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Bildrechte: IMAGO/Daniel Scharinger

EnergieversorgungAtomkraft? Ja, bitte! - Warum der Ausbau in Tschechien trotzdem stockt

22. November 2023, 16:16 Uhr

Tschechien will seine Kernkraftwerke ausbauen. Große Skepsis gegenüber der Kernenergie wie in Deutschland gibt es nicht. Politisch ist der Weg zum Ausbau der bestehenden Kraftwerke also eigentlich frei. Wenn er nur nicht so teuer wäre und nicht die Außenpolitik dazwischenkommen würde.

Dass die Tschechen überzeugte Anhänger der Kernkraft sind, mag für deutsche Ohren vielleicht unglaublich klingen. Tatsache ist aber, dass über den Ausbau dieser Energiequelle in breiten Gesellschaftsschichten schon immer Konsens bestanden hat. Und zwar lange bevor die zu erreichenden Klimaziele oder Russlands Krieg in der Ukraine sowie das damit zusammenhängende Risiko der Energieknappheit zu einem der beherrschenden Themen der Gegenwart wurden.

Selbst die Atomkatastrophe im japanischen Fukushima 2011 hat in Tschechien die Unterstützung für die Kernkraft nicht unter die 50-Prozent-Marke drücken können. Gegenwärtig sind 56 Prozent der Bürger für ihren weiteren Ausbau. Weitere 24 Prozent vertreten die Ansicht, der Umfang ihrer Nutzung sollte gleichbleiben. Lediglich neun Prozent sagen, man solle in Tschechien weniger auf Atomkraft setzen. Zu diesen Ergebnissen kam Ende vergangenen Jahres eine seit mehr als einem Jahrzehnt laufende kontinuierliche Erhebung des renommierten Meinungsforschungsinstituts CVVM, das zur Tschechischen Akademie der Wissenschaften gehört.

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Atomkraft statt Braunkohle

Der Braunkohleabbau in Nordböhmen hinterlässt riesige Tagebaulöcher. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Daher überrascht es nicht, dass seit jeher alle Regierungen des Landes, egal ob links oder bürgerlich, einen massiven Ausbau der Kernkraft angestrebt haben. Mittelfristig sollen die AKWs die wichtigste Energiequelle des Landes werden. Insbesondere nach dem Jahr 2033. Dann, so ein Regierungsbeschluss, soll nämlich die Verstromung der Braunkohle zu Ende gehen. Das betrifft dann besonders Nordböhmen an der Grenze zu Sachsen, wo sich die tschechischen Kohlekraftwerke befinden.

Der Ausstieg aus der Braunkohle hängt nicht zuletzt mit den EU-Klimazielen zusammen. In den zurückliegenden Verhandlungen der EU-Staaten über diese Ziele sowie über die Gelder zu deren Umsetzung hatte auch Tschechien gefordert, die Kernenergie als nachhaltige Energiequelle einzustufen. Man hat sie dann auch tatsächlich als nachhaltige Energiequelle klassifiziert, was auch Voraussetzung dafür war, dass EU-Klimagelder in den Ausbau von Kernkraftwerken fließen.

Gegenwärtig beträgt der Anteil der Kernkraft an der Stromerzeugung Tschechiens 36 Prozent. Damit liegt Tschechien knapp hinter der Schweiz (37 Prozent), aber noch ziemlich weit hinter dem europäischen Spitzenreiter Frankreich (63 Prozent). Und gerade Frankreich scheint hier das große Vorbild zu sein. Die Zielvorgabe von Industrieminister Jozef Síkela ist ein Anstieg des Kernkraft-Anteils auf zunächst 40 Prozent bis zum Jahr 2030, später, nach dem Bau und der Inbetriebnahme neuer Reaktoren, sogar auf bis zu 60 Prozent.

Kostenintensiver AKW-Ausbau geht schleppend voran

Angesichts des großen Zuspruchs in Gesellschaft und Politik könnte man annehmen, es sollte kein Problem sein, die Kernkraft auch tatsächlich auszubauen. Doch weit gefehlt. Schon die Erweiterung des älteren der beiden tschechischen AKWs in Dukovany, ungefähr 200 Kilometer südöstlich von Prag, gleicht mit seinen vielen Verzögerungen einer unendlichen Geschichte. Das Kraftwerk mit bisher vier Reaktoren sowjetischer Bauart wurde Mitte der 1980er-Jahre in Betrieb genommen und produziert etwa ein Fünftel des in Tschechien verbrauchten Stroms.

