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Energiegewinnung aus der Kraft der SonneHeute beginnt die Zukunft: Baustart für Fusionsreaktor ITER

28. Juli 2020, 21:05 Uhr

Kein CO2, kein radioaktiver Müll und trotzdem kommt am Ende richtig viel Energie raus: Der Traum von der Kernfusion ist verständlich. Seit heute ist die Menschheit so nahe dran, wie nie zuvor. In Südfrankreich wird jetzt der globale ITER-Reaktor zusammengebaut. Den Klimawandel wird Fusionsenergie aber nicht verhindern können.

Kernfusion: Kann die Sonne schon längst. Bildrechte: imago images/Panthermedia

Wenn es um die Strom- und Wärmeerzeugung der Zukunft geht, stehen die Zeichen klar auf erneuerbaren Energien. Daran gibt's nichts zu rütteln. Nur, mit einem kleinen Kraftwerk zwei Millionen Haushalte mit Strom zu versorgen und weder radioaktiven noch atmosphärischen Müll zu verursachen, klingt schon sehr verlockend. Wenn der Fusionsreaktor ITER erstmal fertig ist, wird er zwar nur 200.000 Haushalte beliefern können – aber es ist ja auch nur ein erster großer Schritt (kleine hat es bereits gegeben).

Und zwar der erste große Schritt, die Sonne auf der Erde nachzubauen. Klingt ambitioniert, ist aber im Grunde ganz schlüssig: Die Sonne hilft schon jetzt, Strom und Wärme zu erzeugen, was zeigt, dass im Zentrum unseres Planetensystems so einiges an Energie freigesetzt wird. Eine zentrale Rolle spielt dabei das Plasma. Plasma? Andre Melzer von der Universität in Greifwald: "Ein Plasma ist, vereinfacht gesagt, ein heißes, ionisiertes Gas. Das heißt, man hat dort die Atome vorliegen, getrennt in Elektronen und Ionen. Aus den Atomen sind dann ein oder mehrere Elektronen herausgeschlagen, so dass man ein Gemisch aus positiven Ionen und negativen Elektronen hat."

Das ITER-Projekt zeigt, wie verschiedene Nationen bei innovativer Zukunftstechnik an einer Strippe ziehen können. Bildrechte: ITER

Die Sonne befindet sich, von ihren Zentrum bis zur äußeren Schicht, in diesem Plasmazustand – ist ja auch ganz schön heiß dort. Bei einer Sonnenfinsternis kann man das Plasma sogar sehen, in Form der Sonnenkorona, dem äußeren Kranz. Und genau dieses Plasma wollen die Forscher im ITER-Kraftwerk erzeugen. Dafür müssen sie extreme Hitze entstehen lassen. 15 Millionen Grad heiß ist die die Sonne im Kern, sagt die Physikerin Ursel Frantz vom Max Planck-Institut in Garching bei München. Um Energie zu erzeugen, brauche man aber fast zehnmal höhere Temperaturen. Also bis zu 150 Millionen Grad. Auf der Erde?

Wenns aus ist, ist es aus

Ursel Frantz: "Da gibt es verschiedene Heizmethoden und eine dieser Heizmethoden ist die so genannte Neutralteilchenheizung." Diese Neutralteilchenheizung sei das Streichholz, mit dem das Fusionsfeuer entfacht wird. Und das geht so: Strahlen schneller Wasserstoffatome werden mit mehreren Megawatt Leistung in das Fusionsplasma eingeschossen.

Brennt es erst einmal, geht es nicht wieder aus. Es muss also nur einmal entfacht werden, es sei denn, das Kraftwerk soll heruntergefahren werden. Und da läge ein entscheidender Unterschied zum Atomkraftwerk. Zwar sind "beides Kraftwerke, die auf Kernreaktion basieren. Deswegen wird ja auch pro Prozess sehr viel Energie erzeugt." Aber:

Das Plasma geht einfach aus und brennt nicht weiter wie in einem Kernkraftwerk, das die Energie immer weiter produziert und der man nicht Herr wird.

