ArchäologieUr-Städte in Osteuropa: an Zentralisierung gescheitert
Zur Zeit der Babylonier gab es auch in Osteuropa erste, riesige Siedlungen mit bis zu 15.000 Einwohnern. Archäologen haben nun eine Theorie, warum diese Städte der Cucuteni-Tripolje-Kultur zusammenbrachen.
Ob es um Politik geht oder um die Produktion, um Nachbarschaftsstreits oder gemeinsame Feste: Überall, wo viele Menschen zusammen leben, müssen sehr viele Entscheidungen getroffen und Konflikte gelöst werden.
Fühlen sich dafür wenige Mächtige allein zuständig, kann das zu gewaltigen Problemen führen. Sind Entscheider schlecht informiert oder überlastet, treffen sie Entscheidungen falsch oder zu spät. Oder sie entscheiden im Sinne weniger Menschen, woraufhin die vielen anderen Menschen sehr unzufrieden sind.
Problematische Machtmonopole sind sicher einer der Gründe für das Ende der sozialistischen Staaten in Osteuropa. Wie eine aktuelle archäologische Studie jetzt zeigt, gibt es dafür aber schon viel ältere Beispiele.
Jungsteinzeitliche Großstädte in Osteuropa
Vor über 6000 Jahren, in der Jungsteinzeit, blühte in der Region zwischen der westlichen Schwarzmeerküste und der heutigen Zentralukraine die Cucuteni-Tripolje-Kultur. Hier lebten die ersten Landwirte Europas in vergleichsweise riesigen Siedlungen mit bis zu 15.000 Einwohnern. Zur gleichen Zeit, zwischen 4000 und 3500 vor Christus, waren die mesopotamischen Stadtstaaten wie zum Beispiel Babylon auf dem Höhepunkt ihrer Macht.
Die ringförmig aufgebauten Siedlungen der osteuropäischen Tripolje-Kultur hatten teilweise bis zu 2700 einstöckige Gebäude. Sie existierten etwa 500 Jahre (zwischen 4100 und 3600 vor Christus), also nur relativ kurz. Hinterlassen haben ihre Bewohner vor allem sogenannte Bandkeramik, also aus Ton gebrannte Keramikgefäße, die auf einer drehenden Scheibe hergestellt und kunstvoll mit Bändern verziert waren. Ein Team von deutschen und ukrainischen Forschern hat jetzt eine Theorie entwickelt, was zum Untergang der Siedlungen geführt haben könnte.
Öffentliche Versammlungsstätten waren zentral für die Siedlung
Die Wissenschaftler um den Archäologen Robert Hofmann von der Universität Kiel haben sich vor allem mit der Ausgrabungsstätte Maidanets'ke rund 180 Kilometer südlich von Kiew beschäftigt. Mit Hilfe magnetischer Anomalien konnten sie die Struktur der 200 Hektar großen Siedlung rekonstruieren. Dort fanden sie neben den einstöckigen Wohnhäusern auch deutlich größere Gebäude, die offenbar als öffentliche Versammlungsstätten dienten. Bei diesen Versammlungsstätten gab es im Lauf der Zeit offenbar große Veränderungen, berichten sie im Journal Plos One.
"Während zu Beginn der Entwicklung der Großsiedlungen mindestens drei unterschiedliche Größenklassen dieser Versammlungshäuser bestehen, gibt es nach circa 300 Jahren nur noch die größten von ihnen", sagt Robert Hofmann. "Offensichtlich wurden die unteren und mittleren Entscheidungsebenen aufgrund innergesellschaftlicher Spannungen ausgeschaltet."
Zentralisierung war der Untergang
Den Forschern zufolge gab es zu Beginn an viele unterschiedlich große Versammlungshäuser. Neben einigen zentralen waren offenbar auch solche dabei, die nur von den Bewohnern bestimmter Viertel genutzt wurden. Später jedoch existieren nur noch große, zentrale Häuser.
"Die drastische Zentralisierung und der Wegfall demokratischer Entscheidungsstrukturen auf unterer und mittlerer Ebene waren der Hauptgrund für den Kollaps der Tripolye-Großsiedlungen", lautet die Schlussfolgerung von Hofmann und seinen Kollegen. "Andere Gründe wie die Knappheit an Holz oder die Erschöpfung der Böden können wir ausschließen. Bis zu 10.000 Menschen konnten nicht durch nur eine zentrale Institution gemanagt werden", sagt der Wissenschaftler. Das habe wahrscheinlich zum Niedergang der Großsiedlung geführt.
Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | 26. Mai 2019 | 09:27 Uhr
Kommentare
{{text}}