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Die Medaille mit dem Konterfei von Alfred Nobel wird alljährlich am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters, verliehen. Bildrechte: imago images / Kyodo News

Preisverleihung 2020Wird der Nobelpreis noch im Sinne von Alfred Nobel vergeben?

27. Oktober 2020, 11:02 Uhr

Hätte Alfred Nobel Kinder gehabt, gäbe es vielleicht den Nobelpreis nicht. Vor seinem Tod am 10. Dezember 1896 verfügte der schwedische Chemiker und Erfinder des Dynamits, dass der allergrößte Teil seines Vermögens in eine Stiftung eingehen soll. Die Zinsen sollten jedes Jahr an Leute vergeben werden, "die im vergangenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen erbracht haben". Doch wie entscheidet man, wer den "größten Nutzen" erbracht hat? Und wird der Wille von Nobel so heute noch eingehalten?

von Annegret Faber

Schwarze Löcher umgeben eine Aura von Geheimnis oder Mystik. Sehen kann man sie nur im Science Fiction-Film oder in Comic Zeichnungen. Aber in der Realität? Dem Astrophysiker Prof. Reinhard Genzel und einem internationalen Forscherteam ist das Unfassbare gelungen. Er entdeckte ein Schwarzes Loch und machte es sichtbar. Mit einem Nobelpreis hätte er aber nicht gerechnet, erklärt Genzel: "Nein, überhaupt nicht. Weil, ich hatte vor acht Jahren einen ähnlichen Preis der Schwedischen Akademie bekommen, der nennt sich Crafoord-Preis und ist für die Felder, die traditionell keine Nobelpreise kriegen können. Und ich hatte da das Gefühl, na fein, das war's dann."

Die Sache mit dem "vergangenen Jahr"

Prof. Dr. Reinhard Genzel, Direktor des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik in Garching. Bildrechte: imago/HRSchulz

Doch nun bekommt er ihn doch noch, am 10. Dezember, dem Todestag von Alfred Nobel. Auch wenn Genzels Arbeit sich über die letzten 30 Jahre erstreckte und er nicht erst letztes Jahr die Entdeckung machte. Denn das ist eigentlich der Wille des Stifters. In seinem Testament schrieb Alfred Nobel, dass die Preise denen zugeteilt werden, die im "vergangenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen erbracht haben". Dazu sagt Genzel: "Also erstmal, diese Verfügung von Nobel kann schon seit Langem nicht mehr aufrechterhalten werden, wenn man denn eine andere Bedingung dazu fügt. Nämlich, dass das, was aus der Forschung heraus gekommen ist - das Ergebnis - überprüft sein muss."

Gunnar Ingelmann, Sekretär beim Nobelkomitee in Schweden, begründet die Entscheidung so: "Die theoretische Entdeckung liegt Jahrzehnte zurück. Aber man ist erst seit Kurzem in der Lage, die astronomischen Beobachtungen durchzuführen. […] Daher [kann die Entdeckung] auch erst jetzt mit dem Nobelpreis bedacht werden […]."

Rechtslage nicht ganz klar

Prof. Volker Thieler: "Rechtslage ist nicht klar." Bildrechte: Prof. Volker Thieler

Aus Sicht des Juristen und Stiftungsexperten Prof. Volker Thieler sei das rechtlich gesehen nicht wasserdicht: "Also hier muss man grundsätzlich sagen: Nach dem deutschen Stiftungsrecht ist der Wille des Stifters entscheidend und kann nicht verändert werden." In Schweden, der Heimat des Nobelpreises, sehe das aber anders aus. Das dortige Stiftungsrecht sei viel jünger als das deutsche und lange nach dem Testament von Nobel geschrieben. Deshalb sei die Rechtslage nicht klar.

Regel von Beginn an nicht eingehalten

Der Wissenschaftshistoriker Prof. Ernst Peter Fischer merkt an, dass diese Regel schon beim ersten Nobelpreis nicht eingehalten wurde. Der ging an Wilhelm Conrad Röntgen, der aber schon sechs Jahre vorher die gleichnamigen Strahlen entdeckte.

Prof. Ernst Peter Fischer: "Regel schon bei erster Preisverleihung nicht eingehalten." Bildrechte: Prof. Ernst Peter Fischer

Dazu Fischer: "Das was wirklich Nutzen für die Menschheit bringen kann, ist vielleicht am Anfang nutzloses Wissen. Also zum Beispiel: Wenn Einstein etwas über die Relativität von Raum und Zeit sagt, dann ist das zunächst mal nutzloses Wissen, in dem Sinne, dass Sie keine Praxis damit anfangen können. Und dann dauerte es etwas. Es dauerte vor allem etwas, bis theoretisch arbeitende Wissenschaftler, wie Max Planck, Werner Heisenberg, Albert Einstein den Preis bekommen haben. Und insofern hat sich das von vornherein verschoben. Also diese Regel ist nie eingehalten worden."

