GrenzkontrollenKroatien: Steht das Schengen-Abkommen vor dem Aus?
Nicht mal ein Jahr lang galt freie Fahrt zwischen Slowenien und Kroatien. Wegen steigender Migrantenzahlen wurden zwischen den beiden Ländern wieder Grenzkontrollen eingeführt, die erst am 1. Januar dieses Jahres im Blitzlichtgewitter der Fotojournalisten aufgehoben worden waren. Kroatien tut sich schwer mit der Überwachung seiner EU-Außengrenze, auch wegen ihres ungünstigen Geländeverlaufs.
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Der 1. Januar 2023 war ein historisches Datum für Kroatien. Nach zehn Jahren EU-Mitgliedschaft feierte man die Einführung des Euro und – sehr wichtig für ein Land, das hauptsächlich vom Tourismus lebt – den Beitritt zum Schengen-Raum. Die langen Schlangen an den Grenzübergängen zur Hauptsaison waren nun endlich Geschichte, vorbei die lästigen Kontrollen, für die unzähligen Kroatien-Besucher sollte es flüssiger und schneller laufen auf dem Weg ans heiß ersehnte Urlaubsziel.
Doch kaum waren im Herbst die meisten Touristen verschwunden, platzte plötzlich der Traum von der grenzenlosen Ein- und Ausreise. Nachbar Slowenien führte ab dem 21. Oktober 2023 wieder "vorübergehende Grenzkontrollen" ein und verlängerte diese gleich bis Mitte nächsten Jahres.
Der slowenische Innenminister Boštjan Poklukar kritisierte den kroatischen Schutz der gemeinsamen Schengen-Außengrenze schon seit langem. In einem Interview für den TV-Nachrichtensender N1 sagte er: "Die mehr als 40.000 illegalen Grenzübertritte nach Slowenien sprechen für sich. Seit Kroatien dem Schengen-Raum angehört, überqueren die Migranten die Grenze nicht mehr durch Wälder, Flüsse oder auf anderen gefährlichen Wegen, sondern reisen auf der Straße, mit der Eisenbahn oder sogar mit dem Taxi."
Dreimal mehr Migranten binnen eines Jahres
Anfang November wurden neue Statistiken der slowenischen Polizei veröffentlicht, die von mehr als 52.500 illegalen Migranten sprechen, die über Kroatien nach Slowenien eingereist sind. Das ist mehr als das Dreifache verglichen mit dem Vorjahr (15.926). Nach der Zuspitzung der Lage in Nahost und einer wachsenden Terrorgefahr, zog Slowenien nun die Reißleine: Das Schengen-Regime wurde suspendiert und teilweise Grenzkontrollen Richtung Kroatien und Ungarn wiedereingeführt. Eine schwere Ohrfeige für Kroatien.
Als neuestes Mitglied des Schengen-Raums übernahm Kroatien Anfang 2023 die Sicherung der EU-Außengrenze. 1.011 Kilometer meist unwegsamen Terrains zwischen Kroatien und Bosnien-Herzegowina, 317 Kilometer Richtung Serbien sowie 22 Kilometer zwischen Kroatien und Montenegro müssen an Land gesichert werden. Hinzu kommen 1.000 Kilometer Seegrenze. Keine leichte Aufgabe für die kroatische Polizei, die zudem wegen ihres harten Vorgehens mehrfach in die Kritik geriet.
Kroatischer Grenzschutz zeigt sich rigoros
Vorwürfe von unerlaubten Pushbacks und Misshandlungen illegaler Migranten riefen zahlreiche Menschenrechtsorganisationen auf den Plan, sogar die EU schaltete sich ein. Eine Untersuchung des EU-Bürgerbeauftragten stellte Anfang 2022 "erhebliche Mängel im Zusammenhang mit der Überwachung der Achtung der Grundrechte durch die kroatischen Behörden bei aus EU-Mitteln unterstützten Grenzmanagementmaßnahmen" fest.
