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GesundheitLong Covid: Wie Corona das Immunsystem gegen den eigenen Körper richtet

24. Januar 2024, 09:21 Uhr

Forschende verstehen immer besser, welche Eigenschaften von Sars-CoV-2 Long Covid auslösen können. Demnach könnten auch viele mild verlaufende Infektionen mit Omikron langfristig unschöne Konsequenzen nach sich ziehen.

Bislang sind noch viele Theorien über die Ursachen und Folgen des Long Covid-Syndroms nicht abschließend bewiesen. Doch wenn die Hypothesen einiger Forschender zutreffen, dann könnten die seit 2022 weitverbreiteten Infektionen mit Omikron-Varianten des Coronavirus Sars-CoV-2 langfristig unschöne Folgen für die Gesundheit der Betroffenen haben. Das Virus provoziert die Bildung von Antikörpern, die sich gegen Eiweiße des eigenen Körpers richten – sogenannte Autoantikörper. Und es schädigt die T-Zellen, die von zentraler Bedeutung für das Immunsystem sind und die im späteren Leben nicht mehr neu gebildet werden können.

Schäden an Organen und Blutgefäßen sind die Folge, aber auch eine Schwächung der Abwehrkräfte. Anders ausgedrückt: Eine Coronainfektion kann die Alterung beschleunigen und die Lebenserwartung senken. Davon geht zumindest Rolf Marschalek aus, Direktor des Instituts für Pharmazeutische Biologie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

Coronas Enzyme verstümmeln zahlreiche menschliche Eiweiße

Einer der Hauptgründe für diese Folgen sind zwei Enzyme, die Coronaviren in die befallenen Zellen mitbringen, die Papain-like-Protease PLPro und die sogenannte Hauptprotease 3CLPro. Beide Enzyme braucht das Virus, um sich in Wirtszellen vermehren zu können. Die beiden Proteasen wirken wie Scheren, die bestimmte Bauteile von Sars-CoV-2 so zerlegen, dass sie anschließend zum Virus zusammengesetzt werden können.

Was sind Enzyme, beziehungsweise Proteasen?Enzyme sind in der Regel komplexe Eiweiße, die als Katalysator für biochemische Reaktionen im Körper wirken. Proteasen sind Enzyme, die sehr spezifisch bestimmte Eiweiße an Zielsequenzen zerschneiden können.

Dafür suchen die beiden Enzyme nach bestimmten Abfolgen von Aminosäuren, also praktisch nach diesen Zielsequenzen. Auf der langen Eiweißkette des SARS-CoV-2 Virus gibt es viele dieser Zielsequenzen an den Stellen, an denen das Virus die Schnitte benötigt. Die gleichen Aminosäurefolgen kommen allerdings auch recht häufig in den Proteinen des menschlichen Körper vor. Die Virusproteasen zerschneiden also nicht nur die Eiweiße des Corona Virus, sondern verstümmeln dadurch auch viele menschliche Eiweiße innerhalb unserer Zellen.

Sars-CoV-2 kann die Bildung zahlreicher Autoantikörper provozieren

Zellen wiederum besitzen eine Art Schaufenster für das Immunsystem, sogenannte MHC-Klasse-1-Komplexe. In diesen Schaufenstern zeigen sie einen Teil der Stoffe aus ihrem Inneren. Enthält eine Zelle beispielsweise Proteine von Viren, können die zum Immunsystem gehörenden T-Killer-Zellen das erkennen und die Zelle ausschalten.

Professor Rolf Marschalek Bildrechte: Goethe-Universität Frankfurt

Allerdings werden auch die von den Virusenzymen verstümmelten Eiweiße mitunter nicht mehr als eigene Proteine erkannt. Sondern die Körperabwehr hält sie für sogenannte Neo-Antigene und reagiert mit der Bildung von Autoantikörpern, die sich dann gegen den eigenen Körper richten. Mitunter werden auf diese Weise deutlich mehr Autoantikörper hergestellt als solche, die sich gegen das Virus richten. Einige Autoren gehen sogar davon aus, dass neun von zehn während einer akuten Infektion gebildeten Antikörper Autoantikörper sind.

Bildlich gesprochen produziert Corona also eine Art Trümmerwolke aus Eiweißfragmenten, also eine Art immunologischen Nebel, mit dessen Hilfe sich der Virus vor dem angreifenden Immunsystem schützen kann.

Die Enzyme von Corona sind vergleichsweise gefährlich

Rolf Marschalek hat Protein-Datenbanken durchsucht, um zu prüfen, wie häufig die bekannte Zielsequenz der beiden Virusproteasen bei menschlichen Proteinen vorkommt. Das Ergebnis hat ihn schockiert: Mehr als 6.500 menschliche Eiweiße enthalten die für die Virusenzyme relevanten Sequenzen, von Rezeptoren auf der Zelloberfläche, über Eiweiße, die die Reparatur von DNA regulieren, bis hin zu Botenstoffen und vielen anderen wichtigen Funktionen unserer Zellen. Das macht Corona im Vergleich zu anderen Virus-Erregern vergleichsweise einzigartig.