Zahl der Preisträger bleibt begrenzt

Das Thema sei im schwedischen Nobelkomitee lange diskutiert worden, erzählt Gunnar Ingelmann. Schließlich sei nun in der Satzung der Nobelstiftung verankert, dass die Arbeit des Preisträgers nicht aus dem letzten Jahr sein muss. Bei der Zahl der Ausgezeichneten will das Nobelpreiskomitee allerdings nicht am Willen des Stifters rütteln. Nobel hat verfügt, dass sich nicht mehr als drei Wissenschaftler einen Preis teilen sollen. Immer öfter wird aber gefragt, ob das noch zeitgemäß ist. Dazu Ingelmann: "Es gibt Für und Wider, ob man es so machen sollte. Es gibt Arbeiten, bei denen viele Menschen beteiligt sind. Da sollte man versuchen, herauszufinden, wer diejenigen sind, die den Preis am ehesten verdient haben."

"Leute, von denen man lernen kann"

Alfred Nobel (1833-96) auf einem zeitgenössischen Gemälde. Bildrechte: imago images/Photo12

Ein Nobelpreis sollte nicht an Gruppen vergeben werden, sagt auch der Geschichtswissenschaftler Ernst Peter Fischer: "Also nicht 100 Leuten den Nobelpreis geben. Dann können sie auch gleich allen Leuten das Bundesverdienstkreuz geben. Es muss eine kleine Zahl sein. Und dann kann man sagen: Ah, von den Leuten müssen wir hören, von denen sollten wir lernen."

Und genau solche Persönlichkeiten vermisst Fischer in den letzten Jahren unter den Nobelpreisträgern. Forscher, die Wichtiges über den Artenschutz, Umweltschutz oder den Frieden auf diesem Globus zu sagen haben und die dann positive Diskussionen auslösen. Das könnten auch Philosophen sein. Die Philosophie habe Nobel aber nicht vorgesehen.

Wer schlägt die Nobelpreis-Kandidaten vor?

Verleihungszeremonie mit der schwedischen Königsfamilie im Konserthuset in Stockholm. Bildrechte: imago images / Kyodo News

Doch wer entscheidet darüber, wer einen Preis bekommt und wer nicht? Dazu noch einmal Gunnar Ingelmann: "Für die wissenschaftlichen Preise in Physik und Chemie z. B., gibt es eine sehr große Gruppe von Menschen, die jemanden nominieren können. Dazu gehören natürlich Angehörige der Akademien in den Nordischen Ländern. Es gibt eine große Gruppe anerkannter Forscher und Forscherinnen, die eine Einladung bekommen. Außerdem senden wir jedes Jahr tausende Briefe an Universitäten weltweit, in denen wir bitten, Forschende oder Lehrkräfte als Nominierungsberechtigte vorzuschlagen. Und daraus wählen wir aus."

Was uns die Erforschung Schwarzer Löcher bringt

Auch der Astrophysiker Reinhard Genzel gehört zu denen, die angeschrieben werden und Vorschläge machen dürfen. Obwohl Nobel auch auch das Forschungsgebiet von Genzel nicht bedacht hatte, bekommt er im Dezember den wohl bekanntesten Preis, den es je gab.

Reinhard Genzel erhält den diesjährigen Physik-Nobelpreis für die Erforschung Schwarzer Löcher. Bildrechte: imago/HRSchulz

Welchen Nutzen die Erforschung Schwarzer Löcher der Menschheit bringt, erklärt der Astrophysiker so: "Also wir erfreuen uns daran, das Universum zu erforschen. Das ist wie: Man geht durch einen Wald und schaut sich die Blumen an und die Bäume und versucht das zu verstehen und dann in ein Gebäude des naturwissenschaftlichen Verständnisses zu bringen. Und dabei entdeckt man eben tolle Dinge. Und das Universum ist unheimlich reich an Überraschungen."

Die Neugierde des Menschen führe dazu, Dinge zu verstehen, so Genzel. Sie habe ihn dazu gebracht, erstmals in der Geschichte der Menschheit ein Schwarzes Loch sichtbar zu machen. Einen praktischen Nutzen daraus, werde es sicher auch irgendwann geben.

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