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Covid-19mRNA-Impfstoffe gegen Corona: Wie DNA hineinkommen kann und was das bedeutet

15. Januar 2024, 10:36 Uhr

Sind die mRNA Corona-Impfstoffe zu stark mit DNA verunreinigt? Dieser Verdacht kursiert seit Monaten in sozialen Netzwerken. Zwei Molekularbiologen haben sich mit den Vorwürfen beschäftigt und erklären Hintergründe.

In sozialen Netzwerken gibt es immer wieder Zweifel daran, dass die mRNA-Impfstoffe gegen Corona sicher sind. Unter anderem äußern Kritiker, das Vakzin von Biontech/Pfizer sei oberhalb der zulässigen Grenzwerte mit DNA verunreinigt, also genetischer Erbinformation, wie sie auch in menschlichen Zellen vorkommt. Wie kommt es zu den Vorwürfen? Und welche Folgen hätten DNA-Fragmente in der Impfung?

MDR Wissen hat dazu mit zwei Forschern gesprochen, die sich intensiv mit DNA und mRNA Technologien beschäftigt haben. Emanuel Wyler forscht am Max-Delbrück-Center zu RNA-Biologie und Viren. Friedemann Weber ist Virologe an der Justus-Liebig-Universität Giessen und forscht zur Reaktion der angeborenen Immunantwort auf angreifende Viren und die Frage, wie die Viren versuchen, diese Schutzmechanismen auszuhebeln.

MDR WISSEN: Wie wurden Sie auf den im Netz geäußerten Vorwurf aufmerksam, die mRNA-Impfstoffe seien mit DNA verunreinigt und dabei würden Grenzwerte überschritten?

Emanuel Wyler: Im April hat der Genomforscher McKernan mit Kollegen einen Preprint veröffentlicht. [Anm: Preprints sind Studien, die noch nicht von unabhängigen Gutachtern überprüft und dann offiziell in wissenschaftlichen Journalen publiziert wurden]. Im Mai oder Juni wurde ich auf der Plattform twitter [inzwischen X] darauf aufmerksam gemacht und gefragt, ob ich dazu etwas sagen könnte. Im Oktober erschien ein zweites Papier von Speicher et.al., das die Debatte stark befeuert hat.

Friedemann Weber: Ich wurde Ende Oktober gebeten, das Papier von McKernan und Kollegen in Augenschein zu nehmen. Ich habe es im Zug überflogen und dabei sind mir ein paar Punkte aufgefallen. Beispielsweise fehlten meiner Ansicht nach Kontrollen. Das habe ich dann auf twitter auch so geschrieben. McKernan hat das irgendwann bemerkt und auch geantwortet. Aber dabei wich er immer wieder Fragen aus und wurde nie konkret. Stattdessen wurde ich aufs übelste beschimpft.

DNA und RNADNA ist die (englische) Abkürzung für Desoxyribonukleinsäure, einem Kettenmolekül, das genetische Information enthält, praktisch den Bauplan für Eiweiße und damit für die allermeisten Lebewesen, angefangen von Pflanzen bis hin zu Menschen. Die DNA besteht aus zwei Strängen, zwischen denen sich die Nukleinbasen Adenin (A), Guanin (G), Cytosin (C) und Thymin (T) befinden. Sie sind praktisch die Codebausteine für die Erbinformation. Damit diese Information abgelesen werden kann, müssen die beiden Strenge voneinander aufgetrennt werden.


Ribonukleinsäure (RNA) wiederum ist praktisch die Erbinformation auf nur einem Strang. Statt einem Basenpaar sind hier jeweils einzelne Basen angeheftet, wobei statt Thymin die Base Uracil (U) vorkommt. Wenn DNA praktisch die Bibliothek mit allen Erbinformationen ist, könnte man RNA mit einer einzelnen E-Mail vergleichen, die eine konkrete Information enthält. RNA kann also sofort gelesen und die codierten Eiweiße hergestellt werden. Bei DNA müssen zuvor noch verschiedene Schritte durchlaufen werden. Dafür ist DNA deutlich stabiler als RNA.

