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Ailanthus altissima, der Götterbaum aus Nordchina. In Mitteleuropa breitet er sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts aus und verdrängt andere Arten. Er steht auf der Schwarzen Liste der EU und darf nicht gepflanzt oder verkauft werden. Bildrechte: imago/blickwinkel

NeophytenInvasive Arten: Manche füllen einfach Lücken in Flora und Fauna

06. März 2021, 15:00 Uhr

Wir beklagen die Zunahme von invasiven Pflanzen, also solchen, die neu bei uns sind. Dabei vergessen wir, dass wir unsere heimischen Arten sträflich vernachlässigen. Wir nehmen ihnen den Platz zum Wachsen, die Nährstoffe und die Luft zum Atmen. Hat das eine mit dem anderen zu tun? Ein Biologe würde jetzt vermutlich sagen: Was für eine Frage! Logisch gibt es da Zusammenhänge. Sind wir also selbst schuld daran, dass einige eingewanderte Pflanzen sich bei uns breit machen?

von Annegret Faber

Eingewanderte Pflanzenarten nennen sich Archäophyten oder Neophyten. Was ist der Unterschied? Die einen waren schon bei uns, bevor Christoph Columbus 1492 Amerika betrat und die anderen, also die Neophyten, die neuen, die kamen erst danach zu uns. Biologe Dietmar Brandes sagt, der Unterschied ist, dass vor 1492 alles noch sehr ruhig war. Danach ging es rasant schnell und viele neue Pflanzen kamen zu uns. Er spricht von einem gewaltigen Florenaustausch.

Die englischen Kriegsschiffe hatten bis vor wenigen Jahrzehnten noch die Pflicht, von jeder Auslandsreise Pflanzen mitzubringen und das ist auch der Grund, warum wir den größten Botanischen Garten in Kew, bei London haben, Kew Gardens.

Prof. Dr. Dietmar Brandes, TU Braunschweig

Forscher Dr. David Eichenberg vom Bundesamt für Naturschutz nennt ein Beispiel für so eine mitgebrachte Pflanzenart:

Der sibirische Blaustern, der hat in den letzten 60 Jahren eine Ausbreitungstendenz von 380 Prozent gezeigt, also das ist ordentlich.

Dr. David Eichenberg, Bundesamt für Naturschutz

Den sibirischen Blaustern kennen mittlerweile fast alle, auch wenn nicht alle auf Anhieb jetzt mit dem Namen etwas anfangen können. In jedem Baumarkt, in Blumenläden kann man ihn kaufen. Eine kleine Blume, erinnert ein bisschen an den Märzenbecher, mit einer fast königsblauen Blüte. Der sibirische Blaustern ist eine von vielen Arten, die nicht von hier sind, aber letztlich auch wieder nicht.

Von 50.000 Pflanzenarten bleiben ein paar hundert

Schätzungen zufolge kamen in den vergangenen Jahrhunderten 50.000 Pflanzenarten zu uns, von denen aber nur ein paar Hundert geblieben sind. Die anderen keimen hier mal kurz und dann merken sie, das ist hier nicht so mein Ding, das Klima ist zu rau, die Wiesen zu trocken und dann hat sich das erledigt. Nur ein paar Hundert haben sich hier etabliert und da seien nicht die bösen Pflanzen dran schuld, sondern, so Forscher Eichenberg, das könnten Landwirtschaft sein, Flächenversiegelung oder Klimawandel.

Neo was?

In diesem Artikel sprechen wir von Pflanzen, den Archäophyten und Neophyten. Letztere sind die "Neu-Pflanzen". Bei den Tieren ist der Begriff Neozoen. Und für alle zusammen gibt es den Oberbegriff Neobiota. Stichtag für diese Einteilung ist das Jahr 1492 (Entdeckung Amerikas und der sich damit extrem verstärkende transkontinentale Handel). Gebietsfremde Arten aus der Zeit davor sind Archäobiota, Archäophyten ("Alt-Pflanzen") oder Archäozoen ("Alt-Tiere").
(Quelle: Bundesamt für Naturschutz)

Das Drüsige Springkraut ist eine invasive Pflanze, die aus dem Himalaya stammt. Vor allem an Gewässern kann sie sehr dominant wachsen. Bildrechte: IMAGO / Michael Kristen

