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Covid-19Ziel Herdenimmunität: Impfpflicht wäre kontraproduktiv

22. Dezember 2020, 17:10 Uhr

Eine neue Studie untersucht, wann die Deutschen eher Maßnahmen gegen Corona unterstützen – freiwillig oder unter staatlichem Zwang? Ein Ergebnis: Wer in der DDR aufgewachsen ist, hat mit Zwang weniger Probleme.

von Clemens Haug

Ein Impfzentrum in Köln, kurz vor Start der Impfkampagne. Bildrechte: imago images/Political-Moments

Am 16. Juni wurde die deutsche Corona-Warnapp veröffentlicht. Sechs Wochen später hatten sich 16,4 Millionen Smartphone-Nutzer das Programm installiert. Laut Schätzungen des Magazins "Spiegel" entspricht das etwa 37 Prozent der Geräte, die die technischen Voraussetzungen für den Betrieb der App mitbringen. Diese Quote entspricht ziemlich genau den 36 Prozent Zustimmung zur Corona-App, die die Konstanzer Wirtschaftswissenschaftlerin Katrin Schmelz in ihrer neuen Studie ermittelt hat. In ihrer jetzt im renommierten Magazin PNAS veröffentlichten Untersuchung ist sie der Frage nachgegangen, wie fünf Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie besser umgesetzt werden, freiwillig oder durch staatlichen Zwang?

Knapp zusammengefasst: Eine Maskenpflicht hat mehr Aussicht auf Erfolg als eine Impfpflicht. Interessantes Nebenergebnis: Wer in der DDR aufgewachsen ist und einen autoritären Staat erlebt hat, hat offenbar weniger Probleme mit staatlichen Zwangsmaßnahmen, als diejenigen, die in einem liberalen System groß geworden sind.

Staatlicher Zwang belohnt die Kooperativen

Insgesamt 4.799 Personen wurden in einem Onlinefragebogen zu ihrer Zustimmung zu insgesamt fünf Maßnahmen gegen die Pandemie befragt: Kontakverfolgungs-Apps wie der deutschen Corona-Warnapp, Kontaktbeschränkungen, Reisebeschränkungen, Alltagsmasken und Impfungen. Das Problem ist dabei weniger trivial, als es auf den ersten Blick erscheint. Natürlich ziehen die Befragten Freiwilligkeit dem staatlichen Zwang immer vor. Allerdings zeigen Erfahrungen von vergangenen Experimenten und Situationen: Die Bereitschaft, bei einer unangenehmen Maßnahme freiwillig mitzumachen, erodiert, je mehr Menschen sich nicht beteiligen.

Staatlicher Zwang könnte also sicherstellen, dass genügend Menschen mitmachen und so kooperative Personen beruhigen, schreibt Schmelzer in ihrer Studie. Andererseits unterminiere staatlicher Zwang aber die innere Motivation, stelle also eine Gefahr dar für Maßnahmen, deren Umsetzung sich von Staaten nur schwer kontrollieren lässt.

Wer Menschen vertraut, lehnt Zwang ab

Am deutlichsten war der Unterschied bei der Corona-App. Waren 36 Prozent der Befragten einverstanden, die App freiwillig zu nutzen, sank ihre Zustimmung um fast 20 Prozent, wenn die Appnutzung verpflichtend wäre. 40 Prozent kündigten dann sogar ihren Widerstand gegen das Programm an. Auch die Bereitschaft zur Impfung lag deutlich niedriger, wenn sie verpflichtend wäre, als wenn sie freiwillig bliebe. Bei Reisebeschränkungen und Alltagsmasken wiederum unterschieden sich die Zustimmungen zwischen Bedingungen der Freiwilligkeit und Zwang kaum.

Die Corona-WarnappDie Corona-App ermittelt während des Handbetriebs mitels Bluetooth im Hintergrund permanent den räumlichen Abstand zu anderen Mobiltelefonen. Gibt ein Nutzer ein positives Testergebnis ein, warnt ein Server all diejenigen, die laut Handy-Abstandsmessung längeren, engen Kontakt zu diesem Nutzer hatten. Die Daten werden dabei anonymisiert und nur auf den jeweiligen Mobiltelefonen abgelegt. Behörden haben keinen Zugriff auf die Statusmeldungen und Mitteilungen der App. Eine Warnmeldung bleibt für den damit adressierten Nutzer also unverbindlich. Wie er reagiert, bleibt ihm selbst überlassen.

Generell zeigte sich: Je vertrauenswürdiger Befragte andere Menschen einschätzen (Zustimmung zur Aussage "Anderen Menschen kann generell getraut werden"), desto größer war ihre Abneigung gegen Zwangsmaßnahmen. Auch wer sich selbst nicht zugehörig zu einer Risikogruppe fühlte, lehnte Zwang eher ab.

Impfpflicht nicht sinnvoll

Forscherin Schmelz schlussfolgert aus ihren Daten, dass eine Maskenpflicht durchaus sinnvoll ist. Hier sei eine hohe Befolgung für die Wirksamkeit der Maßnahme wichtig. Die 60 Prozent Befolgung bei Freiwilligkeit würden nicht ausreichen. Bei der Corona-App und den Impfungen wiederum könnte Zwang aber kontraproduktiv sein. Hier sei die Einhaltung der Maßnahme deutlich schwieriger zu kontrollieren. In Schmelz' Untersuchung gaben 50 bis 65 Prozent der Befragten ihre Bereitschaft zur Impfung zu erkennen. Das könne ausreichend sein, um die angestrebte Herdenimmunität zu erreichen.

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