Ursel Frantz | Max Planck-Institut für Plasmaphysik, Garching

Dafür ist ein Atomreaktor eben auch nicht ganz so knifflig zu realisieren und war schon hundert Jahre vorher da. Die Kosten beim Bau der Reaktoren werden künftig ähnlich hoch sein, bei der Fusionsenergie aber ohne Folgekosten. Die Art der Energiegewinnung ist nicht nur frei von Nachteilen wie Radioaktivität und Atommüll, sondern funktioniert im Grunde genau entgegengesetzt: Bei der Kernspaltung wird Energie durch die Spaltung eines Atomkerns freigesetzt. Bei der Kernfusion sollen zwei Atomkerne zusammengeführt werden. Das klappt auf der Erde am besten mit den Wasserstoffsorten Deuterium und Tritium. Erstere ist reichlich in Meerwasser vorhanden, zweitere kann das Kraftwerk aus Lithium bilden, an dem es ebenfalls keinen Mangel gibt. Wenn sie verschmelzen entsteht ein Helium-Kern, außerdem wird ein Neutron frei sowie große Mengen nutzbarer Energie.

Unterschiede gibt's auch von außen: Ursel Frantz vergleicht es mit einem Donut, gefüllt mit mindestens 100 Millionen Grad heißem Plasma, denn das ist die nötige Zündtemperatur. "Da müssen immer die 100 Millionen Grad sein und die werden da auch sein, sonst ist es nicht effektiv genug." Da wir keinen Baustoff kennen, der diesem gigantischen Backofen standhalten würde, steuern Magnetfelder die elektrisch geladenen Teilchen und halten sie fern von festen Materialien.

Bis es soweit ist, muss ITER aber erstmal zusammengebaut werden. An dem Pilotkraftwerk sind die Europäische Union, Frankreich, China, Indien, Japan, Südkorea, Russland und die Vereinigten Staaten beteiligt. Der Reaktor hat als größtes Wissenschaftsprojekt der Welt also nicht nur wissenschaftlichen Wert, sondern auch symbolischen Charakter, ja vielleicht sogar etwas Versöhnliches. Viele Nationen sitzen an einem Tisch und basteln etwas für die Zukunft: "Die Maschine Stück für Stück zu konstruieren, ist wie ein dreidimensionales Puzzle auf einer komplizierten Zeitachse zusammenzusetzen", sagt Bernard Bigot, Generaldirektor von ITER. Viereinhalb Jahre, so lange wird es dauern, bis alles zusammengeschraubt ist.

Eine Ananas statt 10.000 Tonnen Kohle

Im Dezember 2025 soll mit First Plasma (erstes Plasma) dann die Funktionalität demonstriert werden. Es könnte der Startpunkt einer neuen Ära der Energiegewinnung sein. Ein Gramm Brennstoff könnte später die Verbrennungswärme von 90.000 Kilowattstunden Energie erzeugen. Oder anders formuliert: elf Tonnen Kohle. Eine Ananas-große Menge des Materials entspräche schon zehntausend Tonnen Kohle. Kaum verwunderlich, dass angesichts der aktuellen Klimasituation die Fusionsenergie gern als erlösende Innovation gesehen wird. Eine Haltung, die mit Vorsicht zu genießen ist: Bis es soweit ist, ist es schon zu spät. So kann die Fusionsenergie helfen, die gleichen Fehler nicht noch mal zu machen, aber nicht von heute auf morgen die Welt retten.

Und auch für die mittelfristige Energieversorgung wird Kernfusion mit erneuerbaren Quellen Hand in Hand arbeiten. Um aber künftig saubere, elektrische Energieversorgung im großen Stil anbieten zu können – Stichwort: Industrie –, wäre Fusionsenergie ein Beitrag zum, so Bernard Bigot, ein "Wunder für unseren Planeten". Bis dahin muss aber erstmal das Wunder der Technik funktionieren.

af/flo

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