Herpesviren dagegen, beispielsweise Herpes-Zoster, das die meisten Menschen in Form einer Windpocken-Infektion in der Kindheit befällt und das dann oft ein Leben lang im Körper schlummert, schneidet mit seinen Enzymen über hundertmal weniger menschliche Eiweiße. "Das sind klassische Viren, mit denen wir als Menschen durchseucht sind, die wir aber immunologisch unter Kontrolle haben", sagt Marschalek.

Andere Erreger, unter ihnen die Rhinoviren, die den gewöhnlichen Schnupfen auslösen, schneiden wiederum zwar noch an tausenden Stellen mehr. Doch dadurch zerstören sie den Inhalt einer Zelle oft komplett und sorgen nicht für das Entstehen von Neoantigenen. "Die frei werdenden Aminosäuren werden hier als Energiequelle genutzt. Diese Viren sind nicht wirklich gefährlich für die Entstehung von Autoimmunerkrankungen, denn von unseren Eiweißen bleibt in solch einer Zelle praktisch nichts übrig", sagt Marschalek. Neoantigene entstehen dabei wahrscheinlich nicht. "Im Gegensatz dazu hat SARSs-CoV-2 ein sehr enormes Potential, um Autoimmunreaktionen bei Menschen auszulösen", sagt Marschalek.

Immunitytheft: Schwächt Corona langfristig die Immunabwehr?

Bei denjenigen, bei denen Corona Autoimmunreaktionen ausgelöst hat, können die Folgen dramatisch sein. Betroffen sind vor allem die Blutgefäße und angeschlossene Organe. Wenn es dem Virus gelingt, sich in kleinen Reservoirs im Körper festzusetzen, geht die Bekämpfung des eigenen Gewebes viele Monate weiter, teilweise sogar Jahre. Dieser Mechanismus könnte eine mögliche Ursache sein für Symptome wie Fatigue, also anhaltende Erschöpfungszustände oder anhaltender Geruchsverlust.

Als weiteres Problem kommt hinzu, dass die Omikron-Varianten von Corona das Immunsystem schwächen können, indem sie T-Zellen lahmlegen. "Was wir heute wissen, ist, dass das Immunsystem bei vielen Long-Covid-Patienten massiv beeinträchtigt ist", sagt Marschalek. In der Fachliteratur wird dieses Phänomen inzwischen unter dem Stichwort "Immunitytheft", also Immunitätsdiebstahl diskutiert.

Angepasste Omikron-Impfstoffe schützen

Marschaleks Untersuchung ist zunächst einmal nur eine mathematische Rechnung, noch keine klinische Studie, die genaue Auskunft darüber gibt, wie häufig das Problem mit den Autoantikörpern in den vielen Millionen Menschen ist, die sich in der gerade abklingenden Coronawelle angesteckt haben. Doch der Forscher sieht ein deutliches Potenzial, dass Covid-19 auch bei vergleichsweise milden Krankheitsverläufen bleibende Schäden anrichtet und die Lebenserwartung vieler Menschen senken könnte.

Wie kann man sich gegen solche Folgen schützen? Mit Blick auf aktuelle Studien hält Rolf Marschalek vor allem zusätzliche Impfungen mit einem an die Omikron-Variante angepassten Impfstoff für wichtig. Sie können auch die aktuellen Varianten zuverlässig neutralisieren, wie Zellkulturstudien zeigen. Zudem zeigen Studien an ganzen Populationen, dass solche Impfungen das Risiko für die Ausbildung von Long-Covid dramatisch senken.

Die Ständige Impfkommission empfiehlt solche zusätzlichen Auffrischimpfungen zwar nur für Risikogruppen, aber aus Marschaleks Sicht würden alle davon profitieren. "Ich habe mich selbst nochmal zusätzlich dreimal mit einem an Omikron angepassten Impfstoff impfen lassen und seitdem keine Infektionen mehr gehabt", sagt er. Komme es doch zu einer Ansteckung, könne aber auch Paxlovid helfen. Das Medikament blockiere die Hauptprotease, und damit eine der gefährlichsten Bestandteile von Sars-CoV-2 Virus. "Nur leider ist die Anwendung von Paxlovid etwas komplizierter bei denjenigen Personen, die jeden Tag ihre Medikamente nehmen müssen. Ein Bestandteil des Paxlovid Medikaments blockiert ein wichtiges CYP-Enzym in der Leber, sodass man gezwungen wäre, seine übliche Medikamentation für genau 5 Tage auszusetzen. Das kann leider nicht jeder Patient", sagt Marschalek.

Links/Studien

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