Milch und MenschheitsgeschichteUnsere Vorfahren liebten Ziegenmilch – und Joghurt!
Milchkonsum ist in der Menschheitsgeschichte ein alter Hut: Trotz Laktoseintoleranz war sie schon vor Jahrtausenden ein wichtiger Bestandteil der Ernährung, wie aktuelle Forschung aus Jena und Nairobi beweist. Das wirft Fragen auf – auch die, wie man sowas überhaupt herausfindet.
Sind wir Menschen nicht irgendwie ein merkwürdiges Völkchen? Schon der Gedanke daran, menschliche Milch über das Säuglingsstadium hinaus zu verzehren – also Muttermilch im Müsli – dürfte bei den meisten für Beklemmungen sorgen. Der Gedanke an Tiermilch hingegen ist für viele unproblematisch, allen voran die der Kuh. Und damit sind wir die wahrscheinlich einzige Tierart auf der Erde, die bis ins Erwachsenenalter die Muttermilch eines anderen Tiers verzehrt.
Milchkonsum tausende Jahre alt
Alles eine Frage der Gewohnheit, könnte man sagen. Denn – und das haben jetzt Forschende aus Jena herausgefunden – das Trinken von Milch oder Verzehren von Milchprodukten ist keine Luxuserscheinung des modernen Menschen, sondern ein menschheitsgeschichtliches Phänomen, das schon Jahrtausende alt ist.
Das Team um Madeleine Bleasdale vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte (SHH) hat in Zusammenarbeit mit dem Kenianischen Nationalmuseum in Nairobi herausgefunden, dass Menschen auf dem Gebiet des heutigen Sudan und Kenia bereits vor 4.000 bis 6.000 Jahren Milchprodukte konsumiert haben. Das wirft verschiedene Fragen auf, allen voran: Wie findet man sowas raus?
In den Zähnen steckt die Milch
Möglichkeit eins: Indirekt. Man kann zum Beispiel beobachten, ob Felskunst das Melken von Tieren abbildet oder man Tötungsmuster an Tierknochen rekonstruieren kann, die auf denn Einsatz von Tieren für die Milchproduktion hindeuten. Oder man schaut bei alten Töpfen ganz genau hin, ob sie möglicherweise Spuren von alten Milchfetten enthalten.
Das Team aus Jena entschied sich für Möglichkeit zwei. Da es jedoch keine Töpfe gab, untersuchten die Forschenden die Milchreste in den Zähnen unserer Vorfahren. Dazu muss man wissen: Unsere frühen Verwandten hatten weder das Privileg einer Schallzahnbürste, noch war es überhaupt sonderlich gut um ihre Zahnhygiene bestellt. Soll heißen: Die Plaque wurden sie nicht los. Zum Leidwesen der möglicherweise kariesgeplagten Menschen von damals und zur Freude der Wissenschaft von heute. Der Zahnbelag ist, so sagen es die Forschenden am SHH in Jena, eine Goldmine an Informationen über die Ernährung unserer alten Verwandten. Die Plaque konserviert Lebensmittelproteine über tausende Jahre. Das mikroskopische Abbild einer Speisekammer sozusagen.
Die Forschenden haben sich deshalb Zahnstein von 41 Erwachsenen angeschaut und bei acht Personen Milchproteine entdeckt. Studienleiterin Madeleine Bleasdale:
Ein Teil der Proteine war so gut erhalten, dass es möglich war festzustellen, von welcher Tierart die Milch stammte.
Madeleine Bleasdale | Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte Jena
Bei einer 4.000 Jahre alten Person konnte das Team Reste von Ziegenmilch entdecken und schließt daraus, dass Ziegen und Schafe eine wichtige Milchquelle für die Menschen von damals gewesen sind.
Wie steht's um die Laktose?
Was eine weitere Frage aufwirft: Die der Laktoseintoleranz. Nicht neu ist, dass viele erwachsene Menschen Milchprodukte nicht so gut oder gar nicht vertragen, weil das körpereigene Laktase-Enzym nach der Kindheit verschwindet. Dieses Enzym baut den Milchzucker ab, also die Laktose. Nur eine genetische Mutation, die besonders häufig im nördlichen Europa vorkommt, unterstützt das Milchtrinken im Erwachsenenalter. Während der Anteil an Europäerinnen und Europäer, die keinen Milchzucker vertragen, relativ gering ist, ist er bei den Bewohnerinnen und Bewohnern Ostasiens, aber auch Afrikas mit 65 bis 90 Prozent sehr hoch. Wie haben die Menschen von damals ihren Milchkonsum also vertragen?
Dass sich die Laktoseintoleranz nicht erst später entwickelt hat, zeigen genetische Daten. Und Laktase-Tabletten aus der Drogerie hatten sie damals auch nicht. Der Schlüssel liegt möglicherweise in der Fermentation. Joghurt zum Beispiel hat einen geringeren Laktoseanteil als frische Milch. Solche Milchprodukte könnten für die Menschen damals bekömmlicher gewesen sein. Hinzu kommt, dass der Laktoseanteil bei Ziegenmilch nicht so hoch wie bei Kuhmilch ist.
Europa: Tiermilch für Menschenskinder
Aktuelle Forschung aus den USA bestätigt im Übrigen einen sogar noch älteren Milchkonsum auch in Europa: Allerdings nicht durch Erwachsene, sondern durch Säuglinge. Über 7.000 Jahre alte Reste von Tiermilch deuten darauf hin, dass diese als Säuglingsnahrung verwendet wurde und als stabile Nahrungsquelle die Säuglingssterblichkeit reduzierte. Milch hat sozusagen einen demographischen Wandel begünstigt – und die Ausbreitung der Menschen Richtung Nordeuropa. Auch Reste von Käse wurden gefunden.
Unterm Strich ist unser Milchkonsum also kein anderer als der unserer Vorfahren? Auch wenn Tiermilch die Menschheitsgeschichte schon eine Weile begleitet, ist davon auszugehen, dass der Umgang mit diesem Produkt bei unseren alten Verwandten ein anderer war. Trotz des wachsenden Markts für Milchalternativen steigt die Milcherzeugung weltweit und liegt bei mittlerweile über 850 Millionen Tonnen im Jahr. Zu den größten Erzeugerländern gehören die USA und Indien. Auf Platz vier allerdings ein Land, dass man da nicht unbedingt vermutet hätte: Deutschland.
Hoher Milchkonsum in Deutschland
Hier gibt es bei leicht rückläufiger Tendenz fast vier Millionen Milchkühe – selbst in Großstädten wie Leipzig stehen sie im Stall – und die Importmengen steigen. Kein Wunder: Die Deutschen verdrückten im Jahr 2019 im Durchschnitt 86 Kilo Frischmilchprodukte. Zwar ist mittlerweile 70 Prozent der Milch gentechnikfrei erzeugt (2016 waren es nur 14 Prozent), allerdings hat sich der Bioanteil in den letzten Jahren kaum verändert und liegt bei nur vier Prozent. Auch da hatten die Vorfahren – egal ob Afrika oder Europa – uns etwas voraus: Die Milch von damals war garantiert ökologisch erzeugt, auch ohne Biosiegel.
flo
Link zur Studie
Die Studie Ancient proteins provide evidence of dairy consumption in eastern Africa erschien am 27. Januar im Fachjournal Nature Communications.
DOI: 10.1038/s41467-020-20682-3
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