MusikSind Rhythmik und Musikalität Erbsache?
Gemeinsam im Takt bleiben – manche Menschen können das besonders gut und andere weniger. Was sagt das Rhythmusgefühl über die Musikalität eines Menschen aus? Das hat ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung des Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik (MPIEA) in Frankfurt am Main untersucht. Die Ergebnisse der Studie sind jetzt im Open-Access-Fachmagazin "Scientific Reports" veröffentlicht worden.
Eins, zwei, drei – während die einen sich am Schlagzeug sofort zu Hause fühlen, quälen sich die anderen und kommen immer wieder aus dem Rhythmus. Die Vollprofis sitzen währenddessen lässig, mit zugebundenen Augen hinter den Drums oder werfen die Sticks vielleicht auch zwischendurch noch in die Luft. Sind die begnadeten Schlagzeugerinnen und Schlagzeuger besonders musikalisch? Können sie auch Melodien gut folgen? Und was hat das alles mit den Genen zu tun?
Um das herauszufinden untersuchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Forschungsgruppe die genetischen Daten von insgesamt 5.648 Zwillingen. Diese füllten zudem Fragebögen zu musikalischen Themen aus und lösten musikbezogene Aufgaben. Unter anderem wurde gemessen, wie gut sie Rhythmen, Melodien und Tonhöhen unterscheiden konnten. "Die Zwillingsforschung zu musikbezogenem Verhalten zeigt, dass es eine beträchtliche genetische Komponente bei der Variation des musikalischen Engagements sowie des musikalischen Gehörs, also der Tonhöhen-, Melodie- und Rhythmusunterscheidungsfähigkeit gibt", schreiben die Forschenden in der Studie.
Generalistische und auch spezielle Gene relevant
Den Forschenden zufolge hätten Zwillingsmodellstudien bereits darauf hingedeutet, dass sowohl generalistische als auch spezialisierte Gene bei der Ausbildung musikbezogener Merkmale eine Rolle spielen. Welche Gene für die musikalischen Fähigkeiten von Bedeutung sind, sei jedoch noch nicht hinreichend geklärt. Hinweis biete eine kürzlich veröffentlichte genomweite Assoziationsstudie (GWAS) mit einer gut geprüften Stichprobe von 606.825 Personen, in dieser seien 69 genetische Varianten identifiziert worden, welche das Rhythmusgefühl beeinflussen. Das Rhythmusgefühl schätzten die Teilnehmer selbst ein, indem sie auf die Frage antworteten: "Können Sie im Takt eines musikalischen Beats klatschen?" Allerdings, so schreiben die Forscher, erfassen diese Art der Studien nur "ein Bruchteil der erwarteten genetischen Variation".
Im Test: Tonhöhe erkennen, Melodien erfassen und Rhythmus
Um diese Lücke zu kompensieren, fragten die Wissenschaftler abseits der Genanalyse ihre Probanden, ob sie einer Melodie folgen oder auch Tonhöhen und Rhythmus unterscheiden können. Sie erfragten außerdem die musikalische Prägung sowie die Zeit, die Menschen mit dem Üben oder Hören von Musik allgemein verbringen. Auf Basis der genetischen und erfragten Daten berechneten die Forschenden einen "Polygenic Score" für das Rhythmusgefühl (PGSrhythm) jeder Teilnehmerin und jedes Teilnehmers – eine Art Indikator für die Veranlagung für Rhythmusgefühl.
"Genetische Varianten, die dem Rhythmusgefühl zugrunde liegen, stehen auch im Zusammenhang mit anderen Aspekten von Musikalität", erklärte Erstautorin Laura Wesseldijk vom MPIEA aus Frankfurt. Der "Polygenic Score" zeige, wie groß die allgemeine Musikalität der einzelnen Teilnehmer war.
Musikalisches Umfeld spielt eine Rolle
Darüber hinaus stellten die Forscherinnen und Forscher einen Zusammenhang zwischen dem musikalischen Umfeld in der Kindheit der an der Studie teilnehmenden und dem PGSrhythm fest, was auf eine Wechselbeziehung zwischen Genen und Umwelt hindeutet. Mit anderen Worten: Ob jemand beispielsweise Musikunterricht erhält, hängt auch von der genetischen Veranlagung für Musik ab. Nur wenn er talentiert ist, wird er langfristig Spaß haben und am Unterricht dranbleiben.
Ansatz kann bei Entflechtung des Zusammenspiels von Genen und Umwelt helfen
"Dieser Ansatz kann zusätzliche Einblicke in die genetische Architektur liefern, die der musikalischen Fähigkeit zugrunde liegt, und die künftige Forschung bei der Entflechtung des Zusammenspiels von Genen und Umwelt, das der Musikalität und dem Musikerwerb zugrunde liegt, leiten", schreiben die Forschenden.
"Polygenic Score": zuverlässige Größe für weitere Forschungen
"Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass der PGSrhythm die allgemeine Musikalität von Menschen aufzeigen kann, ebenso die Neigung, Musik zu genießen und sich mit ihr zu beschäftigen, wozu auch tänzerische Fähigkeiten zählen", hieß es weiter. Der Wert kann somit zukünftig in der Forschung verwendet werden, um die genetischen Grundlagen individueller Unterschiede von Musikalität weiter zu entschlüsseln.
Links/Studien
Wesseldijk, L. W., Abdellaoui, A., Gordon, R. L., 23andMe Research Team, Ullén, F. & Mosing, M. A. (2022). Using a Polygenic Score in a Family Design to Understand Genetic Influences on Musicality. Scientific Reports, 12, Article 14658. https://doi.org/10.1038/s41598-022-18703-w
(tom)