Der Witz an der Geschichte: Intakte Ökosysteme würden es gar nicht zulassen, dass eine neue Art sich rasant ausbreitet. Das ist wie mit einer intakten Familie. Da wird auch geschaut, wie die neue Freundin, der neue Freund drauf ist und wenn das nicht passt, wird sie oder er eben nicht wieder eingeladen. Gesunde Pflanzengemeinschaften funktionieren ähnlich. Dr. David Eichenberg nennt noch ein Beispiel einer eingewanderten Art: Das Drüsige Springkraut. Das sind diese Pflanzen, die Kinder lieben. Sie bilden kleine Schoten mit Samen aus und wenn man die zwischen Daumen und Zeigefinger leicht drückt, platzen sie auf. Am Leipziger Elsterflutbecken, also an einem vom Menschen aufgeschütteten Damm, kennt er eine Stelle, wo das Drüsige Springkraut im Sommer massenhaft wächst.

Der Standort nahe einer Brücke scheint ein Gunststandort für diese Art zu sein, vermutet der Biologe, möglicherweise, weil die Stelle windgeschützt ist. Eichenberg weiß aus seiner Beobachtung:

Der hat sich da etabliert. Aber der bedroht bei weitem nicht die einheimische Flora oder macht die platt. Das betrifft viele Neophyten bei uns. Nur die wenigsten, die kommen, sind ein Problem für das Ökosystem.

Dr. David Eichenberg

Viele Neophyten füllen Lücken in der Natur

Viele der Neophyten hätten in den letzten 60 Jahren in unserem Ökosystem Lücken gefüllt. Die Ursachen für die Lücken bei heimischen Arten seien bekannt, sagt auch Professor Dr. Florian Jansen, Landschaftsökologe an der Uni Rostock. Monokulturen und Pflanzenvernichtungsmittel aus der Landwirtschaft. Städte und kleine Orte, die immer mehr in die Natur hinein wachsen, Industrieparks, die auf dem Land gebaut werden. Er empfiehlt diese Diskussion über angeblich schädliche Pflanzenarten gesamtgesellschaftlich zu betrachten.

Da ist viel Fremdenfeindlichkeit im Spiel. Die Untersuchungen, die sich angucken, ist eine spezielle Pflanze, die an einem bestimmten Ort neu auftritt, schädlicher für die umgebenden Pflanzen als eine natürliche Art? Oder ist die schon lange dort vorkommende Art spärlich, zeigt sich nur sehr selten?

Prof. Dr. Florian Jansen, Uni Rostock

Der Rostocker Wissenschaftler räumt aber auch ein, dass es einzelne Neophyten gibt, die so konkurrenzstark sind, dass sie auf kleiner Fläche Arten verdrängen können.

Braucht die Wissenschaft einen Perspektivwechsel?

Trotzdem sollte man auch in der Wissenschaft mehr über falsche Denkmuster und Fremdenfeindlichkeit nachdenken, regt Professor Jansen an.

Das muss einem klar sein, wenn man solche Analysen liest. Wir kümmern uns alle mit vorgegebenen Bildern um so etwas wie Pflanzen. Da kann unser Blick oder unsere Interpretation getrübt sein von Ergebnissen.

Prof. Dr. Florian Jansen, Uni Rostock

Da könne Selbstkritik nicht schaden, rät der Wissenschaftler.

Ähnliches kennt auch Botaniker Dietmar Brandes aus Gesprächen mit Kollegen, nach dem Motto: "Vieles, was von draußen rein kommt, ist böse" und er sagt: "Das ist wirklich eine schwere Krankheit, gegen die man was tun muss." Und zweitens sollte man nicht vergessen, dass unser Speiseplan ohne eingewanderte Arten sehr dünn aussähe. Im Winter Möhren, Rüben, Kraut und dann?

Kartoffeln, Reis, der Weizen: Alles nicht von hier. Der Apfel ist aus dem Kaukasus, der Birnbaum ist aus dem Kaukasus, die Aprikose aus Asien, der Pfirsich ist nicht von hier, die Sauerkirsche ist nicht von hier, von Feigen ganz zu schweigen, Topinambur ist nicht von hier, Soja sowieso nicht. Wir stünden blöde da, wenn wir uns nur von dem ernähren könnten, was hier, in den germanischen Hinterwäldern, entstanden wäre.

Prof. Dr. Dietmar Brandes, TU Braunschweig

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