sich noch zu Lebzeiten ein Kreuz beim Künstler bestellen, doch welche Geschichte, welche Erinnerung an den Verstorbenen am Ende darauf erzählt wird, bestimmt nur er.  

Und das im Guten wie im Schlechten. Hat einer etwa viel getrunken, bleibt auch das "für die Ewigkeit" festgehalten. Dann kann auf dessen Kreuz auch mal so ein Spruch stehen: "Der Schnaps ist eine Schlange, die uns Mühsal und Trauer bringt. Wer dem Schnaps zugeneigt ist, dem wird es so ergehen wie mir."

Ein Dialog zwischen Mensch und Tod

Doch Dumitru Pop hat nicht die Absicht, sich über die Schwächen von Verstorbenen lustig zu machen - im Gegenteil. "Man muss meine Arbeit nicht als Ironie sehen - es ist ja auch nicht zum Lachen, wenn jemand stirbt", sagt er. "Es ist aber dessen Leben in Bildern und es ist so etwas wie ein Dialog zwischen Mensch und Tod. Durch solch ein Kreuz ist dieser Dialog möglich."

Seit dem Tod seines Meisters 1977 gestaltet Dumitru Pop die Kreuze für den "Fröhlichen Friedhof". Er allein entscheidet, welche Geschichte darauf abgebildet wird. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Angestoßen hat diesen Dialog der örtliche Künstler und Bildhauer Stan Ioan Pătraș. 1935 fertigte er für einen Verwandten das erste Kreuz mit Geschichte. Die Bewohner von Săpânța fanden Gefallen an der Idee und gaben immer mehr Kreuze in Auftrag. Etwa 700 hat Pătraș bis zu seinem Tod 1977 geschaffen. Auf seinem eigenen beschreibt er sein Leben als mühseligen Aufstieg von einem Jungen, der schon mit 14 Jahren für sein Auskommen sorgen musste, zu einem bekannten Künstler, der "aus 62 Ländern Besuch bekam".

Nachfolger gesucht

Nach dem Tod des Meisters übernahm sein Lehrling, Dumitru Pop, die Werkstatt und die Aufgabe des Dorfchronisten. Mittlerweile ist die Kunst am Kreuz auch für ihn zu einem guten Geschäft geworden. Ein Exemplar kann schon mal mehrere Hundert Euro kosten - ein kleines Vermögen in einer Gegend, wo die Regelrente bei ca. 80 Euro im Monat liegt. Es kommen aber auch Bestellungen aus dem Ausland. So hat Pop schon nach Deutschland, England und sogar in die USA geliefert. Doch einen Nachfolger hat der 66-Jährige bisher nicht. Und so bleibt es fraglich, ob diese Tradition auch über seinen Tod hinaus erhalten bleibt.

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