MDR WISSEN: Sie beide kritisieren diese Arbeiten. Was genau sind aus Ihrer Sicht die Probleme?

Emanuel Wyler: Es gibt viele technische Dinge, die man unterschiedliche bewerten kann. Im Grunde geht es aber um die Prüfung von Arzneimitteln, die von sogenannten Offiziellen Medizinischen Kontrolllaboren (Official Medical Control Laboratory, OMCL) durchgeführt werden. Davon gibt es viele weltweit, das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) ist eines davon. Diese Labore und die Hersteller machen regelmäßige Prüfungen von Impfstoffen, dazu gehört auch der DNA-Gehalt. All diese OMCLs weltweit müssten übersehen haben, dass es zu DNA-Grenzwertüberschreitungen gekommen ist. Das finde ich schwierig vorstellbar, wenn es natürlich nicht unmöglich ist.

Ergänzende Hinweise vom Paul-Ehrlich-Institut

Das Paul-Ehrlich-Institut erklärt in einer Mitteilung, dass es Restwerte von in den Impfstoffen nicht durch eigene Laborxperimente prüft, da diese Werte nur zu bestimmten Zeitpunkten während der Herstellung des finalen Impfstoffproduktes erhoben werden können. "Die Testung der Plasmid-DNA-Restmengen erfolgt bewusst am Wirkstoff der COVID-19-mRNA-Impfstoffe (Drug Substance) und nicht am finalen Produkt (Drug Product). Nur so sind mögliche Testinterferenzen durch Lipid-Nanopartikel (LNPs), die erst im finalen Produkt vorliegen, auszuschließen." Allerdings seien die Herstellungsprozesse und die von den Herstellern abzugebenden Testwerte genau definiert. "Das OMCL prüft die Ergebnisse der vom Hersteller durchgeführten experimentellen Chargenuntersuchungen im Hinblick darauf, ob alle in der Zulassung festgelegten kritischen Parameter und deren Grenzwerte (Spezifikationen) eingehalten wurden. Die von den Herstellern verwendeten analytischen Methoden zur Bestimmung von DNA-Restmengen in COVID-19-mRNA-Wirkstoffen ist in den Zulassungsdossiers der zugelassenen mRNA-Impfstoffprodukte beschrieben."

MDR WISSEN: Wenn ein unabhängiges Labor tatsächlich – wie berichtet ؘ– eine Grenzwertüberschreitung von DNA in einer Impfstoffprobe festgestellt hat, gibt es Fehlerquellen, die zu diesem Ergebnis geführt haben könnten? Andere Medien geben zu bedenken, dass allein eine fehlerhafte Lagerung des mRNA-Impfstoffs ausreicht, dass hier ein Problem entstanden sein könnte.

Friedemann Weber: Das wissen wir hier leider nicht, weil hier keine saubere Wissenschaft betrieben wurde. Wenn die Herkunft der Probe des Impfstoffs tatsächlich nicht bekannt ist, wenn diese Probe vielleicht anonym an das Labor gesendet und die notwendige Kühlung nicht eingehalten wurde, dann braucht man sie eigentlich nicht mehr zu testen, weil die Ergebnisse sofort angezweifelt werden können.

Emanuel Wyler: DNA ist ja sehr stabil. Lässt man eine Flasche Impfstoff einen Monat bei Raumtemperatur stehen, dann ist die mRNA darin wahrscheinlich zu einem guten Teil kaputtgegangen, die DNA-Fragmente sind aber noch da. Aber, es gibt viele Möglichkeiten, wie eine Probe verunreinigt werden kann, wenn man da nicht aufpasst. Wir reden bei den Tests ja von DNA im Nanogrammbereich. Aber unsere Haut ist über und über besiedelt mit Bakterien. Allein am Finger trage ich schätzungsweise mehrere Mikrogramm DNA. Wir erinnern uns an die vermeintliche Serientäterin vor 15 Jahren, auf Grund identischer DNA-Spuren an vielen verschiedenen Tatorten. Wie sich dann herausstellte, war das aber die DNA einer Verpackungsmitarbeiterin des Herstellers der Wattestäbchen, mit denen die Tatort-Proben genommen wurden. 

