Putins neuer LieblingRussland: Chef der Söldnerarmee Wagner mächtig wie nie zuvor
Der Krieg in der Ukraine beschert "Putins Koch" Jewgenij Prigoschin eine Sternstunde. Der Kreml ist angewiesen auf seine private Armee, deren Existenz lange Zeit ein offenes Geheimnis war. Im Tausch will Prigoschin nun mehr Einfluss.
Es gab Zeiten, da hat Jewgenij Prigoschin akribisch Wert darauf gelegt, dass die Welt möglichst wenig von seinen Machenschaften erfährt. Der Russe klagte gegen Journalisten und Verlage, gegen russische Oppositionelle und Anfang Februar sogar gegen den Rat der Europäischen Union. Sie alle hatten ihn in Texten und Dokumenten als Gründer oder Geldgeber von Russlands berüchtigter Söldner-Truppe "Wagner" bezeichnet. Ein russisches Journalisten-Team, das den Einsatz von Prigoschins privater Armee in der Zentralafrikanischen Republik recherchieren wollte, wurde 2018 auf seiner Reise in einen Hinterhalt gelockt und umgebracht – ein Mord, den Russlands Außenministerium später als Raubüberfall bezeichnete.
Wagner-Truppe wird von Propaganda gefeiert
Mit der Wagner-Truppe wollte Prigoschin öffentlich nicht in Verbindung gebracht werden. Die Geheimniskrämerei hatte gute Gründe. Nicht nur weil das private Söldner-Geschäft weltweit von Diskretion lebt, sondern auch weil selbst nach russischem Recht eine Privatarmee nicht legal ist.
Heute, acht Monate nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, weht in Russland ein anderer Wind, und Jewgenij Prigoschin muss sich nicht mehr verstecken. Längst macht der Mann keinen Hehl daraus, dass er im Auftrag des Kremls Tausende Söldner im Osten der Ukraine anführt. Staatliche Medien berichten über den "heldenhaften Kampf" seiner Privatarmee. Prigoschins eigener Pressedienst berichtet derweil, dass der Putin-Freund und Multimillionär persönlich Gefängnisse und Straflager im ganzen Land bereist, um Männer für seine Kampftruppe zu gewinnen. Und nun setzt Prigoschin auch architektonisch ein Zeichen in seiner Heimatstadt Sankt Petersburg: Vor einigen Tagen berichteten lokale Medien aus Russlands zweitgrößer Stadt, dass Prigoschins Firma "Konkord" einen 22 Stockwerke großen Bürokomplex unweit des Stadtzentrums angemietet hat.
Prigoschins militärisches Forschungszentrum
Viele Jahre stand der Bürokomplex leer. Doch wie das Petersburger Portal "Fontanka" kürzlich berichtete, liefen zuletzt die Innenarbeiten auf Hochtouren. Vor wenigen Tagen hatten Arbeiter über dem Eingang des Komplex weit sichtbar die Aufschrift "Wagner-Center" angebracht. Was sich genau in dem 44.000 Quadratmeter großen Komplex verbirgt, ist noch unklar. Prigoschins Pressedienst bezeichnet ihn als einen Standort für Start-Ups, Erfinder, IT-Spezialisten und experimentelle Produktionsanlagen, die das militärische Potential Russlands steigern sollen. Auf seiner Webseite wirbt das Wagner-Center mit kostenlosen Räumlichkeiten, Panorama-Fenstern und einer "modernen technischen Ausrüstung".
Die Eröffnung des Komplexes am 4. November ist ein weiterer Meilenstein in Prigoschins kometenhaftem Aufstieg, der seit Beginn des Ukraine-Krieges weiter Fahrt aufgenommen hat. Das russischsprachige Portal "Meduza" berichtete mit Verweis auf "kremlnahe Quellen", dass Prigoschin nun zum inneren Kreis von Wladimir Putin gehöre. "Prigoschin ist nicht mehr der Mann fürs Grobe, sondern wird als effektiver Kriegsmanager betrachtet", zitiert "Meduza" einen Insider. In russischen Militärkreisen gilt er als eine Schlüsselfigur, die die nahezu vollständige Besetzung der Oblast Luhansk ermöglicht habe, also neben der Krim der einzigen Region der Ukraine, die nahezu vollständig von russischen Truppen kontrolliert wird.