Mehrere Verbesserungen wurden vorgeschlagen, doch Sara Kekuš vom Zentrum für Friedensforschung berichtet im Gespräch mit dem MDR, dass die Polizeigewalt gegen illegale Migranten nach einer kurzen Pause jüngst wieder zugenommen hat: "Wir hören viele Berichte über Rückführungen, die nicht gesetzeskonform verlaufen. Dieses Jahr hatten wir schon mehr als 3.000 illegale Ausweisungen über die grüne Grenze. Seit Anfang Oktober beobachten wir außer einem Anstieg von illegalen Rückführungen wieder polizeiliche Gewalt gegenüber Migranten, was es eine Zeit lang nicht gab."
Migranten berichten von Misshandlungen
Mehr als die Hälfte der Migranten berichtet Kekuš zufolge von körperlichen Misshandlungen. Sie kehrten verprügelt, mit Hämatomen oder blutend nach Bosnien-Herzegowina zurück. "Bei einem Besuch im Grenzgebiet im Kanton Unsko-Sanski wurde uns auch von Migranten berichtet, die durchnässt und nur in Unterwäsche zurückkamen, da die kroatische Polizei sie zwang, durch den Grenzfluss zurückzuschwimmen", berichtet die Menschenrechtsaktivistin.
Das harte Durchgreifen der kroatischen Polizei, das von der Regierung immer wieder geleugnet wurde, soll zweifelsohne auch eine abschreckende Wirkung auf Migranten haben. Doch mehr als 60.000 Asylanträge alleine dieses Jahr und eine weitaus größere Dunkelziffer von Menschen, die sich illegal ohne Asylantrag im Land aufhalten, zeigen, dass Kroatien trotz der mehr als 200 Millionen Euro, die in den Grenzschutz investiert wurden, Mühe hat, die EU-Außengrenze wirksam zu schützen.
Eine Grenze, die nur schwer zu schützen ist
Grund dafür sind die geografischen Eigenheiten des Grenzgebietes zu Bosnien-Herzegowina, die eine lückenlose Grenzüberwachung kaum möglich machen: dichte Wälder und breite Flüsse, hohe Berge und unwegsame Schluchten im Norden und Westen wechseln sich ab mit kargem Karst und Geröllwüsten im Süden. Temperaturen von mehr als 35 Grad im Sommer und bis zu -20 Grad im Winter stellen hohe Anforderungen an Mensch und Material. Trotz modernster Mittel und dem Einsatz von automatischen Wärmebildkameras und Drohnen wird es wohl nie möglich sein, die Grenze in ihrer voller Länge vollständig abzudecken. Einen Zaun, wie ihn z.B. Slowenien 2015 Richtung Kroatien errichtete, lehnt die kroatische Regierung entschlossen ab.
Slowenien und Italien haben Kroatien mehrmals Unterstützung bei der Grenzsicherung angeboten, sowohl bilateral als auch als Teil eines möglichen Frontex-Kontingents, doch lehnte Kroatiens Premierminister Andrej Plenković noch im Juni jede Einmischung anderer Staaten in die Grenzsicherung ab. Bei einer Pressekonferenz sagte Plenković damals: "Kroatien als EU-Mitglied und Teil des Schengen-Raums hat genug eigene Kapazitäten. 6.500 Polizisten schützen die Grenze und Außengrenze der EU, die nun auch die Außengrenze des Schengen-Raums ist."
Gemeinsame Grenzpatrouillen mit Nachbarländern
Der Druck Sloweniens und die teilweise Wiedereinführung von Grenzkontrollen zeigten jedoch Wirkung, und so stimmte der kroatische Innenminister Davor Božinović bei einem Treffen mit seinen Amtskollegen aus Slowenien und Italien Anfang November gemeinsamen Grenzpatrouillen an der Schengen-Außengrenze letztendlich zu. Kroatien arbeitet bereits mit Frontex zum Schutz der Außengrenzen zusammen, doch beurteilt Menschenrechtsaktivistin Kekuš diese Zusammenarbeit und deren mögliche Ausweitung kritisch.