Friedemann Weber: Wir wissen leider auch nicht, welche Tests genau vorgenommen wurden. Um so etwas zu testen, müsste das Labor eigentlich genau zertifiziert sein. Da wird alles geprüft, bis hin zur Temperatur im Kühlschrank, inklusive aller Kontrollen, die sicherstellen, dass man keine Fehler bei den Messergebnissen produziert hat.

MDR WISSEN: Das heißt doch aber im Umkehrschluss, sollte das Labor tatsächlich Probleme gefunden haben, dann könnten sie doch einfach eine Veröffentlichung machen und die Ergebnisse anderen Wissenschaftlern zur Überprüfung geben.

Emanuel Wyler: Ja und nein. Ein Problem ist, dass die Anforderungen an ein Labor sehr hoch sind. Diese Tests müssen absolut sauber durchgeführt werden, so dass keine falschen Ergebnisse produziert werden. Das machen die spezialisierten OMCLs, wie etwa das Paul-Ehrlich-Institut. Es wäre natürlich hilfreich, wenn OMCLs die Daten zur Prüfung der Impfstoffchargen veröffentlichen und so zeigen, hier ist das, was wir gemessen haben im Vergleich zu dem Privatlabor. Es kann aber auch sein, dass dem zurzeit Betriebsgeheimnisse im Wege stehen.

MDR WISSEN: Unabhängig von der Frage, ob tatsächlich Grenzwerte überschritten wurden, wie kann DNA überhaupt in den Impfstoff kommen und kann das ein Problem sein?

Professor Friedemann Weber von der Universität Gießen. Bildrechte: JLU /Rolf K. Wegst

Friedemann Weber: DNA wird bei der Herstellung der mRNA als Matrize verwendet, sozusagen als Vorlage. Der Grund ist: Man kann mRNA zwar mit viel Aufwand chemisch synthetisieren, aber das ist für die Massenproduktion eigentlich zu teuer. Stattdessen aber kann die mRNA auch von Enzymen hergestellt werden. Diese Enzyme brauchen dafür eine Vorlage und das ist die DNA. DNA ist einfach haltbarer, man kann Mutationen leicht einfügen (wenn man mal an verschiedene Virusvarianten denkt und die Anpassung der Impfstoffe daran, das muss ja leicht möglich sein). DNA ist einfach das Standardwerkzeug, wenn man so möchte. Die mRNA wird durch Ablesen der DNA erzeugt. Und wenn das erledigt ist, dann wird die DNA durch enzymatische Behandlung vernichtet und durch Ultrafiltration weitgehend abgereinigt.

MDR WISSEN: Ist dieser Prozess vergleichbar mit natürlichen Prozessen in Zellen, wo ja auch DNA der Ursprungsbauplan ist, aus dem dann mRNA hergestellt wird?

Friedemann Weber: Im Grunde ja. Im Falle der mRNA Vakzine ist das Enzym aber eine Bakteriophagenpolymerase, die sehr schnell sehr viel mRNA aus DNA herstellen kann.

Emanuel Wyler: Dabei ist aber wichtig zu betonen: Die Bakteriophagenpolymerase, genauer, die T7-Polymerase, ist kein Bakterium, sondern ein Enzym, also ein Eiweiß. Das kann man inzwischen kaufen, das machen auch Forschungslabore wie unseres. Es gibt kommerzielle Hersteller, die stellen solche Enzyme sauber und zuverlässig her. Hintergrund ist, man kann DNA im Labor einfacher vervielfältigen, als RNA. (Viren wie Corona können zwar auch RNA vervielfältigen, aber das ist im Labor schwierig nachzumachen). Deswegen wird die RNA im Impfstoff aus DNA umgeschrieben.

