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Gundula Brunner hat 20 Jahre als Anwältin für Migrationsrecht in Dresden gearbeitet. In der MDR-Doku "Zwischen Recht und Gerechtigkeit" zieht sie Bilanz. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Die Doku jetzt in der Mediathek ansehenZwischen Recht und Gerechtigkeit: Dresdner Migrations-Anwältin zieht Bilanz

10. Oktober 2023, 13:48 Uhr

Mehr als 20 Jahre hat Gundula in ihrer Heimatstadt Dresden als Anwältin für Migrationsrecht gearbeitet und für das Bleiberecht von Menschen gekämpft. Sie zahlte persönlich einen hohen Preis und fragt sich heute, was ihr Einsatz bewirkt hat. In der MDR-Doku "Zwischen Recht und Gerechtigkeit" zieht sie Bilanz.

Gundula Brunner hat erschütternde Lebensgeschichten gehört, vor Gericht gegen Vorurteile gestritten, zuhause Familienpflichten als Mutter von zwei Kindern erfüllt und sich zudem ehrenamtlich engagiert. Im Januar 2022 wird ihr alles zu viel. Sie bricht zusammen. Nach dem Burnout zieht sie sich aus ihrer Kanzlei zurück.

Auch heute weiß sie noch nicht, wie es beruflich für sie weitergeht. Aber sie weiß, dass sie Bilanz ziehen möchte, ob sich ihr Einsatz gelohnt hat, ob die Frauen und Männer, für die sie gekämpft hat, wirklich in Deutschland angekommen sind.

Nach ihrem Burnout will die Dresdner Anwältin Gundula Brunner Bilanz ziehen und geht auf die Reise. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Gesetze sind nicht gerecht oder ungerecht, mit 'gerecht' und 'ungerecht' argumentiere ich wirklich ungern. Dann müssen wir die ganze Welt auseinander nehmen.

Gundula Brunner

Warum Menschen flüchten

Beispielsweise Kinfe aus Äthiopien. Sie ist sechs, als sie mit ihren Eltern in den Sudan flieht. Dem armen entbehrungsreichen Leben in Flüchtlingscamps hofft sie, durch eine Ehe zu entkommen. Ein folgenschwerer Irrtum, denn in ihrerer Ehe erlebt sie Gewalt, Missbrauch und Demütigung. Kinfe flieht wieder: ihren fünfjährigen Sohn nimmt sie mit, eine Freundin begleitet sie. Ein Schleuser bringt sie schließlich bis kurz vor die deutsche Grenze und schickt sie los, den Rest des Weges entlang der Schienen zu gehen. Doch die Flucht endet dramatisch.

Der Preis, den Kinfe für die Flucht zahlt, ist hoch. Ihr Glaube habe ihr geholfen, weiterzuleben. Sie ist äthiopisch-orthodoxe Christin, hat wieder geheiratet und eine Familie gegründet.

Auf ihrer Reise zu den Klientinnen von einst trifft Gundula Brunner auch Kinfe aus Äthiopien wieder. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Beruflich und privat engagiert: "Es ist wie eine erweiterte Familie"

Nicht nur in ihrem Beruf, auch privat hat Gundula sich alles abverlangt. Und tut es noch. Zuerst hat sie Mujtaba bei sich aufgenommen. Und jetzt, wo er mit Anfang 20 auf eigenen Füßen steht, dessen zwei Brüder aus Afghanistan nach Deutschland geholt. Sie hat ihnen Visa erkämpft und versucht, ihnen ein Zuhause zu geben.

"Es ist wie eine erweiterte Familie eigentlich. Ganz normal", sagt Gundula Brunner, während sie mit Mujtaba und ihrem Lebensgefährten Robert in der Küche das Abendbrot bereitet.

Auch privat hat sich die Anwältin für Migrationsrecht engagiert und Mujtaba aus Afghanistan in ihre Familie aufgenommen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Der gesteht, dass er "große Zweifel" an der Unternehmung gehabt habe, auch wegen der Gefahr, die die Flucht aus Afghanistan für die beiden Brüder bedeutete: "Aber Gundula war sehr entschlossen und hat mehr oder weniger ein Dreivierteljahr tagtäglich sich nur um die Sache gekümmert." Er sei nicht sehr überrascht gewesen, dass Gundula ans Ende ihrer Kräfte kam.

Heimat Dresden-Johannstadt: "Es gab überhaupt keine sozialen Unterschiede"

Gundulas Motivation, sich für gleiche Chancen einzusetzen, keinen Unterschied zu machen zwischen Menschen, egal woher sie kommen und was sie sind, liegt auch in der Kindheit begründet. In der Dresdner Johannstadt ist sie aufgewachsen: "Mittendrin im Plattenbau-Viertel, egal wie man es heute nennt.

In der Dresdner Johannstadt ist Gundula Brunner zu DDR-Zeiten aufgewachsen, mit einer Idee von sozialer Gleichheit. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

"Hier war immer ein Kinder-Trupp unterwegs", erinnert sie sich beim Blick auf die sanierten Fassaden, "wir haben alle zusammen im Hof Verstecken gespielt. Schräg unter uns wohnte ein Arzt, zwei Etagen drüber der Kohlenfahrer. Und eine Etage drunter die alleinstehende Rentnerin. Es war alles gemischt, es gab überhaupt keine sozialen Unterschiede."

Kurz nach der Wende studiert Gundula Jura in Mainz. Sie kommt zurück nach Dresden, nicht wegen der Heimatgefühle, sondern weil sie mit anpacken will: "Es war so eine Aufbruchstimmung. Es war die Lust am Mitmachen oder Mitwirken."

Asylrecht als Lehre aus der deutschen Geschichte

Zweifel hat Gundula nie gehabt. "Ich habe nie das Gefühl gehabt, dass das falsch ist, was ich mache." Und das sagt sie auch mit Blick auf die Geschichte des Landes, in dem angesichts der explodierenden Zahlen Geflüchteter so hart um Fragen von Obergrenzen und das Recht auf Asyl gerungen wird:

Ich denke, Menschen in ihrer Not zu vertreten, ist eigentlich etwas, was uns allen ein Anliegen sein sollte. Wir wissen nicht, wie es mit unserem Land weitergeht.

Gundula Brunner

Gundula Brunner verweist auf die Tragödien des 20. Jahrhunderts, insbesondere auf die NS-Zeit, die Verfolgung jüdischer Mitbürger und Andersdenkender und den von Deutschland angefachten Zweiten Weltkrieg: "Wir hatten hier schon die Situation, dass Menschen massenhaft fliehen mussten und dankbar waren über einen Ort, wo sie Hilfe und Aufnahme finden konnten."

Das Migrationsrecht speise sich aus diesen Erfahrungen, betont sie: "Die Genfer Flüchtlingskonvention, dann das Europarecht und eigentlich unser Migrationsrecht – das alles ist das Ergebnis des Zweiten Weltkrieges. Damit hat das alles angefangen."

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