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EnergiewendeBulgariens Tourismusbranche macht Front gegen Windräder

13. März 2024, 18:05 Uhr

Ob Urlauber künftig noch an die bulgarische Schwarzmeerküste kommen würden, wenn sie vom Strand aus riesige Rotorblätter am Horizont sähen? Darüber haben sich Regierung und Opposition einen heftigen Schlagabtausch geliefert, als ein Gesetzentwurf über die Errichtung von drei Offshore-Windparks im Schwarzen Meer im Parlament erörtert wurde. Auch Tourismusbranche, Fischer und Umweltschützer äußern Bedenken und drohen mit Protesten.

"Die meisten Fische im Schwarzen Meer migrieren über den Bosporus: Pelamide, Schwarzmeer-Steinbutt, Blaubarsch, Meeräsche, Schnepfenfisch, Bastardmakrele, Sardellen - das sind die beliebtesten Fische im Schwarzen Meer, und sie sind gefährdet, weil sie gegen Geräusche und Turbulenzen empfindlich sind", sagt Jordan Gospodinow vom Verband BG-Fisch, in dem sich Fischer und Hersteller von Fischprodukten zusammengeschlossen haben. "Wir können Politikern nicht vertrauen, die sich bei so komplexen Fragen bei Wikipedia informieren", regt er sich über die Regierung auf, die versucht habe, die Fischer mit Beispielen von vermeintlich unbedenklichen Offshore-Anlagen aus Dänemark und Schottland zu überzeugen. "Bulgarien hat 368 Kilometer Küste und davon sind 200 Kilometer Strände. Wie viele Badestrände hat Dänemark?", fragt der Fischer. Damit spielt er auf die Bedeutung des Badetourismus für die bulgarische Wirtschaft an - die kalte Ostsee in Dänemark ist seiner Meinung nach mit der warmen Schwarzmeerküste Bulgariens nicht zu vergleichen.

Windparks oder Strandurlaub?

Auch Hoteliers haben Angst. Sie fürchten, die Urlauberzahlen könnten zurückgehen. Wegen der Corona-Pandemie und dem Ukraine-Krieg, der an der gegenüberliegenden Schwarzmeerküste tobt, sind die Hotelbetreiber ohnehin schon gebeutelt. Stojan Marinow, Tourismuschef in der bulgarischen Schwarzmeermetropole Warna, organisierte eine Mitgliederbefragung. "Alle sind gegen die Windkraftanlagen vor der Küste, weil die Landschaft verändert wird", fasst er das Ergebnis zusammen.

Goldstrand in Warna: Die Tourismusbranche befürchtet, dass Offshore-Windparks einen Teil der Gäste abschrecken könnten. Bildrechte: IMAGO/EHL Media

Dieses Argument nutzten auch die oppositionellen Sozialisten im Parlament, denn die Tourismusbranche erwirtschaftet rund zwölf Prozent des Bruttoinlandprodukts Bulgariens. "Wollen Sie tatsächlich am Strand liegen und vor lauter Rotorblättern das Meer nicht sehen?“, fragte der sozialistische Abgeordnete aus Warna, Borislaw Guzanow, rhetorisch im Plenarsaal. Ob er denn wirklich sechs Kilometer hinaus ins Meer sehen könne, entgegnete der Autor des Gesetzentwurfs über die Errichtung von Offshore-Windparks, Iwajlo Mirtschew.

Die Mitte-Rechts-Regierungskoalition argumentiert in erster Linie mit der Dringlichkeit, den grünen Übergang zu schaffen, denn der Energiesektor verursacht in Bulgarien die meisten CO2-Emissionen. Die Abhängigkeit von fossiler Energie sei viel zu hoch und der Ausbau der Windenergiegewinnung fester Bestandteil des Regierungsprogramms, begründet das Kabinett den Vorstoß. Wird das Gesetz tatsächlich verabschiedet, wäre damit der Weg frei für die ersten Offshore-Windparks im gesamten Schwarzen Meer. Private Firmen könnten sich dann in öffentlichen Ausschreibungsverfahren um eine Baukonzession bewerben.

Windenergie hat Vorteile

"Die geplanten Windkraftanlagen können die Kohlekraftwerke zum größten Teil ersetzen und den Einkauf von teurem Gasstrom aus dem benachbarten Griechenland nachts und in den frühen Morgenstunden, wenn der Verbrauch besonders hoch ist, überflüssig machen", sagt der Windenergieexperte Martin Wladimirow vom Zentrum für Demokratiestudien (CSD) in Sofia. In einer Analyse über die Zukunftsaussichten der Windenergie in Bulgarien behauptet er, dass die Windkraft enorme wirtschaftliche Vorteile bringen kann.