Allerdings wird die DNA, also die Vorlage für den Impfstoff, mikrobiell hergestellt. DNA kann man auf zwei Arten im Labor vermehren: Einerseits mit PCR, also der Polymerasekettenreaktion, die auch verwendet wird, um festzustellen, ob jemand Virus-RNA in sich trägt. Dafür nutzt man auch Enzyme, die kauft man und dann geben wir Nucleotide dazu [Anm, das sind unter anderem DNA Bausteine Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin]. Dann macht man 10, 20, 30 PCR-Zyklen, so erhält man eine große Menge DNA, reinigt die auf, und gibt sie dann der T7-Polymerase als Vorlage. Andererseits kann man die DNA in Form von Plasmiden von Bakterien vervielfältigen. Das ist ein Standardprozess im Labor, weil der so einfach ist. Man gibt einer kleinen Menge Bakterienkultur das Plasmid und erhält im Milligramm-Bereich DNA.

Gegen Ende 2020 hat Pfizer/Biontech für die Herstellung des mRNA-Impfstoffes von „Prozess 1“ und „Prozess 2“ umgestellt. Eine der Änderungen, die von Prozess 1 zu Prozess 2 gemacht wurden, ist die Umstellung der DNA-Produktion von der PCR auf Plasmide in Bakterien. Der Vorteil davon ist: es ist nicht nur günstiger, sondern es ist im Prinzip auch besser. Die Bakterien, die man im Labor verwendet, sind angepasste E.Coli-Stämme (E.Coli kommt natürlicherweise u.a. im Darm vor). Diese E.Coli wurden so verändert, dass sie nicht toxisch sind und DNA fehlerfrei vervielfältigen. Im Ergebnis ist die von den Bakterien hergestellte DNA nicht nur günstiger, sondern auch qualitativ besser. Deswegen war es nachvollziehbar, dass Biontech auf diesen Prozess umgestellt hat.

MDR WISSEN: Kann man am Ende des Prozesses die Bakterien und die hergestellte DNA sauber voneinander trennen?

Friedemann Weber: Ja, da sind keine Bakterien mehr drin. Denn damit man die DNA überhaupt verwenden kann, muss man die Bakterien lysieren, sie also zerstören.

Emanuel Wyler vom Max-Delbrück-Center. Bildrechte: Felix Petermann/MDC

Emanuel Wyler: Ja, auch das machen wir ständig bei uns im Labor. Dann muss man die DNA aufreinigen und das macht man mit im Handel erhältlichen Kits, in denen alle nötigen Reagenzien enthalten sind. Für die Impfstoffherstellung gibt es ein Prüfprotokoll, mit verschiedenen Schritten, an deren Ende jeweils eine Qualitätskontrolle steht. Zum Beispiel wird nach der Aufreinigung getestet, ob Endotoxine enthalten sind, also bakterielle Stoffe, auf die das Immunsystem reagieren würde. In den meisten Fällen handelt es sich um Lipopolysaccharide, kurz LPS. Die müssen entfernt werden. Das alles macht man mit molekularbiologischen Standardverfahren. Wenn also die DNA schließlich isoliert ist, ist eigentlich nichts mehr vom Bakterium vorhanden. Das kontrolliert man mit dem Endotoxin-Grenzwert. Aber natürlich ist es immer so, man kann in der Biologie nie ausschließen, dass es noch winzige Restspuren gibt, einzelne Moleküle. Aber dafür gibt es eben den Grenzwert. Und das gilt auch für den nächsten Schritt, in dem die Enzyme dann aus der DNA die mRNA herstellen. Auch da wird die DNA dann entfernt, aber auch hier können am Ende winzige Reste bleiben. Irgendein Molekül ist meist noch da. Deswegen legt man Grenzwerte fest, die bestimmen: 10 Nanogramm pro Dosis, das ist akzeptabel.

MDR WISSEN: Die DNA wird beim Aufreinigen gespalten, also in kleine Stücke geteilt, richtig?

Emanuel Wyler: Ja.