Wagner-Truppe profiliert sich an der Ukraine-Front
Einer der Gründe für Prigoschins wachsende Rolle sind die Misserfolge der regulären russischen Streitkräfte, die in starkem Kontrast zum Abschneiden der Wagner-Truppe stehen. Während die Ukraine in den vergangenen Monaten gleich zwei erfolgreiche Offensiven durchführen konnte, gelang es den Wagner-Söldnern, ihre Positionen im Norden der Oblast Donezk zu halten und sogar ein wenig auszubauen. Zudem gilt Prigoschins Privatarmee im Vergleich zum regulären Militär als vergleichsweise gut ausgerüstet.
Das Geld, das der Unternehmer Prigoschin in seine Armee investiert, hat er seiner alten Freundschaft zu Putin zu verdanken. Als Russlands späterer Präsident Wladimir Putin noch Vize-Bürgermeister von Sankt-Petersburg war, unterhielt Prigoschin einige teure Restaurants in der Stadt, wo sich die Neureichen und die Beamten trafen. Nach Recherchen der "Nowaja Gazeta" sollen sich so auch die Wege von Prigoschin und Putin gekreuzt haben. Später, als russischer Präsident, speiste Putin mit Staatsgästen wie dem damaligen Kanzler Gerhard Schröder oder US-Präsident George W. Bush in Prigoschins schwimmendem Petersburger Restaurant New Island. Das große Geld machte Prigoschin allerdings später, als er Bewirtungsaufträge für Schulen, Krankenhäuser, Kasernen und Behörden an Land zog.
Seit Jahren im Dienste des Kreml
"Prigoschin gehörte nie zum engsten Kreis von Putin, er war nichts beim KGB oder unter den Mitarbeitern der Stadtverwaltung von Sankt Petersburg", meint der Investigativ-Journalist Andrej Perser, der sich seit Jahren mit Prigoschin befasst. Prigoschin habe aber stets versucht, Putins Wünsche von den Lippen abzulesen. "Er gründete etwa die berühmte Troll-Farm in Olgino bei Petersburg, um mit bezahlten Kommentarschreibern und Bots gegen die Opposition und die Kritik an Putin im Netz vorzugehen", so Perzew. Die Kosten dafür habe er aus eigener Tasche bezahlt. Auch die Dienste seiner privaten Armee habe er dem Kreml angeboten, dort wo ein offener Militäreinsatz unerwünscht war – etwa 2014 im Donbas oder später bei Einsätzen in der Zentralafrikanischen Republik und Libyen.
Nun scheint für Prigoschin endlich die Zeit gekommen, aus der Rolle des Schattenmannes zu schlüpfen und die Dividenden für seine Treue einzustreichen. Dazu gehört nicht zuletzt der öffentliche Ruhm, eine neue Firmenzentrale und Putins Dankbarkeit – Prigoschin zeigte sich neuerdings mehrfach mit seinem neuen Abzeichen "Held Russlands" in Form eines goldenen Sterns auf der Brust. Dieses wird von Putin persönlich per Dekret verliehen. Doch Prigoschin könnte noch weitaus mehr fordern. Seit Monaten schon wird in Russlands zweitgrößter Stadt Sankt Petersburg über einen Streit zwischen Prigoschin und Gouverneur Alexander Beglow gemunkelt. Prigoschin wolle einen neuen Politiker von seinen Gnaden auf diesen Posten hieven, auch um an neue öffentliche Aufträge heranzukommen.
Die Zeit der Belohnung
Bislang hatte es der Wagner-Chef lediglich bei medialen Attacken belassen. Ende Oktober posaunte seine Pressestelle jedoch heraus, dass er nun Anzeige gegen Beglow erstattet habe, wegen "Korruption und Gründung einer kriminellen Vereinigung" – ein äußert ungewöhnlicher Vorgang im modernen Russland, der von Prigoschins neuem Selbstbewusstsein zeugt. Ob die Anzeige Folgen haben wird, ist unterdessen unbekannt. Zur Eröffnung des neuen Wagner-Centers seien Vertreter der Petersburger Stadtverwaltung allerdings nicht geladen – die Stadtverwaltung sei derzeit als Organ nicht wichtig genug, ließ Prigoschins Pressedienst trocken mitteilen.
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Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 12. August 2022 | 19:30 Uhr