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ReportageNicht ohne mein Smartphone - Ein Leben für Likes

17. Juli 2023, 15:46 Uhr

Wenn nur noch Follower zählen, werden Familie und Freundschaften schnell ausgeblendet. Immer mehr Teenager leben in einer Scheinwelt, suchen Freundschaften und Anerkennung in den sozialen Medien und versuchen, durch Selbstoptimierung dem virtuellen Idealbild zu entsprechen. Wie soziale Medien das Leben junger Menschen prägen und bestimmen können, hat Autor Jens Niehus beobachtet.

Das Leben von Melanie und Alex spielt sich in der und für die virtuelle Welt ab. Der Alltag der beiden besteht in der Jagd nach Likes und Followern. Doch das "normale" Leben ist in der Welt von Facebook, Instagram, Twitter und Snapchat uninteressant. Die reale Welt mit Ecken und Kanten gehört nicht in das virtuelle Profil. Deshalb erschaffen sich die damals 21-jährige Melanie und der 19-jährige Alex täglich neu. Für den perfekten Auftritt opfern sie nicht nur Zeit und Geld, sondern setzen neue Prioritäten, verzichten auf Partnerschaft oder verschieben das Studium.

Das Smartphone mit seinen Möglichkeiten macht es möglich: Melanie und Alex posten jeden Augenblick, jedes Erlebnis, teilen und kommentieren. Follower und Likes geben den beiden Bloggern Bestätigung und Motivation. Je mehr, desto besser und desto höher das Ansehen.

Immer präsent sein: Stylen, Shooting, Posten

Melanie veröffentlicht seit sechs Jahren auf Instagram Fotos von sich - bzw. ihrem virtuellen Ich - immer im perfekten Styling. Die Fotos schießt ihr Freund, danach werden die besten Bilder ausgesucht und auf ihre Social-Media-Kanäle hochgeladen.

Drei bis vier Stunden täglich investiert sie so in die Pflege ihrer Kontakte. Und auch auf neue Trends bei Instagram muss sie reagieren.

Einfach mal das Handy beiseite zu legen, sei schon schwierig für sie, gesteht sie. Auch auf Arbeit, denn dann muss sie sich auf ihre Kunden konzentrieren. Doch die Arbeit braucht sie, um ihr Leben zu finanzieren. Das Studium hat sie unterbrochen.

Demnächst wird sie sich mit einer Bloggerin in München treffen, die es schon zur Influencerin gebracht hat und deswegen von ihrer Dauerpräsenz im Netz leben kann. Schließlich sei das Bloggen inzwischen ja ein ernst zunehmender Beruf.

Melanie postet nicht nur perfekte Bilder, sondern offenbart auch ihre Gefühle auf ihrem Blog. So bekommt sie viele Kommentare mit positiver Resonanz. Aber ihre Follower kennt sie nicht. Trotzdem vertraut sie sich ihnen an, erzählt von ihrer Kindheit und Schulzeit, als sie wegen ihres Aussehens gehänselt wurde. Um so mehr genießt sie nun die Likes.

Ihre Mutter erkennt ihre Tochter auf den Bildern manchmal gar nicht, überhaupt kann sie nur schwer nachvollziehen, was Melanie da eigentlich tut:

Dass sie jetzt erwachsen ist und der Mama nicht alles erzählt, ist ganz klar. Das haben wir nicht anders gemacht, das gehört zur normalen Entwicklung dazu. Aber sie vertraut sich lieber Fremden an als ihrer Familie. Das ist schwer zu verstehen.

Melanies Mutter

Trainieren für das Selfie danach

Auch Alex ist auf Instagram und täglich mehrere Stunden online unterwegs. Er trainiert für den perfekten Körper im Fitness-Studio, fünf- bis sechsmal in der Woche nach der Lehre. Sofort danach postet er neue Selbstporträts, Selfies, um seine Follower bei Laune zu halten.

Die Losung: Trainieren für das Selfie danach. Für eine Beziehung sei da keine Zeit, sagt er.

Ich würde schon sagen, dass ich süchtig danach bin. Einfach aus dem Grund, weil ich mir sage: Du willst jetzt mehr erreichen.

Alex

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | Nah dran | 09. September 2018 | 07:30 Uhr