MDR WISSEN: Würde die DNA in einer Zelle andere Dinge bewirken, als die mRNA? Letztendlich enthält sie doch die gleiche genetische Information, nur in etwas anderer Form.

Friedemann Weber: Es wäre sehr unwahrscheinlich, dass damit das Spikeprotein hergestellt werden kann. Denn es sind ja nur noch kurze DNA-Bruchstücke, nicht mehr das intakte Gen. Und dann fehlen die Steuersequenzen, die dafür sorgen, dass die DNA in der Zelle abgelesen wird. Die vor der Spaltung enthaltenen Steuersignale können nur von der T7-Polymerase gelesen werden.

MDR WISSEN: Die DNA müsste außerdem auch aufgetrennt werden, damit sie abgelesen werden kann.

Friedemann Weber: Ja, aber dafür gibt es Helikasen. Wenn das so eine halb aufgedröselte, nicht zu sehr verknäulte DNA ist, dann kann das schon als Promoter-Sequenz wirken. In seltenen Fällen gibt es das, dass die Polymerasen der Zellen nicht sehr wählerisch sind. Aber es ist, wie gesagt, selten.

Emanuel Wyler: Gibt es viele DNA Partikel, ist ein Teil wahrscheinlich wie die RNA in den Lipidnanopartikeln verpackt und kann darüber in die Zelle kommen. Eine menschliche Zelle bemerkt fremde DNA dann aber in der Regel, denn sie hat mehrere Mechanismen, um sich davor schützen. Das braucht sie auch, um sich gegen DNA-Viren wie Herpes oder Polyomaviren zu wehren, oder gegen Bakterien. Dann geht eine Art Alarm los, denn DNA ist ein Signal für das angeborene Immunsystem. Die Zelle hat außerdem Enzyme wie Deoxyribonuclease II, die hereinkommende DNA einfach weg verdaut. Das ist ein Verteidigungsmechanismus, den müsste ein solches DNA-Fragment überwinden. (Randnotiz: Weil DNA das Immunsystem so stimuliert, wird sie auch als Wirkungsverstärker in Impfstoffen angewendet, beispielsweise im sogenannten Totimpfstoff von Valneva. (https://www.mdr.de/wissen/corona-totimpfstoff-von-valneva-ab-september-in-deutschland100.html).

Um in den Zellkern zu gelangen, müsste das DNA-Fragment dann noch einen Transportmechanismus finden. Die menschlichen Zellen haben das nicht, weil hier eigentlich nie DNA in den Kern gebracht werden muss. Das können in der Regel nur Viren, etwa das HI-Virus, das hierfür ausgeklügelte Werkzeuge besitzt. [Anm.: Ein Enzym namens Reverse Transkriptase].

Jetzt könnte es aber auch sein, wenn diese DNA-Fragmente sehr klein sind und vielleicht nur 100 Basenpaare haben, dann könnten sie einfach durch Diffusion in den Kern gelangen, quasi durch die Lücken zwischen den Molekülen treiben. Oder, nehmen wir die Plasmide, die Pfizer/Biontech verwendet, da ist eine Sequenz enthalten, die heißt SV-40-Enhancer. Die geht zurück auf das Simian-Virus 40. Das ist ein Polyomavirus, das Affen und Menschen befallen kann. Das Virus hat in seinem Genom die besagte Enhancer-Sequenz, die dem Virus hilft, sein Genom in den Zellkern zu bringen. Auf den Plasmiden für die Impfstoffproduktion wiederum ist dieser Enhancer enthalten. Es bräuchte ihn nicht unbedingt, aber er wird eben häufig verwendet.

MDR WISSEN: Aber müsste das DNA-Fragment dann nicht auch noch in das Genom integriert werden? Und selbst wenn das geschieht, wie könnte es dann Schaden anrichten, falls die enthaltene Erbinformation gar nicht abgelesen wird?