Kohlekraftwerk in Plowdiw: Windenergie aus dem Schwarzen Meer soll helfen, die Kohleverstromung und damit den klimaschädlichen CO2-Ausstoß zu reduzieren. Bildrechte: IMAGO/imagebroker

Wladimirow und sein Team haben etwa errechnet, dass der Strompreis aus den Windrädern im Schwarzen Meer bei 80 Euro pro MWh liegen wird. Das sei um 20 Prozent niedriger als der derzeitige durchschnittliche Preis für Strom, der im AKW "Kozloduj" an der Donau und in den nach wie vor bezuschussten Kohlekraftwerken in Südbulgarien produziert wird. Mehr noch - bei einem so niedrigen Strompreis werde es auch zehn Jahre nach Inbetriebnahme der Offshore-Windparks bleiben. Man erhofft sich ein Investitionsvolumen von mehr als 20 Milliarden Euro und 30.000 neue Arbeitsplätze während der Bauarbeiten sowie rund 2.000 Arbeitsplätze während des Betriebs der Windkraftanlagen im offenen Meer.

Fischer und Klima-Aktivisten gegen Windparks

Trotz dieser rosigen Aussichten bleiben die Einheimischen skeptisch. "Drei Windparks soll es vor der Küste bei Warna geben, am Kap Kaliakra. Das ist genau dort, wo wir fischen", sagt Emil Milew, der den Expertenberichten über Windkraft-Erfahrungen aus anderen Ländern nicht glaubt. "Während der Bauarbeiten gehen die Fischbestände tatsächlich zurück, aber nach den wenigen Monaten Bauzeit erholen sie sich rasch wieder", beruhigt Windkraftexperte Wladimirow.

Fischerboote in Nessebar: Bulgarische Fischer befürchten einen Rückgang der Fischbestände durch den Bau von Windkraftanlagen im Schwarzen Meer. Bildrechte: imago/Bernd Friedel

Dennoch bleiben selbst Umweltschützer und Klima-Aktivisten, die den Übergang zu erneuerbaren Energien grundsätzlich befürworten, in diesem konkreten Fall zurückhaltend. So sieht der Umwelt-Ingenieur Kolju Oreschkow mehr Nach- als Vorteile, denn "Windkraftanlagen entziehen dem Wind Energie und verändern so unser Klima", glaubt er. Er sei überzeugt, dass die Windräder in der Nordsee dazu beigetragen haben, dass die durchschnittliche Lufttemperatur in Europa gestiegen sei, denn die riesigen Offshore-Farmen beeinflussten den Golfstrom.

Klima-Aktivisten führen außerdem an, dass es in Bulgarien immer noch keine vertieften Untersuchungen dazu gibt, wie sich die Offshore-Anlagen auf die Fischbestände und die Zugvögel im Schwarzen Meer auswirken würden.

Zukunft der Offshore-Windparks offen

Die ersten Windkraftanlagen in Bulgarien entstanden vor rund 15 Jahren, allerdings an Land. Gebaut wurden sie an der nördlichen Schwarzmeerküste bei Warna, in der Dobrudscha-Hochebene, die als "Kornkammer Bulgariens" gilt. Auch damals gab es Proteste - von örtlichen Getreidebauern und Umweltschützern. Sie fürchteten die Turbulenzen des Getriebes und eine Störung der Zugvögel. Allerdings ist es nicht erwiesen, dass Gänsegeier, Weißstörche und Kraniche die Region meiden, und so setzten sich die wirtschaftlichen Interessen durch - die Branche der Erneuerbaren Energien boomt dank der Zuschüsse für die grüne Transformation.

Ob das Gesetz über die Windparks im Schwarzen Meer vom Parlament wirklich beschlossen wird, ist noch offen. Eine der Regierungsparteien hat Bedenken wegen der Proteste der Einheimischen geäußert und will der öffentlichen Debatte mehr Zeit geben. Allerdings hat Bulgarien nicht viel Zeit zu verlieren, erinnern Windkraftexperten, denn die durchschnittliche Bauzeit eines Offshore-Parks beträgt sieben Jahre. Etwas weniger als sieben Jahre bleiben bis 2030 - bis zu diesem Datum will die EU ihre Netto-Emissionen von Treibhausgasen um mindestens 55 Prozent senken. Teil dieses ambitionierten Ziels ist auch die Vorgabe, 60 Gigawatt Energie in Offshore-Anlagen an den Küsten der EU zu gewinnen, die bulgarische Schwarzmeerküste miteingeschlossen.

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