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Für die EwigkeitDie Menschen der Zukunft vor Atommüll warnen

13. Oktober 2020, 16:27 Uhr

Bis zu einer Million Jahre soll hochradioaktiver Müll sicher in einem unterirdischen Endlager bleiben. Deshalb fragen sich Forscher auch: Wie warnt man die Menschen der Zukunft davor, ihn wieder auszugraben?

von Clemens Haug und Maximilian Heeke

Rund 300.000 Jahre soll Schacht Konrad, das Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle, die Menschen sicher vor strahlendem Müll bewahren. Bei dem noch zu findenden Lager für hochradioaktive Abfälle sind es sogar eine Million Jahre. Für den menschlichen Horizont sind solche Zeiträume kaum vorstellbar. Zum Vergleich: Vor 300.000 Jahren gab es die allerersten Menschen auf der Erde.

Angenommen, jede Generation zeugt mit etwa 30 Jahren ihre Kinder, dann soll Schacht Konrad den Müll vor insgesamt 10.000 Generationen von Menschen sicher verschließen. Wer von uns kennt schon seine Vorfahren von vor fünf bis zehn Generationen? Die Wissenschaftler, die ein Endlager konzipieren, haben also ein Problem: Wie können sie sicherstellen, dass kommende Generationen den Müll nicht wieder ausgraben und sich damit schaden?

Die Zeit, wenn das Endlager vergessen wird

Diese Frage haben sich unter anderem auch Experten der Nuclear Energy Agency gestellt. Die NEA gehört zur OECD und soll die sichere Nutzung der Atomkraft fördern. Und zur sicheren Nutzung gehört auch eine sichere Endlagerung. Deshalb wurde ein Projekt gestartet, das auf Deutsch übersetzt "Schutz der Akten, des Wissens und der Erinnerungen über Generationen (RK&M)" heißt.

Darin unterschieden die Wissenschaftler zunächst drei Zeitabschnitte. Der erste, kurzfristige, betrifft die Zeit bis zum Verschluss den Endlagers. Der zweite, mittelfristige, betrifft die Zeit nach dem Verschluss, in der noch Aufsicht über das Lager ausgeübt wird. Langfristig dann wird auch irgendwann die Aufsicht eingestellt, ab dann beginnt der dritte Zeitabschnitt.

Beipackzettel für Atomendlager

Die Forscher überlegten sich zwei Strategien: Zum einen könnten die wichtigen Botschaften von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden. Zum anderen könnte versucht werden, die Botschaft so zu platzieren, dass sie nur derjenige bekommt, der dem Abfall tatsächlich zu nahe kommt. Im Ergebnis stellten die Wissenschaftler zwei Bedingungen fest, wie künftige Generationen vor einem unnötigen Kontakt mit dem Müll bewahrt werden können.

Erhalten bleiben muss einerseits das Wissen über die Existenz des Endlagers, andererseits auch technisches Wissen zum Lager selbst. Dafür seien alle Arten der Informationsweitergabe notwendig, direkt und indirekt, durch Gesellschaft, Regierung und technische Vorkehrungen. Dazu entwickelten die Experten ein Set von insgesamt neun Ansätzen mit 35 Maßnahmen. Unter anderem eine Art kurzer Beipackzettel für das Endlager (Key Information File) und eine Auswahl von Akten, die für zukünftige Generationen wichtig sind. In Deutschland orientiert sich das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) an den Ergebnissen des NEA-Projekts.

Die Plakataktion des Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung soll in der Bevölkerung Akzeptanz schaffen für einen Endlagerstandort. Bildrechte: imago images / Arnulf Hettrich

Eine postapokalyptische Menschheit wäre kein Problem

Aber natürlich bleibt das Problem: Können die Menschen der Zukunft unsere Sprache und Schrift aus der Gegenwart verstehen? Wie schwierig es ist, ägyptische Hieroglyphen zu entschlüsseln, veranschaulicht die Schwierigkeit.

Neben umfangreichen Forschungen zur physischen und geologischen Sicherheit stellen deutsche Wissenschaftler deshalb auch Überlegungen zum künftigen, ungeplanten menschlichen Einfluss auf das Lager an. Wie sich die Menschheit künftig entwickeln wird, kann niemand vorhersehen, deshalb hat das Bundesumweltministerium festgelegt, dass Szenarien durchdacht werden müssen.

Michael Lohse von der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) beschreibt drei mögliche Entwicklungen für Schacht Konrad.

Die Menschheit lebt in einer postapokalyptischen Welt und verfügt gar nicht mehr über die Technik, so weit in der Tiefe Bergbau zu betreiben. Das wäre also kein Problem. Zweites Szenario: Die Menschen sind technisch viel weiter fortgeschritten, dann haben sie auch die Analysemethoden, um zu erkennen, dass dort Radioaktivität ist. Auch kein Problem. Drittes Szenario: Die Menschen sind technisch einigermaßen auf dem Stand der Gegenwart und starten eine Erkundung. Dann finden sie am ehesten einen verfüllten Hohlraum. Dass sie mit einer Sonde wirklich genau eine Kammer mit Müll treffen, ist aber sehr, sehr unwahrscheinlich.

Michael Lohse, Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE)

Die Atomsemiotik: Wie künftige Generationen gewarnt werden können

Für diesen dritten Fall gibt es allerdings einen ganz eigenen Forschungszweig, die sogenannte Atomsemiotik. Hier überlegen Forscher, wie künftige Generationen gewarnt werden können, dass es sich bei einem atomaren Endlager nicht etwa um die Grabkammern eines Pharaos handelt. Christian Trautsch ist Linguist und Semiotiker an der Technischen Universität Berlin. Er unterscheidet zunächst verschiedene Möglichkeiten, Warnungen anzubringen.

  1. Die biologische Option: Man könnte lebende Organismen züchten, die vor dem Atommüll warnen.
  2. Die physikalische Option: Langfristige Warnschilder müssen aus besonderen Materialien hergestellt werden.
  3. Die kulturelle Option: Inspiriert von heiligen Schriften und Bauwerken wie Stonehenge könnten Traditionen etabliert werden, die die Warnung vor dem Endlager von Generation zu Generation weitergeben.

Vor Trautsch hat sich auch Roland Posner mit dieser Frage ausgiebig beschäftigt. 1990 gab er mit anderen Wissenschaftler*innen das Buch "Warnungen an die ferne Zukunft" heraus. Er überlegt darin, dass eine Art Atommüll-Priesterschaft nötig wäre.

Wie beispielsweise die katholische Kirche über 2.000 Jahre die frohe Botschaft von Leben, Sterben und Auferstehung Christi in kanonischer Form bewahrt und verbreitet und deren Übersetzung in fremde Sprachen und neu entstandene Sprachstufen autorisiert hat, so hätte die Atom-Priesterschaft die weniger frohe Botschaft vom Ort der Atommülllager und den Folgen des Eindringens zu bewahren und zu verbreiten und deren Übersetzung in alle relevanten neuen Zeichensysteme zu autorisieren.

Roland Posner in "Warnungen an die ferne Zukunft".

Als Alternative schlägt Posner einen Zukunftsrat vor, in dem gewählte Vertreter*innen aus dem Volk das Wissen über die strahlenden Vermächtnisse Generation für Generation weitergeben.

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