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Toskana: Zur Hochzeit der Kindermorde könnten etwa ein Drittel der Neugeborenen getötet worden sein. Bildrechte: imago/Westend61

Wissen-NewsMord an Babys war in Europa an der Tagesordnung

17. April 2024, 16:46 Uhr

Aktuelle Geschichtsforschung zeigt, dass im Europa der frühen Neuzeit das Töten von Säuglingen geläufig gewesen zu sein scheint. Die Morde passierten vor allem in Familien, bisher waren eher Frauen als Mörderinnen im Forschungs-Fokus.

Verboten, aber straffrei: Routinemäßiges Ermorden von Neugeborenen war im Europa der frühen Neuzeit offenbar "normal". Das geht aus einem neuen Buch des Verhaltenshistorikers Gregory Hanlon hervor. Darin beschreiben er und weitere Autoren eine selektive Kindstötung in England, Frankreich und Italien im Zeitraum 1500 bis 1800.

Anlass der Forschung sei die Tatsache, dass sich bisherige Untersuchungen vor allem auf Daten zu Strafprozessen gegenüber unverheirateten Frauen stützten oder Ehefrauen, die Kinder anderer Männer austrugen. Die neuen Erkenntnisse zeigten jedoch, dass ein großer Teil der Säuglingstötungen in Familien passierte und nicht registriert wurde. Die Forschenden beziehen sich hier nicht mehr auf Strafprozesse, sondern ziehen ihre Erkenntnisse aus dem Geschlechterverhältnis von Neugeborenen, die innerhalb kurzer Zeit nach ihrer Geburt zur Taufe gebracht wurden.

Mord wurde nicht als Mord betrachtet

Die Forschung legt nahe, dass in der ländlichen Toskana zum Höhepunkt der Kindermorde etwa ein Drittel der Neugeborenen getötet worden sein könnten. So seien im 17. Jahrhundert etwa Eltern bereit gewesen, ein Kind zu opfern, wenn es sich um eine Zwillingsgeburt handelte. Im norditalienischen Parma sei darüber hinaus zu beobachten gewesen, dass Eltern aus Arbeiterfamilien Mädchen gegenüber Jungen bevorzugten. Auch in Frankreich seien Muster für die Bevorzugung von Mädchen nach 1650 gefunden worden. Das könnte mit Wunsch der Eltern zusammenhängen, die Mädchen in höhere soziale Schichten einheiraten zu lassen, um langfristig eine bessere soziale Stellung zu gewährleisten.

Nach Hungersnöten und Krankheiten hingegen sei etwa ein sprunghafter Anstieg aufgezeichneter männlicher Taufen zu beobachten. Auch in der ländlichen, französischen Oberschicht wurden Beweise gefunden, die auf eine Präferenz von Jungen hindeuteten. Generell blieben viele Tötungen straffrei, weil die Säuglinge nicht registriert waren. Die Autoren weisen darauf hin, dass die Tötung der Babys gesellschaftlich nicht unbedingt als Mord gesehen wurde, sondern die Familien damit als "unangenehme Tatsache des Lebens" leben konnten.

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