Bäume im KlimawandelEsskastanien für die Wälder von Morgen
Unweit von Meißen steht am alten Gutshof von Miltitz einer der nördlichsten Esskastanienhaine Europas. Vermutlich ab dem 11. Jahrhundert wurden im Meißner Land die ersten Kastanien angepflanzt und in schweren Zeiten dienten die essbaren Früchte sogar als Nahrungsmittel. Wer heute Esskastanien sammelt, entpuppt sich als Feinschmecker. Dabei lohnen nicht nur nussige Maronifrüchte der Mühe, auch die Kulturgeschichte zeugt von einem Multitalent.
Schon im Gründungsjahr des Forstbotanischen Gartens in Tharandt 1811 gehörten Esskastanien zum festen Bestand des Forschungswaldes unweit von Dresden. "Wir haben mehrere, wirklich starke und große europäische Esskastanien und noch einen kleineren Bestand, der zu Versuchszwecken angelegt war", sagt Forstbotaniker und Kustos Ulrich Pietzarka und läuft den steilen Hang hinauf zu einem ganz besonderen Exemplar. Wie allerdings diese prächtige amerikanische Esskastanie nach Tharandt gekommen ist, das wüsste er nur allzu gern. "Amerikanische Esskastanien sind inzwischen sehr selten geworden, sogar in Nordamerika. Und dass diese hier schon zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts ihren Weg hierher gefunden hat, das ist eine kleine Sensation. Ich wäre glücklich, wenn ich mehr darüber wüsste."
Viele schmeißen Rosskastanie und Esskastanie in einen Topf.
Ulrich Pietzarka, Kustos des Forstbotanischen Gartens Tharandt
Einmeterfünfzig im Durchmesser misst der Stamm dieser amerikanischen Esskastanie im Forstbotanischen Garten von Tharandt. Ein intakter, starker Baum mit durchfurchter Rinde und kräftigen ausladenden Ästen. Die Gattung castanea gehört zur Familie der Buchengewächse. "Wir Botaniker unterscheiden ganz klar die Rosskastanien, die man nicht gut essen kann, von den Esskastanien, die sehr schmackhaft sind, vor allem geröstet. Sie gehören auch zu ganz unterschiedlichen Familien. Botanisch sieht man das sofort an der Blattgestalt. Hier haben wir ein einfaches Blatt, länglich-oval bis zu 20-25 Zentimeter, manchmal lang und am Rand dann mit spitzen Zähnchen. Auch die Cupola, der Fruchtbecher, der die Frucht komplett umgibt, ist bei der Esskastanie wirklich überaus stachlig."
Maronen aus dem Mittelmeerraum
Wie kam die Ess- oder Edelkastanie, deren besonders aromatische Früchte auch Maroni genannt werden, überhaupt nach Europa? "Wir wissen, sie kommt aus dem Mittelmeerraum, aber nicht genau woher, weil sie schon seit dem Altertum kultiviert wurde. Selbst im alten Rom gab es eine Bezeichnung für Esskastanienwälder, weil es dort um die Frucht- und gar nicht so sehr um die Holzproduktion ging", sagt Ulrich Pietzarka.
Theophrast beschreibt sie schon 300 v.Chr., Plinius auch und seit Varro wird sie in landwirtschaftlichen Schriften regelmäßig erwähnt, d.h. seit über 2200 Jahren. Doch ob es wirklich die römischen Legionäre waren, die sie im nördlichen Mitteleuropa verbreitet haben – wer weiß. Im 16. Jahrhundert beschreibt sie Shakespeare in seiner Tragödie "Macbeth", sie dürfte damals also kaum mehr ein Exot gewesen sein. Lange Zeit und noch bis in unser Jahrhundert galt sie als Brot des armen Mannes, besonders in den entlegenen Regionen Südeuropas.
Armenspeise in Italiens Bergregionen
Ortswechsel: Senarega ist ein einsames Dorf im Nord-Westen Italiens. Erst seit fünf Jahrzehnten führt eine Straße in die steile Bergregion Liguriens, die geprägt ist von großen Esskastanienwäldern. Ohne sie hätten die Menschen hier nicht überlebt.
Viele Jahre hat Sergio Rossi als Kulturbeauftragter in Montoggio zur Kulturgeschichte der Bergdörfer geforscht. Sie steht exemplarisch für viele arme Regionen in Europa. Und für den Nutzen der Esskastanie. "Die alten Leute erzählen oft von der Bedeutung der Esskastanien. Wie gut oder schlecht die Ernte war, konnte man immer am Ende eines Winters an den Menschen ablesen. Waren sie gut genährt – hatte es viele Kastanien gegeben. Waren sie dünn und ausgemergelt – dann war es ein schlechtes Jahr."
Das Sammeln, Trocknen und Verarbeiten war eine mühevolle Arbeit. Im Herbst wurden die Kastanien im Wald aufgelesen, in die Dörfer transportiert und in besonderen Speichern unter Holzfeuer Tag und Nacht für zirka einen Monat getrocknet. Erst danach konnte man das Ernteergebnis sehen. Sergio Rossi: "Die schönsten und größten Kastanien wurden verkauft, die kleineren, zerbrochenen gingen an die Tiere zur Fütterung und aus den mittleren wurde Mehl gemahlen. Daraus machten die Frauen dann Brot oder Kastanien-Gnocchi."
Multitalent Marone
Zurück zu Ulrich Pietzarka nach Tharandt. "Es ist eine hochspannende Baumart für alle möglichen Verwendung", resümiert der Kustos des Forstbotanischen Gartens über die Esskastanie als anspruchslose und trockenresistente Baumart, die von viel Sonne und viel Platz für ihr Wachstum profitiert. Während heimischen Baumarten unter steigenden Temperaturen und Trockenheit leiden, beweist sich die Marone als Multitalent.
Neuer Favorit für Waldumbau
"Sie wurde über Jahrtausende genutzt und es könnte wieder mehr werden. Sie liefert ein schönes, tolles Holz: dunkelbrauner Kern, heller Splint. Sie bietet gleichzeitig diese reiche Blüte, die von vielen Insekten genutzt werden kann, der Pollen als eiweißreiche Nahrung. Dann noch die großen Früchte, die der Mensch oder manches Tier gern verspeist. Also sie bringt unheimlich viele Vorteile mit, obwohl sie eine nicht-einheimische Art ist."
Beim Thema Aufforstung, Waldumbau oder Naturverjüngung spielt die Esskastanie jedenfalls zunehmend auch in Mitteldeutschland eine Rolle. Die Esskastanie – eine Baumart der Zukunft, ist sich Ulrich Pietzarka sicher: "Sie ergänzt unsere Sorten und wir haben keinerlei negativen Einflüsse auf das Waldökosystem im Sinne invasiver Art. Sie ist seit Jahrhunderten etabliert, also aus meiner Sicht eine sehr vielversprechende Art."
Links/Infos
Den Forstbotanischen Garten Tharandt, das Sächsisches Landesarboretum können Sie hier besuchen.
Besonders schöne Exemplare oder Naturdenkmale finden Sie hier: Freital-Hainsberg, Gut Pesterwitz, Miltitz bei Meißen.
Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | Spezial | 03. November 2022 | 18:00 Uhr
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