Citizen ScienceWie geht es den kleinen Flüssen in Deutschland?
Nur acht Prozent der deutschen Flüsse sind in einem guten ökologischen Zustand. Über 90 Prozent haben also eine schlechte Wasser- und Lebensraumqualität. Diese Zahl bezieht sich auf die großen Flüsse wie Elbe, Mulde, Pleiße oder die Werra. Wie es den kleinen Flüssen und Bächen geht, weiß man nicht genau, denn es gibt viel zu viele und die meisten wurden noch nicht untersucht. Deshalb wurde das Projekt FLOW gestartet, mit dem die Wasserqualität kleiner Flüsse bestimmt werden soll.
Julia von Gönner hat den Lösegraben als Treffpunkt vorgeschlagen. Ein kleiner Bach am Rand von Taucha, bei Leipzig. Er führt unter einer Landstraße hindurch und verläuft dann an einem Feld entlang. Der Lösegraben sei ein gutes Beispiel für einen Bach im Tiefland. "Wir sind ja hier direkt an einem Acker und man sieht auf den ersten Blick, dass die Gewässerstruktur sehr stark verändert ist", erklärt sie. Der Bach wurde begradigt, um die Ackerfläche zu vergrößern und zu entwässern, vermutet die Doktorandin. Sie koordiniert das Projekt FLOW am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig.
Zwei Testkits hat die Forscherin dabei, um die Wasserqualität in Bezug auf Nährstoffe und Sauerstoff zu untersuchen. Auch mit im Gepäck: ein Kescher. Damit will sie ein paar Materialien wie zum Beispiel Eintagsfliegenlarven oder Libellenlarven aus dem Gewässergrund fischen. "Makrozoobenthos" werden diese wirbellosen Lebewesen genannt, die die Gewässersohle besiedeln.
Begleitet wird die Forscherin von Julia Prawitz, die gerade ein freiwilliges ökologisches Jahr macht und die meisten der Messungen begleitet. "Es gibt so eine Methode, die wir anwenden beim FLOW: Für eine Probe kickt man zehnmal mit dem Fuß in den Boden", sagt Prawitz und stochert mit ihrem Gummistiefel im Bach.
Einfach, aber effektiv
Durch diese einfache Methode wird der Boden in dem etwa einen Meter breiten Flüsschen aufgewühlt. Danach wird der Kescher mehrmals durchs Wasser gezogen und der Inhalt in eine weiße Plastikschale mit Wasser gekippt. "Bewegt sich auf jeden Fall schon was im Kescher. Das sind zwei Rückenschwimmer, ... eigentlich Arten, die typisch für stehende Gewässer sind", sagt Julia von Gönner. Dann klingelt der Timer des Handys. Während Julia Prawitz im Wasser stand, hat Gönner schon einmal die Wasserproben vorbereitet und bestimmt den Nitratwert des Baches. Mit Blick auf die Chemie-Auswertungstabelle kommt sie zu dem Schluss: Der Nitratwert ist im kritischen Bereich.
Gut Ding will Weile haben
Drei bis vier Stunden Zeit muss man sich nehmen für eine Gewässerbewertung. Es sei sehr viel zu tun. Deshalb sollen die Teilnehmer nicht alleine, sondern in Gruppen messen. Vorher werden sie geschult und bekommen Unterlagen für die ökologische Bewertung der Bäche. Lilian Neuer vom Bund für Umwelt und Naturschutz koordiniert das alles von Berlin aus.
"Durch das FLOW Projekt sollen sich Leute austauschen und gemeinsam für einen Bach in der Nähe einsetzen. Und dann vielleicht auch Ideen entwickeln können, wie man den Zustand verbessern und welche Maßnahmen man umsetzen könnte", erklärt Lilian Neuer.
Die Freiwilligen sollen also nicht nur messen. Sie sollen auch eigene Ideen einbringen. Beim Testlauf des Projekts in Mitteldeutschland fanden sich 30 Gruppen zusammen. Julia Prawitz war bei vielen Messungen dabei. Sie erzählt: "Das waren ganz viele BUND Gruppen, also erwachsene Menschen, die sich sowieso schon für den Naturschutz engagieren." Auch Schulklassen, meist Biologie-Leistungskurse vom Gymnasium, haben teilgenommen, aber auch ganz andere Gruppen, die sich zufällig zusammengefunden haben. Und viele Anglervereine haben mitgemacht.
Den Kleinen geht's wie den Großen
Die ersten Messungen in Mitteldeutschland ergaben: Auch die kleinen Bäche sind in einem ähnlich schlechten Zustand wie die großen Flüsse. Der kleine Lösegraben ist also tatsächlich ein gutes Beispiel.
Auch er hat mit einer hohen Nitratbelastung zu kämpfen, zeigen die Messungen. Aber sein Zustand sei trotzdem besser als Julia von Gönner im ersten Moment dachte. "Auffällig ist, dass wir Arten haben, die stehende Gewässer bevorzugen, wie diese Rückenschwimmer, aber wir haben auch Eintagsfliegen-Larven. Auf jeden Fall lebt das Gewässer, das ist schon mal ein guter erster Eindruck. Vom Äußeren hätte ich jetzt - ehrlich gesagt - weniger erwartet", sagt Julia von Gönner überrascht.
Nun hoffen die Forscherinnen, dass sich deutschlandweit Freiwillige finden, die die Wasserqualität in den unzähligen kleinen Bächen bewerten und erfassen. Das Forschungsprojekt läuft drei Jahre, danach wird es vielleicht ein Selbstläufer. Immerhin sollen die "Kleinen" 70 Prozent der deutschen Fließgewässer ausmachen. Wie viele genau durch die deutsche Landschaft fließen, wissen die Forscherinnen allerdings nicht. Das könnte nun ein Nebeneffekt des Monitorings sein: eine Liste der kleinen Bäche Deutschlands. Wer mitmachen möchte, kann sich hier anmelden.
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