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Bildrechte: Suhrkamp Verlag

Wissen, was wir lesenFernblick. Wie wir uns die Zukunft erzählen

02. Januar 2022, 15:00 Uhr

Ein Buch, das sich mit denen beschäftigt, die die Zukunft machen und uns, die sich die Zukunft ausmalen. Und manchmal ist die einfach unvorhersehbar. Das hat der Autor beim Schreiben zu spüren bekommen. MDR WISSEN-Autor Florian Zinner hat die Neuerscheinung von Dirk Peitz gelesen und kommt zu dem Schluss: "Seine Ehrlichkeit, die mit nüchtern-fasziniertem Blick daherkommt, überzeugt."

von Florian Zinner

Unterwegs im Silicon Valley

Ach wei. Eigentlich hatte Dirk Peitz sein Werk "Fernblick: Wie wir uns die Zukunft erzählen" bereits zu Papier bzw. zu Monitor gebracht, als sich diese ominöse, gar nicht so leicht zu erzählende Zukunft meldete, über die er gerade noch geschrieben hatte. In Form einer weltweiten Pandemie, die über die Menschheit hereinbrach. Peitz musste umschreiben. Ganz unfreiwillig wird das Buch damit zu einem Zeitdokument. Für den Autor ein Glücksfall: So gab's ein kleines Päckchen Extra-Relevanz als Dreingabe noch oben drauf.

In Cupertino ist dauerhaft ein Raumschiff gelandet: Und es heißt Apple Park. Dirk Peitz' erste Station. Bildrechte: Wikimedia Commons/Daniel L. Lu (CC BY-SA 4.0)

Dirk Peitz besucht mit uns die Orte, in denen gewissermaßen die Zukunft gemacht wird. Und die beginnt: Im Silicon Valley. Denn Zukunft, das hat irgendwie auch immer etwas mit technologischem Fortschritt zu tun. Was Informations- und Unterhaltungselektronik betrifft, waren die Ideen von Zukunft stets südlich von San Francisco beheimatet. Waren?

Apples Idee von einer permanenten Zukunft ist in der sich nicht mehr sehr total anfühlenden, sondern eher zermarternden Gegenwart angekommen.

Fernblick, S. 36

Nun, die Zukunftsaussichten sind trotz der imposanten Kunstwelt des Apple Parks nicht sonderlich rosig; das Silicon Valley ist zu einer Art Selbstzweck degradiert, so ein bisschen wie die verstörend unimposanten Bauten von Facebooks Mutterkonzern Meta. Dirk Peitz war vor Ort und erzählt, was er gesehen hat. Was machen Soziale Medien mit der Denke von morgen? Was treiben Zukunftsforschende und warum wollen sie möglicherweise nicht so genannt werden? Wo arbeiten Menschen an der Realisierung der Unsterblichkeit? Und was passiert gerade an dem Ort, den man als Anfang des Internets bezeichnen könnte?

Ein Blick in die Kartenanwendung zeigt: Ja, 1 Hacker Way ist in Menlo Park eine valide Adresse. Metas (Facebooks) Zweckbauten und der riesige Parkplatz sehen allerdings wenig nach Internet-Freigeistern aus. Bildrechte: Screenshot Apple Maps

Freilich, das spielt alles nicht nur im Valley. Dirk Peitz nimmt uns an die Hand und zeigt uns seine Zukunftsorte auch außerhalb der Bay Area, die zugegebenermaßen allerdings trotzdem vor allem in den Vereinigten Staaten liegen. Immerhin: Einen Abstecher zu den neuen Zukunftsmacher*innen von Shenzen in China gibt es dann doch.

Ein nüchtern-faszinierter Blick auf die Zukunft

Dirk Peitz macht keinen Hehl daraus, dass Zukunft nicht heißt, dass alles immer besser wird. Und vor allem: Dass niemand sie vorhersagen kann. Auch Menschen nicht, die sich damit professionell auseinandersetzen.