Friedemann Weber: Die größte Gefahr wäre wahrscheinlich, das DNA-Fragment wird an einer kritischen Stelle eingebaut und stört so ein wichtiges Gen, beispielsweise eine Tumorbremse, die dann nicht mehr funktioniert. Dadurch könnte die Zelle dann entarten. Diese Befürchtung wird ja in diesem Zusammenhang oft geäußert. Aber da muss man sagen: Das ist sehr unwahrscheinlich, dass das durch die Impfung passiert. Denn: Wenn wir etwa von Adenoviren angegriffen werden, dann kommen darüber erheblich größere Mengen an DNA in den Zellkern, die in sehr seltenen Fällen auch integriert. Und da gibt es keine mir bekannten Berichte, dass dadurch Tumore ausgelöst werden.

Diese kleinen DNA-Schnipsel des Impfstoffs werden also, wenn sie tatsächlich in die Zelle gelangen, im Zytoplasma höchstwahrscheinlich zerstört. Oder sie werden von Rezeptoren gebunden, die die Immunantwort auslösen. In beiden Fällen sind sie aus dem Rennen. Und selbst, wenn das nicht passiert, dann müssten sie noch irgendwie in den Zellkern gelangen und dann dort auch noch an einer extrem ungünstigen Stelle in das Erbgut integriert werden. Das wäre dann eine Verkettung von wirklich extremen Zufällen. In der Summe ist das selbst bei den Billionen Zellen, die wir haben, nicht wahrscheinlich.

MDR WISSEN: Außerdem wird der Impfstoff doch in Muskelgewebe gespritzt, wo sich Zellen ja sowieso kaum vervielfältigen.

Emanuel Wyler: Krebs entsteht, mit Ausnahme der von Viren wie dem Humanen Papillomvirus ausgelösten Tumoren, entweder dadurch, dass sich Schäden im Erbgut angehäuft haben (je nach Tumorart UV-Strahlung, Rauchen, falsche Ernährung, Umwelteinflüsse). Oder es gibt genetische Voranlagen, etwa bei Brustkrebs.

Was die Zellen angeht: Ja, der Impfstoff wird zwar in den Muskel gespritzt. Aber er ist so optimiert, dass er von dendritischen Zellen und Makrophagen aufgenommen wird. Beide gehören zum Immunsystem und haben quasi die Rolle, die Genfragmente von Schädlingen wie Viren aufzunehmen und sie in den Lymphknoten den B- und T-Zellen zu präsentieren. Biontech hat dafür die Nanolipide so optimiert, dass vor allem die dendritischen Zellen die mRNA aufnehmen. Sowohl dendritische Zellen als auch Makrophagen sind nur sehr, sehr selten die Ursache einer Krebserkrankung. 90 Prozent der Tumore entstehen dagegen in sogenanntem Epithel, also praktisch der inneren Oberfläche des Körpers, die die letzte Grenze zum Außen ist. Dazu gehört etwa die Oberfläche der Lunge oder des Darms. Diese Zellen haben eine besonders starke Regenerationsfähigkeit. Wenn die genetisch beschädigt ist, können Karzinome entstehen.

Daneben gibt es dann noch Lymphome, Leukämien, bei denen Zellen des Immunsystems und hier vor allem B-Zellen der Ausgangspunkt sind. Die kommen aber nur noch auf ein paar Prozent. Dass dendritische Zellen ein Lymphom entwickeln, ist extrem selten. Rein theoretisch ist es möglich, dass bei irgendjemandem ein DNA-Restfragment der Impfung im Kern einer dendritischen Zelle beispielsweise so eingebaut wurde, dass p53 zerstört wurde, ein wichtiger Tumor-Suppressor. Über die Jahre gibt es weitere Veränderungen im Erbgut dieser Zelle, und diese Person könnte in 20 Jahren einen Tumor bekommen aus dieser dendritischen Zelle. Das lässt sich in letzter Konsequenz nicht völlig ausschließen. Es wäre aber ein Einzelfall unter den vielen Milliarden Menschen, die geimpft wurden und so vor einer schweren Infektion geschützt wurden.

