KulturanthropologieWie Kulturen spielen, verrät, wie sie streiten
Länger schon fragen sich Forschende, ob Spiele, die verschiedene Kulturen spielen, Rückschlüsse darauf zulassen, wie streitlustig diese Kulturen sind. Ein deutsch-australisches Forschungsteam hat eine Antwort gefunden.
Wie eine Kultur spielt, sagt etwas darüber aus, wie oft sie Konflikte mit anderen Kulturen austrägt. Diese Erkenntnis gewannen Forschende aus Jena, Gera, Leipzig und Australien. Sie untersuchten 25 Kulturen, bei denen sie über Daten von historischen Spielen und Daten über Hierarchie- und Sozialstrukturen verfügten. Die Kulturen erstreckten sich über ein großes geografisches Gebiet verteilt über den pazifischen Raum und lebten in der Vergangenheit.
Miteinander oder gegeneinander?
Anhand der Informationen untersuchten die Forschenden, ob Zusammenhänge zwischen Spielweisen und Verhaltensweisen bestanden. Dabei stand vor allem die Frage im Vordergrund, ob kompetitive oder kooperative Spiele widerspiegeln, wenn eine Kultur sich auch in anderen Bereichen als kooperativ (Aufgaben gemeinsam lösen) oder kompetitiv (auf Wettbewerb ausgerichtet) erwies – wie zum Beispiel bei der Nahrungssuche oder im Austragen von Streitigkeiten über soziale Hierarchien. Was sich für die Kulturen im pazifischen Raum feststellen ließ, lässt sich aber auch auf heutige Gesellschaften anwenden, sagt Studienautorin Sarah Leisterer-Peoples vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie.
Wenn Sie an ihr letztes Spiel denken und sich fragen, ob es eher kompetitiv oder kooperativ war, werden Sie in Deutschland vermutlich eher auf ein kompetitives Spiel kommen.
Sarah Leisterer-Peoples
Wettkampf oder Kooperation? Je nach Kultur ist das verschieden
"Frühere Studien meinten, es hängt davon ab, wie egalitär oder wie hierarisch eine Gesellschaft ist, in welchem Verhältnis Kooperation und Streit im Spiel stattfinden." Dieses Ergebnis konnten die Forschenden nicht bestätigen und resümierten stattdessen: "In jeder Kultur gibt es Spiele mit kompetitiven und kooperativem Charakter. Sowohl in egalitären als auch in hierarischen. Was sich verändert ist das Verhältnis, in dem diese Spiele gespielt werden. Dazu konnten wir in unserer Studie einen Zusammenhang finden."
Für ihre Untersuchungen wählten die Forschenden historische Kinderspiele aus einer Datenbank aus. Dazu zählten Spiele im Freien, im Miteinander, mit aktivem Charakter, wie Verstecke, Hacki-Sack oder eine australische Version von "Der Plumpsack geht um". Die Spiele kennzeichneten sich durch unterschiedliche Kooperationsgrade in der Art und Weise wie sie gespielt werden, so Sarah Leisterer-Peoples.
In einem zweiten Schritt definierten Leisterer-Peoples und Kollegen Indikatoren dafür, welche Verhaltensweisen auf konfliktreiches Verhalten hindeuteten, und welche auf kooperierendes. Sie untersuchten wie sozial hierarchische Kulturen strukturiert waren, wie oft Mitglieder einer Kultur miteinander in Konflikt gerieten, wie oft Kulturen mit anderen Kulturen in Konflikt gerieten und wie häufig Mitglieder einer Kultur gemeinschaftlich jagten und fischten. "Das sind reale Indikatoren für kooperatives Verhalten", unterstreicht Wissenschaftlerin Sarah Leisterer-Peoples.
Interner Wettkampf führt zu mehr Konkurrenz
Die Hypothese war, ob Spiele Rückschlüsse auf die Art und Weise und Intensität von Kooperation und Wettstreit ermöglichen können. Sarah Leisterer-Peoples und ihr Team bestätigen: "In Zeiten des Konflikts mit anderen Gruppen sind Individuen aufeinander angewiesen. Kooperation ist hier besonders wichtig. Das spiegelt sich in der Art der Spiele wider, die gespielt werden – Spiele, in denen Gruppen im Wettstreit mit anderen Gruppen stehen." Und in der Gruppe kooperieren.
Könnte man nun annehmen, dies müsse sich eigentlich auch in Gruppen mit mehr Konflikten innerhalb der Gruppe zeigen, lässt sich das so nicht bestätigen. Wenn es zwischen Mitgliedern innerhalb einer Gruppe häufiger zu Konflikten kam, wurden auch häufiger Spiele gespielt, in denen die Spielenden intern wettstreiteten, erklärt die Forscherin.
Unsere Untersuchungen deuten darauf hin, dass die Spiele, die wir spielen, die kulturellen Merkmale der Gesellschaft widerspiegeln, in der wir leben.
Sarah Leisterer-Peoples, Psychologin, MPI für evolutionäre Anthropologie in Leipzig
Aus den Studien des Forscherteams lässt sich ableiten: Spiele verraten viel über unser Miteinander. Sie bilden real praktiziertes Verhalten ab und sind ein Weg, wie Kinder gruppenspezifische Normen lernen und trainieren. Wie kooperativ Kulturen sind, wie oft Mitglieder einer Kultur miteinander in Konflikt gerieten – all das kann also einen Einfluss darauf haben, welche Spiele in einer Gesellschaft gespielt werden. In Studien sollten das in Zukunft mit weiteren Daten aus mehr Kulturen überprüft werden. Zum Beispiel präzisierte Leisterer-Peoples, wisse man nur wenig darüber, inwiefern sich diese Ergebnisse auf die Erkenntnis übertragen lasse, dass Kinder immer mehr Videospiele spielen.
Zur Studie:
kf
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