Sie war eine Art Anti-Elon-Musk. Bloß keine Zukunftsromantik, weder helle noch düstere. Stattdessen versuchte Nidhi Kalra, den Nebel vor uns als Ganzes zu verstehen und beherrschbar zu machen.

Fernblick, S. 161

Seine Ehrlichkeit, die mit nüchtern-fasziniertem Blick daherkommt, überzeugt. Und auch wenn ich zunächst der festen Überzeugung war, dass wir uns auf den nächsten 303 Seiten vor allem mit den durch Heimelektronik generierten Zukunftsversprechen auseinandersetzen, ist es jetzt eine umso größere Freude, jeweils mit Spannung zu erwarten, welche Idee von Zukunftserzählung der Autor im nächsten Kapitel entwickelt. Die sind elf willkommene Überraschungseier, Adventskalendertürchen, nennen Sie's, wie Sie wollen.

Der Autor Dirk Peitz Bildrechte: Christian Werner/Suhrkamp Verlag

Journalist und Kulturredakteur

Um sich dieser durchaus stattlichen Aufgabe zu widmen, ein Buch über gegenwärtige Zukunftserzählungen zu veröffentlichen, muss man wahrscheinlich zumindest Tech-Journalist*in oder Kulturredakteur*in sein. Wie gut, dass Dirk Peitz beides ist. 1971 geboren, ist er seit Mitte der Neunziger in der schreibenden Zunft unterwegs und über die Süddeutsche Zeitung und Wired Germany inzwischen bei Zeit Online gelandet. Er interessiert sich im Übrigen für die Zukunft der Menschheit, steht im Klappentext.

Ach was.

Bildrechte: Suhrkamp Verlag

Die Daten zum BuchDirk Peitz: Fernblick. Wie wir uns die Zukunft erzählen. Suhrkamp 2020, 313 Seiten, 16 Euro, ISBN: 978-3-518-47027-5

Sachlicher Blick mit philosophischen Exkursen

Ich wiederhole mich möglicherweise, aber für die Bearbeitung des Themas Zukunft in diesem Stil müsste man zumindest Tech-Journalist*in UND Kulturredakteur*in sein. Sie wissen ja schon: Peitz ist beides. Und damit liefert er beides: Den sachlichen, begeisterungsfähigen Blick der Techbranche. Und genug feuilletonistische Gabe, um die bei der Thematik dringend notwendigen philosophischen Exkurse zwischen die Zeilen zu bringen.

Architektur hingegen ist die Stilllegung der Zeit in der fixen Form des konkret Gebauten. Und damit das Gegenteil von Veränderung.

Fürs Steinwerden der Ideen glaubt man im Silicon Valley einfach keine Zeit zu haben.

Fernblick, S. 49

Okay, manche seiner Sätze muss man zweimal lesen. Oder dreimal. Hab ich aber gern gemacht.

Was wäre wenn?

Zukunft, das heißt up und down und down und up und vielleicht danach up, wenn nicht ein down kommt. Zukunft, die entsteht nicht durch technische Errungenschaften. Sondern durch die Träume, die mit ihnen verkauft werden. Die Frage nach der Zukunft, das ist nicht: Was kommt als nächstes? Sondern: Was wäre wenn?

Und, Herr Peitz, was wäre, wenn plötzlich eine Pandemie über die Menschheit hereinbricht?

An Zukunft ist gerade nicht zu denken. Oder aber: doch gerade jetzt. Wobei dieses Jetzt, wenn dieses Buch erschienen sein wird, schon wieder Vergangenheit sein wird. Futur II.

Fernblick, S. 276

Bildrechte: MDR

Der RezensentFlorian Zinner besaß als Kind ein Laienmikroskop mit Zubehör sowie die Gesamtausgabe von "Alles was ich wissen will" – also Band 1 und 2. Seitdem weiß er vor allem alles was er wissen will – und: dass die Antworten meistens kompliziert sind.

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