MDR WISSEN: Ist dieses Risiko abgewogen worden bei der Entscheidung, die Impfung zu entwickeln und anzubieten? Das lässt sich doch sicher kalkulieren, also das Risiko zu vergleichen, dass auf diese Weise ein Krebs entsteht, versus ein Mensch gerät durch eine Infektion mit Sars-CoV-2 in Lebensgefahr.

Emanuel Wyler: Ich weiß nicht, ob solche winzige Risiken in die aktuellen Empfehlung der Ständigen Impfkommission eingeflossen sind. Demnach sollen ja nur noch Ältere ab 60 Jahren und Menschen mit Vorerkrankungen weitere Auffrischimpfung machen. Obwohl diese durch das Virus gefährdet sind, liegt die Impfquote in Deutschland bei nur ungefähr 15 Prozent. Und das bedeutet, dass viele ältere Menschen oder Vorerkrankte schwer krank werden und sterben, weil sie sich nicht haben impfen lassen. Dazu tragen leider Berichte bei, die das Vertrauen in die Impfstoffe unterhöhlen.

Auch die häufigeren schweren Nebenwirkungen der Impfung sind ja sehr gut bekannt. Es gibt sehr seltene Wirkungen, wie etwa Reaktivierung von Herpes Zoster (Gürtelrose). Ganz vorn stehen eher die Myokarditis-Fälle, die vor allem bei jungen Männern vorkommen. Und deshalb ist es richtig zu sagen, dass junge Männer bei den mRNA-Impfstoffen abwägen, da sie auch durch Infektionen im Allgemeinen nicht schwer bedroht sind.

MDR WISSEN: Kommt es tatsächlich viele Jahre nach der Impfung zu einer Krebserkrankung durch den Impfstoff, könnte man das nachvollziehen, dass die Impfung die Ursache war?

Friedemann Weber: Ja, sehr wahrscheinlich schon. Tumore stammen ja in der Regel von einer einzigen Zelle ab, in der etwas schiefgegangen ist. Dann vermehren die sich, wie so ein Bakterium. Diese Zellen sind alle erbgleich. Wenn also in der allerersten Zelle etwas schiefgegangen ist, etwa, da wurde so ein DNA-Fragment eingesetzt, dann würde man das auch in der Nachkommenschaft mit einer hohen Wahrscheinlichkeit wiederfinden.

Emanuel Wyler: Es kommt dann aber im Einzelfall darauf an, denn einige der genetischen Codes auf dem Plasmid [also der Bauanleitung für die Impf-mRNA] sind nicht spezifisch für den Impfstoff. Zum Beispiel gibt es da ein kleines Fragment namens Thymidin-Kinase-Polyadenylierungssignal. Das stammt vom Herpes Simplex Virus. Würde man das finden, dann wüsste man nicht, stammt es vom Herpesvirus, mit dem ja die meisten Menschen infiziert sind, oder von der Impfung. Aber würde man ein Fragment finden, dass zur Bauanleitung für das Spikeprotein gehört, wo sich die genetische Sequenz zwischen Impfung und Sars-CoV-2 unterscheiden.

MDR WISSEN: Sind Ihnen solche Fälle bekannt?

Emanuel Wyler: Nein. Wir arbeiten eng mit der Charité zusammen. Die Forschungsteams sequenzieren regelmäßig das Erbgut von Tumoren, vor allem natürlich die großen Karzinome. Natürlich passiert das noch nicht bei allen Krebserkrankungen. Das wird sich aber in den kommenden zehn bis zwanzig Jahren ändern, weil die Technologie immer einfacher und billiger wird. Dann könnte man vielleicht entdecken, dass etwa 20 bis 30 Jahre nach der Impfung so eine dendritische Zelle durch den DNA-Rest in der Impfung beschädigt wurde und schließlich weitere Schäden dazu gekommen sind, sodass sich ein Tumor gebildet hat. Aber nochmals, das sind hypothetische Spekulationen, während die Gefahr durch SARS-CoV-2, vor der die Impfung zumindest teilweise schützt, sehr real und gerade jetzt allgegenwärtig ist.

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | 19. Dezember 2023 | 09:17 Uhr

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