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NeurologieMit Geduld und Serotonin gegen Depressionen

27. November 2020, 20:00 Uhr

Wissenschaftler haben herausgefunden, in welchen Regionen des Gehirns die Geduld durch die Stimulation mit Serotonin gefördert werden kann. Durch diese Erkenntnisse könnte künftig die medikamentöse Behandlung von Depressionen deutlich verbessert werden.

Es gibt diese Videos: Ein Kind bekommt ein Stück Schokolade. Dann soll es eine unbestimmte Zeit warten. Isst es währenddessen die Süßigkeit nicht, winkt als Belohnung ein zweites Stück der dunklen Leckerei. Doch in diesen kleinen Clips schaffen es nur die wenigstens Kinder, der Schokolade zu widerstehen. Geduld muss gelernt werden.

Doch bisher war noch weitgehend unklar, wie das Gehirn die Geduld steuert. In einer Studie an Mäusen haben japanische Forscher nun bestimmte Bereiche des Gehirns identifiziert, die durch Stimulation mit Serotonin die Geduld steigern. "Serotonin ist einer der bekanntesten Neurotransmitter für das Verhalten und hilft bei der Regulierung von Stimmung, Schlaf-Wach-Zyklus und Appetit", sagt Dr. Katsuhiko Miyazaki, von der Abteilung für neuronale Berechnungen am Okinawa-Institut für Wissenschaft und Technologie (OIST).

Die Erwartung der Mäuse spielt eine Rolle

"Unsere Forschung zeigt, dass die Freisetzung dieses chemischen Botenstoffs auch eine entscheidende Rolle bei der Förderung der Geduld spielt", sagt Wissenschaftler Miyazaki. Durch die Stimulation bestimmter Neuronen im Gehirn verlängerte sich die Zeit, die die Mäuse bereit waren, auf eine Belohnung durch Futter zu warten, schreiben die Forscher in ihrer Studie, die in "Science Advances" veröffentlicht worden ist.

Für ihre Untersuchung züchteten die Wissenschaftler gentechnisch veränderte Mäuse, bei denen mittels einer im Gehirn implantierten optischen Faser und Licht, Serotonin zu bestimmten Zeitpunkten freigesetzt werden konnte. "Damit das Serotonin die Geduld fördern konnte, mussten die Mäuse zuversichtlich sein, dass eine Belohnung kommen würde", sagt Doktor Miyazaki.

Das Team konzentrierte sich dabei auf drei Gehirnbereiche. Von diesen ist bereits bekannt, dass sie bei einer Schädigung das impulsive Verhalten verstärken: eine tiefe Gehirnstruktur namens Nucleus accumbens (Teil des Belohnungssystems) und zwei Teile des Frontallappens, der orbitofrontale Kortex und  der mediale präfrontale Kortex. "Impulsverhalten ist untrennbar mit Geduld verbunden. Je impulsiver ein Individuum ist, desto weniger geduldig", erklärt Miyazaki die Gründe für die Auswahl der drei Areale.

Die Impulse und das Gehirn

Die Mäuse wurden darauf trainiert, eine Warteaufgabe zu erfüllen. Dafür mussten die Nager mit der Nase in einem Loch warten, bis ein Stück Futter gegeben wurde. Anschließend untersuchten die Wissenschaftler, wie lange die Mäuse – mit und ohne Stimulation von Serotonin in den verschiedenen Gehirnbereichen – warteten.

Bei Stimulation des Nucleus accumbens stellten sie keine Verlängerung der Wartezeit fest. Als die Wissenschaftler jedoch die Serotoninfreisetzung im orbitofrontalen Kortex und im medialen präfrontalen Kortex erhöhten, warteten die Tiere deutlich länger auf eine Belohnung. Im medialen präfrontalen Kortex konnten die Wissenschaftler jedoch nur dann eine Steigerung der Geduld feststellen, wenn der Zeitpunkt der Belohnung variiert wurde. Es gab keinen Effekt durch das Serotonin, wenn der Zeitpunkt des Futtergebens immer nach Ablauf der gleichen Frist erfolgte.

Gezieltere Behandlung von Depressionen?

Um letzteres zu erklären, konstruierten die Forscher ein Rechenmodell: Darin gehen sie davon aus, dass Mäuse ein eigenes System haben, mit dem sie abschätzen, ob und wann sie eine Belohnung für das Warten bekommen könnten.

"Die Unterschiede in der Reaktion jedes Gehirnbereichs auf Serotonin lassen darauf schließen, dass jeder Gehirnbereich unterschiedlich zum allgemeinen Warteverhalten der Mäuse beiträgt", sagt Miyazaki. Durch das Rechenmodell bestätigte sich aus Sicht der Forscher die These, dass die beiden Bereiche im Frontallappen die Wahrscheinlichkeit einer Belohnung unabhängig voneinander berechnen – und anschließend zusammen kombinieren, ob eine Maus auf Futter wartet oder nicht. "Diese Art von komplementärem System ermöglicht es Tieren, sich flexibler gegenüber sich ändernden Umgebungen zu verhalten", sagt Miyazaki.

Letztlich könnte eine Erweiterung des Wissens darüber, wie verschiedene Bereiche des Gehirns mehr oder weniger von Serotonin betroffen sind, entscheidende Auswirkungen auf die Entwicklung von Arzneimitteln haben, schreiben die Wissenschaftler. Ein Beispiel seien selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer. Also Arzneimittel, die den Serotoninspiegel im Gehirn erhöhen und zur Behandlung von Depressionen eingesetzt werden. Mit dieser Forschung könnten Wege eröffnet werden, um gezieltere Behandlungen zu ermöglichen – die auf bestimmte Bereiche des Gehirns und nicht, wie bisher angenommen, auf das gesamte Gehirn wirken.

mpö

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