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Posttraumatische BelastungsstörungPTBS kann das Risiko für Demenz verdoppeln

16. September 2020, 16:14 Uhr

Psychische Erkrankungen haben in unserer Gesellschaft noch immer ein Stigma. Deshalb trauen sich viele Betroffene nicht oder erst sehr spät, sich helfen zu lassen. Doch im Fall von Traumata kann das noch viel später erhebliche Folgen haben: Einer britischen Studie zufolge entwickeln Menschen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) im späteren Leben bis zu doppelt so häufig Demenz.

Die Studie der Forschungsgruppe vom University College London (UCL) sei die erste Meta-Analyse evidenzbasierter Studien zu posttraumatischer Belastungsstörung und Demenz, schreibt das Team. Demnach analysierten sie die Ergebnisse aus 13 Studien von vier Kontinenten, die insgesamt die Daten von mehr als 1,6 Millionen Personen umfassten. Diese untersuchte das Londoner Forschungsteam darauf, ob eine PTBS-Diagnose mit einem erhöhten Demenzrisiko bis zu 17 Jahre später verknüpft war. Ihre Analyse ist im British Journal of Psychiatry veröffentlicht worden.

Doppelt so hohes Risiko zu erkranken

Ein unbehandeltes Trauma ist eine Dauerbelastung für das Gehirn. Bildrechte: Colourbox.de

Das Forschungsteam fand bei der Analyse der Daten, dass PTBS mit einer bis zu doppelt so hohen Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung einer Demenz assoziiert war. Ein Teil der untersuchten Studien legte sogar ein um 61 Prozent höheres Demenzrisiko nahe. Andere bekannte Demenz-Risikofaktoren wie Depressionen, soziale Isolation oder erhöhter Alkoholkonsum seien dabei herausgerechnet worden, sodass das bis zu doppelt so hohe Demenzrisiko direkt mit PTBS assoziiert sei. Allerdings könnten Traumata diese Erkrankungen und Verhaltensweisen ebenfalls begünstigen.

Was ist eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)?

Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) tritt als eine verzögerte psychische Reaktion auf ein extrem belastendes Ereignis, eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes auf. Die Erlebnisse (Traumata) können von längerer oder kürzerer Dauer sein, wie z.B. schwere Unfälle, Gewaltverbrechen, Naturkatastrophen oder Kriegshandlungen, wobei die Betroffenen dabei Gefühle wie Angst und Schutzlosigkeit erleben und in Ermangelung ihrer subjektiven Bewältigungsmöglichkeiten Hilflosigkeit und Kontrollverlust empfinden.

Typisch für die PTBS sind die sogenannten Symptome des Wiedererlebens, die sich den Betroffenen tagsüber in Form von Erinnerungen an das Trauma, Tagträumen oder Flashbacks, nachts in Angstträumen aufdrängen. Gewissermaßen das Gegenstück dazu sind die Vermeidungssymptome, die meistens parallel zu den Symptomen des Wiedererlebens auftreten: emotionale Stumpfheit, Gleichgültigkeit und Teilnahmslosigkeit der Umgebung und anderen Menschen gegenüber, aktive Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Manchmal können wichtige Aspekte des traumatischen Erlebnisses nicht mehr (vollständig) erinnert werden. Häufig kommt ein Zustand vegetativer Übererregtheit dazu, der sich in Form von Schlafstörungen, Reizbarkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, erhöhter Wachsamkeit oder ausgeprägter Schreckhaftigkeit manifestieren kann.

Quelle: Neurologen und Psychiater im Netz - Das Informationsportal zur psychischen Gesundheit und Nervenerkrankungen, herausgegeben von Berufsverbänden und Fachgesellschaften für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland und der Schweiz

Doch das Demenzrisiko sei nicht bei allen Menschen mit PTBS gleich hoch, schreiben die Forschenden. Bei Veteranen konnten sie demnach ein niedrigeres Risiko feststellen als in der Allgemeinbevölkerung. Die Zivilisten mit PTBS seien mehr als doppelt so häufig an Demenz erkrankt wie die Veteranen.

Trauma-Therapie könnte Demenzrisiko senken

Aber woran könnte das liegen? Die Forschenden glauben, dass die Behandlung von PTBS der Grund sein könnte, denn Veteranen würden in den Ländern, in denen die betreffenden Studien durchgeführt wurden, in der Regel eher eine Behandlung bekommen. Die Ergebnisse deuteten also darauf hin, dass die Behandlung von PTBS das Demenzrisiko verringern könnte.

Unsere Studie liefert wichtige neue Beweise dafür, wie traumatische Erlebnisse die Gesundheit des Gehirns beeinflussen können und wie sich die langfristigen Auswirkungen eines Traumas auf das Gehirn in vielerlei Hinsicht auswirken und die Anfälligkeit für kognitiven Verfall und Demenz erhöhen können.

Dr. Vasiliki Orgeta, University College London

Führt der Stress im Gehirn durch PTBS zur Demenz? Bildrechte: Colourbox.de

Einer der Autoren der Metaanalyse, Dr. Vasiliki Orgeta, weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass viele Menschen mit PTBS gar keinen Zugang zu einer therapeutischen Behandlung haben. Das liege zum einen an einem Mangel an Therapieplätzen und zum anderen an der Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen, die sie davon abhalte, sich HIlfe zu holen.

Zusammenhang mit Wiedererleben von Traumata?

Dem Forschungsteam zufolge ist noch unklar, wie genau PTBS das Demenzrisiko erhöht.

Bei Menschen, die künstlich beatmet wurden, tritt häufig PTBS auf. Bildrechte: imago/Jochen Tack

Sie vermuten jedoch dass das mit den PTBS-Symptomen der Hypervigilanz (erhöhte Wachsamkeit und Wahrnehmung der Welt als gefährlichen Ort, der für einen ständig andauernden Angszustand, Schreckhaftigkeit und ständiges "auf der Hut sein" sorgt) und dem wiederkehrendem Wiedererleben von Traumata zusammenhängen könnte. Das sorge nämlich dafür, dass das Gehirn aufgrund der wahrgenommenen Bedrohung ständig stressbedingte Aktivitäten machen müsse. Gleichzeitig könnte ein Rückzug aus dem sozialen Leben die kongnitive Belastbarkeit zusätzlich verringern. Deshalb sei eine Therapie für Betroffene so wichtig, schließt die Erstautorin der Studie, Mia Maria Günak.

Hier haben wir eine weitere Gruppe von Menschen identifiziert, die einem erhöhten Demenzrisiko ausgesetzt sind und von einer weiteren Unterstützung der psychischen Gesundheit profitieren können.

MSc Mia Maria Günak, Erstautorin

Und UCL-Forscher Ortega merkt zusätzlich an, dass PTBS gerade in Zeiten der Corona-Pandemie besonders relevant sei, denn die Erkrankung trete häufig bei Menschen auf, die mit Covid-19 ins Krankenhaus eingeliefert wurden. Es handle sich um einen unterdiagnostizierten, unterbehandelten und untererforschten psychischen Gesundheitszustand, der jedoch schwerwiegende langfristige Folgen haben könne. Die Ergebnisse der aktuellen Studie könnten nun dazu beitragen, konkrete Behandlungsmöglichkeiten zu entwickeln.

(kie)

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