"Das bereitet uns auf jeden Fall Sorgen, da die Frontex in den letzten Jahren bei ihren Einsätzen vor allem in Griechenland ein großes Maß an gesetzwidrigem Verhalten zeigt und grundlegende Menschenrechte oft verletzt werden", so Kekuš. Auch die Aktivitäten der Frontex im Westbalkan, vor allem in Serbien sowie Bosnien und Herzegowina, wo die Frontex aktiv ist, obwohl es keine EU-Länder sind, sieht die Menschenrechtsaktivistin kritisch: "Auch deshalb, da z.B. in Serbien ihre Befugnisse besorgniserregend groß sind und sie strafrechtliche Immunität während der Ausübung ihrer Tätigkeiten genießt, was ihren Einsatz gegen Migranten fragwürdig macht."
Frontex ist seit 2016 auf dem Westbalkan aktiv, wo in mehreren Ländern Projekte der EU zur Stärkung der Grenzsicherheitskapazitäten durchgeführt werden. Laut der Europäischen Kommission will man sicherstellen, dass die "Partner im Westbalkan als zukünftige Mitgliedsstaaten vorbereitet sind, um konstruktiv auf die gemeinsamen Herausforderungen der Migration reagieren zu können".
Schwieriger Grenzverlauf, politische Zwänge
Kroatien befindet sich, ähnlich wie Griechenland und Italien, in einer ziemlich undankbaren Lage. Auf der einen Seite wird von den Schengen-Staaten ein strikter Grenzschutz erwartet, wobei die Wahrung der Menschenrechte keine zwingende Priorität zu sein scheint. Auf der anderen Seite ist eine nahtlose Kontrolle der Grenze wegen der geographischen Gegebenheiten des Grenzverlaufs zu Bosnien und Herzegowina kaum zu schaffen. Eine baldige Verlagerung der Außengrenze durch die Aufnahme der Westbalkanländer in die EU ist auch nicht in Sicht, weshalb Kroatien sich wohl noch eine Weile mit dem Problem wird beschäftigen müssen.
Eine klare Migrationspolitik wäre ein Anfang: "Seit 2015 hat die Republik Kroatien keine klare, öffentlich einsehbare, veröffentlichte Migrationspolitik. Das wäre der erste Schritt, um eine Strategie zu haben, an die wir uns halten – die natürlich im Einklang mit der Migrationspolitik der EU wäre, aber in der wir an die Interessen Kroatiens denken müssen. Im Moment tut die kroatische Regierung nur das, was die Europäische Union verlangt", sagt Kekuš und präsentiert einen Lösungsvorschlag: "Leider wird, wenn man über Migrationsmanagement spricht, oft nur darüber gesprochen, wie man die Zahlen verkleinert und nicht, welche Bedürfnisse bestehen und wie man nachhaltigere Migrationspolitik betreiben kann und sichere, reguläre Wege für Migration anbieten kann für Menschen, die vielleicht nicht die Bedingungen für Asyl erfüllen aber trotzdem das Bedürfnis nach Schutz auf dem Territorium der EU haben. Wir haben einen großen Arbeitskräftemangel und sind bereit, Vermittlern große Summen zu zahlen, damit sie ausländische Arbeitskräfte vermitteln. Doch Migranten an unseren Grenzen geben wir nicht die Chance, ihren Aufenthalt aufgrund eines Jobs zu regulieren."
Slowenien sieht sich zwischenzeitlich in seiner Entscheidung, Grenzkontrollen wiedereinzuführen bestätigt. Alleine auf dem Gebiet der Polizeidirektion Novo Mesto wurden seit Beginn der Kontrollen 28 Schlepper mit insgesamt 209 illegalen Migranten gestellt. Und Slowenien ist nicht das einzige Schengen-Land, das Grenzkontrollen wiedereingeführt hat: auch Dänemark, Österreich, Frankreich, Deutschland und Italien kontrollieren ihre Grenzen wieder. Sind es wirklich "vorübergehende Maßnahmen", wie alle beteuern?
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Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | B. reist - Wer nimmt mich mit nach Kroatien | 26. August 2023 | 19:50 Uhr