Ein möglicher Auftrag von Gewicht: Zur Übergabe des französischen Angebots für die Erweiterung des AKW Dukovany kamen neben Vertretern des französischen Konzerns EdF auch der französische Botschafter in Tschechien (rechts). Bildrechte: IMAGO/CTK Photo

Nun soll in Dukovany ein neuer, fünfter, Reaktor gebaut werden. Ende Oktober bekam der halbstaatliche tschechische Energiekonzern ČEZ dafür drei Angebote auf den Tisch, die im Verlauf des nächsten Jahres geprüft werden sollen. Wenn alles klappt, soll der Bau 2029 losgehen und 2036 die Einweihung stattfinden. Die Baukosten werden bislang offiziell auf 160 Milliarden Kronen (umgerechnet 6,5 Milliarden Euro) beziffert, womit es sich um die größte Investition in der Geschichte des Zehn-Millionen-Einwohner-Landes handelt. Die Betreiber geben jedoch an, dass sich die Kostenkalkulation auf das Preisniveau des Jahres 2020 bezieht. So wird schon vor dem eigentlichen Baubeginn damit gerechnet, dass sich der Gesamtpreis noch erheblich nach oben bewegen wird. Einige unabhängige Schätzungen gehen bereits jetzt von Kosten bis zu 250 Milliarden Kronen (umgerechnet 10,2 Milliarden Euro) aus.

Außenpolitische Hindernisse beim AKW-Ausbau

Bei Projekten wie dem Bau von Kernkraftwerken spielt auch die Außenpolitik eine Rolle. So wurden etwa bei der Erweiterung von Dukovany von vornherein Firmen aus Russland und China ausgeschlossen, und zwar wegen möglicher Risiken für die nationale Sicherheit des Landes. Aus diesem Grund wurde 2021 sogar ein spezielles Gesetz erlassen, das sogenannte "Lex Dukovany". Darin werden Firmen aus Staaten vom Wettbewerb ausgeschlossen, die dem internationalen Abkommen über das öffentliche Beschaffungswesen aus dem Jahr 1996 nicht beigetreten sind. Das trifft sowohl auf Russland als auch auf China zu. Um den milliardenschweren Auftrag buhlen somit das amerikanisch-kanadische Unternehmen Westinghouse, die französische EdF und die südkoreanische Firma KHNP.

Außenpolitische Verstimmungen hatte es auch schon gegeben, als Tschechien im Jahr 2000 das jüngere seiner beiden Atomkraftwerke in Betrieb genommen hat. Es liegt im südböhmischen Ort Temelín, ungefähr 150 Kilometer südlich von Prag. Wegen seiner Nähe zu Österreich gab es im Nachbarland und vereinzelt auch in Bayern große Proteste dagegen. Zeitweise wurden von österreichischen Anti-AKW-Aktivisten sogar die großen Grenzübergänge nach Tschechien blockiert, was damals für kilometerlange Staus sorgte.

Tschechische AKWs als Puffer für Engpässe in Nachbarländern?

Der "Kampf um Temelín" markierte einen Tiefpunkt in den neueren Beziehungen zwischen Österreich und Tschechien. Und zwar einen lang anhaltenden, denn Spitzenpolitiker beider Staaten hielten den Konflikt über Jahre aktuell. In der Zwischenzeit hat sich die Stimmung beruhigt, wohl auch deshalb, weil beide tschechische Kernkraftwerke ohne größere Zwischenfälle laufen. Auch die Grünen, die in Österreich seit einigen Jahren auf Bundesebene mitregieren, stoßen sich mittlerweile nur noch selten an den tschechischen AKWs. Übrigens: Wenn es darauf ankommt und beim südlichen Nachbarn der Strom knapp ist, liefern die eng verwobenen europäischen Stromnetze natürlich auch tschechischen Atomstrom dorthin.

Ähnlich könnte es auch mit Deutschland gehen, wenn dort nach vollzogener Energiewende einmal Solar- und Windparks nicht die Mengen an Strom liefern sollten, die gerade gebraucht werden. Als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor zwei Jahren zu einem offiziellen Besuch nach Prag kam, erhielt er von seinem Gastgeber Miloš Zeman, einem dezidierten Gegner grüner Energien, ein etwas vergiftetes Angebot: Wenn es in Deutschland wegen des Umstiegs auf Erneuerbare demnächst zu Engpässen kommen sollte, stünde Tschechien "gerne bereit, Strom zu liefern und zwar zu einem vernünftigen Preis".

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MDR (usc)

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | MDR Aktuell | 25. November 2023 | 07:18 Uhr