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Bildrechte: Laurence King Verlag

Buchtipp der WocheIn 80 Vögeln um die Welt

25. August 2022, 11:43 Uhr

Welcher Vogel steht auf Ohrenschmalz und Haarschuppen, und warum Volkslieder uns auf falsche Fährten führen: Ein Buch für flatterhafte Wesen, die gern in schönen Bildern schwelgen und Wissen im Vorbeiflug aufschnappen, sagt Rezensentin Liane Watzel.

von Liane Watzel

Wer schon mal gezeltet hat, weiß: Der frühe Vogel fängt nicht den Wurm. Der frühe Vogel schwatzt, was das Zeug hält, und macht alle in der (Nest-)Nachbarschaft wach. Den Rest des Tages treibt er sich, wie schon seit Ewigkeiten herum. Und das nicht nur im Garten, in der Luft, in Feld, Wald und Wiese. Auch auf Münzen, Geldscheinen, auf Nationalflaggen, in Gedichten, Sagen, Mythologien, Liedern und Romanen, auf Klamotten oder in unseren Betten umgeben uns Vögel. Und genau diesen Geschichten rund um die Vögel widmet sich Mike Unwin, Autor von naturkundlichen Büchern für Kinder und Erwachsene, in seinem Buch "In 80 Vögeln um die Welt." Ein farbenprächtiger Wälzer, der uns in sieben Kapiteln kontinentweise 80 Vögel vorstellt, meist auf einer Doppelseite mit kunterbunten Illustrationen von Ryuto Miyake. Er greift einzelne Details aus dem Leben des jeweiligen Vogels auf, ein Fest für die Augen.

Die Gartenspottdrossel kann Katzen, Hunde und Grillen imitieren aber auch Autoalarmanlagen. Bildrechte: Laurence King Verlag / Text: 2022 Mike Unwin / Illustration: 2022 Ryuto Miyake

"Singt uns Frau Nachtigalle" – So ein Quatsch

In 80 Vögeln um die Welt, wo fliegt man los? Vielleicht mit dem Gelbschnabel-Madenhacker, der sich in Tansania an den Parasiten der Büffel, Giraffen, Gnus und Hausrindern labt, an Zecken und Larven. Und, Mahlzeit!, auch an Ohrenschmalz und Hautschuppen. Weniger spektakulär auf den ersten Blick geht's in Europa zu, bei Rotkehlchen, Mauersegler oder Nachtigall. Wobei man dann feststellt, dass das Wissen über Vögel damals wie heute recht rudimentär ist. Wer denkt, dass die Nachtigallen-Weibchen so fröhlich singen, irrt genau wie die Menschen im 16. Jahrhundert. Da sangen sie – und Chöre bis heute – im Volkslied "Wach auf mein Herzens Schöne" fröhlich: "Singt uns Frau Nachtigalle, singt uns ein süße Melodei." Ja, denkste! Der inhaltliche Unsinn ist später auch Johannes Brahms nicht aufgefallen, der das Lied neu vertonte. Die süße Melodei stammt nämlich von Herrn Nachtigall und ist eher Kampfansage denn romantisches Gesäusel. Der Gesang dient profanen Zwecken, Weibchen beeindrucken und Revier markieren. Sobald Frau Nachtigall im Nest brütet, ist‘s Essig mit dem lieblichen Gesang, Herr Nachtigall verstummt und krächzt bisweilen. Ein Schelm, wer hier Parallelen zieht – der Buchautor tut's nicht.

Mahlzeit: Im Giraffenfell lebt es. Der Gelbschnabel-Madenhacker findet hier ein reichhaltiges Buffet vor. Bildrechte: Laurence King Verlag / Text: 2022 Mike Unwin / Illustration: 2022 Ryuto Miyake

Warum die Harpyie so ein Gesicht zieht

Also lieber weiterflattern auf den nächsten Kontinent, nächster Stopp Südamerika. Bei der Harpyie, dem Jaguar der Lüfte, die ihre Gesichtsfedern aufstellen kann wie einen Schleier, um den Schall zu verstärken und besser zu hören. Die sparsamen Brüter legen alle zwei, drei Jahre zwei Eier, von denen nur eines bebrütet wird. Sie ist ein mächtiger Jäger: Faultier, Affe, Ameisenbär – der Harpyie schmeckt manches, nur nicht der Abbau der Wälder. Seit 2002 ist der beeindruckende Vogel auch Nationalvogel Panamas.

Die Harpyie: In der griechischen Mythologie ein Mischwesen mit Frauengesicht und Greifvogelkörper, das Tote in den Hades bringt. Bildrechte: Laurence King Verlag / Text: 2022 Mike Unwin / Illustration: 2022 Ryuto Miyake

Kennen Sie den Roadrunner?

Oder kennen Sie noch den Zeichentrick-Vogel Roadrunner? Der ist gefühlt schon steinalt. "Miep miep"-maulend raste er durch die TV-Zeichentrick-Wüste der 80er-Jahre und landete jetzt in Mike Unwins Buch. Der Autor entlarvt den irrwitzigen Wüstenraser als Wegekuckuck, und gleichzeitig mystischen Beschützer der indigenen Bevölkerung vor bösen Geistern. Ein sympathisches Kerlchen, das die Brut selbst in eigenen Nestern aufzieht. Apropos Nest: Die Eiderente, deren Federn für exquisite Eiderdaunen-Decken verwendet werden, polstert damit dem Nachwuchs das Nest. Bei den Wikingern waren Eiderdaunen Zahlungsmittel, im Mittelalter konnten damit auch Steuern beglichen werden. Verständlich, wenn man weiß, wie die Eiderdaunen auf Island bis heute gewonnen werden. Erst zupfen die Eiderdaunenweibchen sie aus ihrem Gefieder damit der Nachwuchs warm gebettet heranwächst. Ist der flügge, zupfen die Menschen diese Polsterdaunen aus dem Nest und machen sich wärmende Kissen daraus.

Bildrechte: Laurence King Verlag / Text: 2022 Mike Unwin / Illustration: 2022 Ryuto Miyake

Und so ist dieses Buch auch eine Art luxuriöse Eiderdauenendecke: Man kann sie immer mal aufschütteln, wärmt sich an schönen Illustrationen, zupft verblüffende Details aus den Seiten. Und selbst wenn man die meisten Vögel aus dem Buch in Wirklichkeit nie live sehen wird, macht es Spaß, über sie zu lesen. Ein Buch, durch das man gerne fliegt, sich wie ein Vogel mal hier, mal da niederlässt, von einer Seite zur nächsten flattert. Ich bin dann mal weg, da sind noch viele schöne Vögel im Buch.

Bildrechte: Laurence King Verlag

Die Daten zum BuchMike Unwin: In 80 Vögeln um die Welt, illustriert von Ryuto Miyake, übersetzt von Bettina Eschenhagen. Laurence King Verlag 2022, 216 Seiten, 24 Euro, ISBN 978-3-96244-233-0

Bildrechte: Tobias Thiergen

Die RezensentinLiane Watzel ist Online- und Radioautorin. In der Redaktion Wissen & Bildung, weil sie Neues aus der Forschung gern so übersetzt, dass jede/r es beim ersten Lesen oder Hören versteht und anschließend sagt: "Ach so! Wie spannend! Jetzt versteh ich das! Das hab' ich nicht gewusst!"

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