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Von Gotha in die WeltGlück durch Verzicht: Wie der Buddhist Tenzin Peljor ein sinnerfülltes Leben fand

15. Januar 2024, 14:38 Uhr

Tenzin Peljor ist ein außergewöhnlicher Mönch und das nicht nur, weil er Buddhist ist. Obwohl er als Mönch dem Gehorsam verpflichtet ist, scheute er sich nicht, Verfehlungen in der buddhistischen Gemeinschaft aufzuzeigen. Heute gibt der gebürtige Gothaer Meditationskurse und lehrt Achtsamkeit, auch im Gefängnis.

von Michael Hollenbach

Tenzin Peljor kommt als Michael Jäckel 1966 in Gotha zur Welt. Seine Kindheit wird überschattet vom Suizid der Mutter. Da ist er gerade vier Jahre alt.

Zwölf Jahre Kinderheim

Fortan wächst Michael mit seinen zwei Brüdern in einem katholischen Kinderheim in Thüringen auf. Dann ein weiterer Schicksalsschlag: Sein jüngerer Bruder nimmt sich mit nur 15 Jahren das Leben. Irgendwann sei sein Bruder an der Situation zerbrochen. Es habe sicher schlimmere Heime gegeben, meint Tenzin Peljor. Von christlicher Nächstenliebe habe er aber dort wenig gespürt. Vielleicht ist dies auch ein Grund, warum er sich immer mehr vom christlichen Glauben entfernt.

Vom Kommunisten zum Konsumenten

"Mein Staatsbürgerkundelehrer hat sich auf mich gestürzt, der wollte aus mir einen ordentlichen Kommunisten machen", erzählt Tenzin Peljor lachend. Und damit hat er bis zu einem gewissen Punkt auch Erfolg.

Denn im Mai 1989 wird Michael Jäckel Mandatsträger der FDJ und Mitglied der Stadtverordnetenversammlung in Gotha. Nach der Wende tritt der Konsum an die Stelle des Kommunismus. Noch während des Informatik-Studiums wird er Systemadministrator in einem mittelständischen Unternehmen.

Ich hab‘ gut Kohle verdient und habe dann als Hedonist gelebt, also materiell alles ausgereizt – 16 Sorten Honig, kleines Päckchen Kaffee für 25 DM.

Tenzin Peljor in Berlin Bildrechte: Mahmood Anwar

Doch mit 29 Jahren spürt er, dass sich in seinem Leben etwas ändern muss. Der Konsum macht ihn nicht wirklich glücklich. Er wendet sich gezielt buddhistischen Lehren zu. Eher zufällig landet er bei der tibetisch-buddhistischen Gruppierung "Neue Kadampa-Tradition", die sich als eine Art Sekte mit tiefer Abhängigkeit von einem Guru erweist.

Sechs Jahre braucht er, um sich wieder aus der Gruppe zu lösen. Trotz dieses Befreiungsschlages kämpft er noch lange mit posttraumatischen Belastungsstörungen.

Ich habe Jahre gebraucht für die Heilung. Ich musste mich quasi enthirnwaschen.

Tenzin Peljor

Immer wieder Neuanfang

Der charismatische Mann mit der Nickelbrille und den lebendigen Augen fängt noch einmal von vorne an. Er lässt sich vom Dalai-Lama ein zweites Mal zum Mönch ordinieren, geht nach Italien, um bei einer Stiftung intensiv buddhistische Schriften zu studieren.

Dort erfährt er 2019, dass mehrere buddhistische Nonnen einem renommierten Lehrer dieser Stiftung sexualisierte Gewalt vorwerfen. Tenzin Peljor ist empört und stellt den Nonnen seinen englischsprachigen Blog zur Verfügung, um deren Petition zu veröffentlichen.

Innerhalb von nur 24 Stunden bricht ein gewaltiger Shitstorm über sie herein. Aber nicht gegen den gewalttätigen Lehrer richten sich die hasserfüllten Kommentare sondern gegen ihn und die betroffenen Nonnen. Auch vor Ort, im Kloster der Stiftung sieht sich Tenzin Peljor heftigen Anfeindungen ausgesetzt.

Mir wurde vom Oberhaupt gesagt, dass ich eine Gefahr für die Gemeinschaft bin.

Tenzin Peljor

Heute sieht er die teilweise heftigen Reaktionen von damals in kulturellen Unterschieden begründet: "In der asiatischen Kultur ist die Gruppe wichtiger als das Individuum. Wenn du missbrauchst wirst, ist das nicht gut. Aber es wird erwartet, dass du nichts sagst, weil das schädlich für die Gruppe ist.“

Wieder muss der Mönch mit dem kahlgeschorenen Kopf und der dunkelroten Robe einen schweren Rückschlag verkraften. Er macht die Erfahrung, dass er nicht als Aufklärer gewürdigt, sondern als Nestbeschmutzer ausgegrenzt wird. Infolgedessen muss der Mönch im Sommer 2019 das Kloster verlassen.

Der buddhistische Mönch Tenzin Peljor gibt heute Kurse in Meditation und Achtsamkeit Bildrechte: Victoria Knobloch

Neue Heimat Berlin

Tenzin Peljor lebt heute in Berlin. Jedoch nicht in einer buddhistischen Gemeinschaft, sondern allein, was eher ungewöhnlich ist für einen Mönch. Er gibt Kurse in Meditation, Achtsamkeit und emotionaler Intelligenz. Erwachsenen hilft er beispielsweise mit Wut umzugehen, übt mit ihnen Gelassenheit, Konzentration, Liebe und Mitgefühl. Im Gefängnis meditiert er mit Häftlingen.

Trotz aller Rückschläge, seiner buddhistischen Lebensmaxime folgt Tenzin Peljor unbeirrt: Nicht Besitz sei der Weg zum Glück, sondern das Gegenteil, einfach loslassen zu können.

Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | Religion und Gesellschaft | 15. Januar 2023 | 10:05 Uhr