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Prof. Dr. Stefan Remy und Dr. Liudmila Sosulina untersuchen die Nervenzellen unter dem Mikroskop. Bildrechte: Reinhard Blumenstein / LIN

Leibniz-Institut für NeurobiologieVeränderte Nervenzellen kündigen Alzheimer an

28. April 2022, 21:36 Uhr

Wenn ein Mensch an Alzheimer-Demenz erkrankt, dann kann man das im Gehirn sehen: Eiweißablagerungen – sogenannte Plaques – kappen Verbindungen zwischen den Synapsen und stören so die Kommunikation im Gehirn. Doch dass das passieren wird, kann man schon erkennen, bevor diese Plaques da sind. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Leibniz-Institut für Neurobiologie (LIN) in Magdeburg haben nämlich herausgefunden, dass sich die Nervenzellen schon vorher verändern und so Alzheimer ankündigen.

Demenz ist in Europa eine echte Volkskrankheit: Die Menschen werden immer älter und so steigt auch der Anteil an Erkrankten. Denn das Alter ist nach wie vor der größte Risikofaktor für eine Demenzerkrankung. Allein in Deutschland leben nach Angaben der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft rund 1,6 Millionen an Demenz erkrankte Menschen. Findet sich keine Therapie gegen die Krankheit, dann werde diese Zahl bis zum Jahr 2050 auf 2,4 bis 2,8 Millionen steigen, so die Prognose. Die häufigste Form der Demenz ist die Alzheimer-Krankheit.

Fokus auf die Frühphase

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf der ganzen Welt versuchen deshalb, die Krankheit besser zu verstehen und Therapien zu entwickeln. Doch im Fall von Alzheimer ist bis heute noch nicht einmal vollständig erforscht, wie die Krankheit eigentlich entsteht.

Typisch für Demenz: das Vergessen Bildrechte: Colourbox.de

Deshalb haben Forschende vom Leibniz-Institut für Neurobiologie (LIN) in Magdeburg, vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Bonn sowie aus Dublin und Montreal die Frühphase der Krankheit im Tiermodell untersucht. Dabei machten Sie Entdeckungen, die künftig unter anderem bei der Früherkennung von Alzheimer eine Rolle spielen dürften. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift Journal of Neurochemistry veröffentlicht.

Über die Entstehungsmechanismen der Krankheit wissen wir immer noch zu wenig. Aber wenn man Biomarker für deren Nachweis oder Therapieansätze entwickeln möchte, ist es sehr wichtig zu verstehen, was in ihrer Frühphase vor sich geht.

Prof. Dr. Martin Fuhrmann und Prof. Dr. Stefan Remy

Es beginnt mit übererregten Nervenzellen

Was passiert also in der Frühphase der Alzheimer-Erkrankung im Gehirn? Die Forschenden haben das mithilfe eines sogenannten Tiermodells untersucht. In diesem Fall hat Erstautorin Liudmila Sosulina das Gehirn von Ratten untersucht. Dabei hat sie sich besonders den Hippocampus angeschaut. Dieses Hirnareal ist nämlich entscheidend für Lernprozesse und das Gedächtnis – zwei Bereiche, die bei Alzheimer stark betroffen sind.

Aus anderen Studien weiß man bereits, was im Gehirn bei Alzheimer passiert: Es entstehen Eiweißablagerungen – sogenannte Plaques. Diese "Wucherungen" sorgen dafür, dass die Nervenzellen und ihre Verbindungen untereinander – also die Synapsen – verloren gehen. Die Plaques schneiden die Nervenzellen sozusagen von der Kommunikation ab, die neuronalen Netzwerke funktionieren nicht mehr richtig. Das wurde bisher schon in Mäusen nachgewiesen und im Menschen vermutet. Der Nachweis bei der Ratte lege nun nahe, dass das tatsächlich ein speziesübergreifendes Krankheitsphänomen sei, heißt es – zumal die Ratte auch noch ein wichtiges Modelltier für die Lern- und Gedächtnisforschung. Kurz gesagt: Vieles im Rattenhirn funktioniert nachgewiesenermaßen wie im menschlichen Gehirn.

Doch Forscherin Sosulina machte bei ihren Untersuchungen eine Entdeckung: Lange bevor diese typischen Ablagerungen im Gehirn auftreten, kündigen die Nervenzellen die Erkrankung an. Denn die Nervenzellen und neuronale Netzwerke sind bereits vorher übererregt, so die Forscherin.

Wir konnten mit unterschiedlichen Methoden nachweisen, dass es im Hippocampus der Tiere zu einer Übererregbarkeit der Nervenzellen kommt, schon bevor sich Alzheimer-Plaques ausgebreitet haben.

Dr. Liudmila Sosulina

Die Forscherin erläutert, dass diese Veränderungen in der frühen Phase der Krankheit im Mikronetzwerk des Hippocampus nur in sogenannten glutamatergen Netzwerken vorkamen. Die Großhirnrinde von Säugetieren ist nämlich aus zwei Grundformen von Nervenzellen aufgebaut: glutamergen – also erregenden, und inhibitorischen – also hemmenden Neuronen. Die erregenden Zellen sind demnach also noch aktiver als das normalerweise der Fall ist. Die Forschenden sprechen auch von einer Hyperaktivität. Sosulina nimmt allerdings an, dass sich später im Verlauf der Krankheit auch die hemmenden Schaltkreise veränderten. Diese Übererregbarkeit von Nervenzellen kann also schon lange bevor die Plaques sichtbar werden, gemessen werden, weil sich die glutamergen Nervenzellen bereits verändert haben.

Der Ratte ins Gehirn geschaut

Für die Untersuchung des Ratten-Hippocampus haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine neue bildgebende Methodik genutzt, um den Tieren ins Gehirn zu schauen. Mit Hilfe der sogenannten Zwei-Photonen-Mikroskopie haben sie die Aktivität von Calcium in den Zellen gemessen. Bei den betroffenen Neuronen konnten sie so eine Hyperaktivität sehen. Diese Art von Mikroskopie basiert auf der Lasertechnologie und ermöglicht es den Forschenden gewissermaßen live ins Gehirn eines lebenden Tieres: Die Zellen lassen sich also "in vivo" beobachten.

(kie)

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