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BildungWelche Bedeutung hat die Schule - und welche geben wir ihr?

15. Dezember 2020, 10:15 Uhr

Der Leipziger Sozialpädagoge Marcell Heinrich sagt, wir müssen dringend unseren Bildungsbegriff erweitern. Die Schule als Ort, der uns aufs Leben vorbereitet? Dazu müssen wir unsere innere Haltung zu ihrer Bedeutung ändern. Nur wir selbst können dabei helfen, die Schule zu einem Ort zu machen, der die Potentiale der Kinder entfaltet und sie auf die große Freiheit vorbereitet, die uns heute das Leben manchmal so schwermacht.

Eltern sagen: "Du lernst nicht für die Schule, sondern fürs Leben." Grundschulkinder sagen: "Ich muss heute noch was für Mathe lernen." Jugendliche sagen: "Ich muss das für den Test morgen lernen." Manche Lehrkräfte mit speziellem Sinn für Humor kalauern: "Nicht für das Leben lernen wir, sondern für den Lehrer!" Ja, für wen oder was denn nun?

Ist Schule überhaupt noch ein Ort, der aufs Leben vorbereiten kann? Marcell Heinrich ist Sozialpädagoge und Fachbuchautor aus Leipzig, der mit Jugendlichen arbeitet. Sein Ziel: Kinder und Jugendlichen helfen, ihre Potentiale zu erkennen.

Denkmuster aufgeben ist schwer - aber nötig

Gelernt ist gelernt - für viele gelten Noten noch als Garant für einen guten Einstieg ins Berufsleben Bildrechte: imago images/suedraumfoto

Er fordert im Gespräch mit dem MDR: "Wir müssen unseren Bildungsbegriff erweitern." Aus seiner Sicht stecken wir mitten im Wandel von der Wissensgesellschaft zur Kompetenzgesellschaft. Aber trotzdem kleben viele immer noch an Abschlussnoten und Schulzeugnissen, im Blick die Studienchancen und Bewerbungen, "getrieben von der Angst, es wird nichts mit dem Kind, wenn die Noten nicht stimmen". Eine nachvollziehbare Angst, sagt Marcell Heinrich:

Das ist verständlich, das sind die einzigen Muster, die wir bisher haben haben. Es kostet Überwindung, innerlich der Schule nicht mehr diese Bedeutung zu geben.

Marcell Heinrich | Interview MDR Kultur

Aus Sicht des Sozialpädagogen brauchen wir zwar ein gewisses Maß an formalem Lernen, also Unterricht, Lehrplan, Stundenplan. Für ein gelingendes Leben sei das aber nur die halbe Miete. Viel mehr müssten wir dringend unseren Bildungsbegriff erweitern.

Es steckt viel mehr in uns, als unsere Zertifikate und Zeugnisse zeigen können.

Über die eigenen Begabungen und Fähigkeiten sagen Noten und Zeugnisse herzlich wenig aus. Dabei sind es gerade Begabungen und Stärken, die Marcell Heinrich zufolge zu einem gelingenden Leben führen. Sein Leitgedanke dabei: Wer Stärken auf einem bestimmten Gebiet hat, nimmt diese Fähigkeiten als selbstverständlich wahr, als sei das bei allen Menschen so. Selbst wenn es sich dabei um Besonderheiten handelt, die Schlüsselfähigkeiten für Berufe sein können. Nur muss man diese erst mal identifizieren. Und dann hat man die Chance, Berufe zu entdecken, die sich gar nicht wie "Arbeit" anfühlen, sagt Heinrich.

Warum wir uns so verzweifelt an Noten klammern

Längst suchen Personalabteilungen nicht mehr gezielt nach den Menschen mit den besten Abschlüssen. Sie suchen nach Persönlichkeitsprofilen, Begabungen, nach Motivation. Also stehen alle Wege offen trotz durchschnittlicher oder mieser Noten? Das klingt doch phantastisch! Wenn wir denn schon darauf eingestellt wären. Sind wir aber nicht, denn das ist eine neue Situation, räumt Marcell Heinrich im Gespräch mit MDR KULTUR ein:

Wir haben die Freiheit, unser Leben weitgehend selbst zu gestalten. Wir müssen viel weniger draußen Aufgaben finden, damit wir überleben und satt werden. Wir können ganz viele Lebensstile wählen - und das überfordert uns, weil wir das nie gelernt haben.

Bildrechte: imago images / Horst Rudel

Aber wie fördert man diese Potentiale zutage, als Eltern zum Beispiel? Nicht, indem Kinder nur nach den Noten von Leistungskontrollen und Klassenarbeiten gefragt werden, die das Selbstwertgefühl mit diesen Noten verknüpfen, sagt Marcell Heinrich.

Fragen wir die Kinder nach Arbeiten, dann danach, wie es ihnen dabei ging: 'Wie hast du dich gefühlt, wie hast du das geschafft, mit dem Zeitdruck, hast du gespickt, wer hat geholfen?'

Marcell Heinrich sieht hier bereits einen Wandel in der Haltung der Eltern zu den Kindern und fordert: Eltern sind mit ihrer Grundhaltung der Schlüssel, in welche Richtung Kinder Schule erleben. Er fordert: Macht euch schlau, welche Möglichkeiten es gibt es im formalen System, auch dann, wenn die Noten scheinbar nicht zum Beruf passen.

Auch hier sieht der Unternehmer und Buchautor die Eltern als Schlüssel, von denen Kindern eine innere Haltung lernen, ihr Leben selbst zu gestalten. So wie sich alle zu Zeiten des Corona-Lockdowns durch Tage und Wochen hangeln, in denen alles Kopf steht. Der Sozialpädagoge verweist auf die Chancen, die darin für die Zukunft stecken:

Da kommt doch was raus, ein Mensch, eine Gesellschaft: Die können ihre Woche gestalten, auch wenn kein Arbeitgeber ihnen sagt, was sie zu tun haben, wenn sie sich selbst die Aufgaben geben müssen.

Für den Sozialpädagogen steckt darin eine große Chance: Für eine gesündere Gesellschaft, "in der Menschen sich nicht mehr totschuften", wie Heinrich sagt, sondern sinnerfüllte Aufgaben übernehmen, was wiederum die Qualität der Wirtschaft verbessern wird. Eine Gesellschaft mit frohen, glücklichen Menschen, die ihren Potentialen und Motivationen folgen - auf die könne man sich freuen.

(lfw)

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