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Junior-Professor Dr. Mario Haim und Kim Maurus aus dem Master-Studiengang Journalismus. Bildrechte: Christian Hüller/privat

Hatespeech unter ArtikelnSexistische Kommentare machen Artikel glaubwürdiger

24. Januar 2022, 14:23 Uhr

Welche Rolle spielt das Geschlecht der Menschen, die über Themen schreiben, die als typisch männlich doer weiblich verstanden werden? Das hat eine Leipziger Wissenschaftlerin untersucht. Sie kommt zu einem überraschenden Ergebnis.

Sexistische Kommentare sorgen dafür, dass Artikel, die Frauen über "Männerthemen" geschrieben haben, für die Leserschaft glaubwürdiger erscheinen. Das ist das Ergebnis einer Studie aus Leipzig, die sich mit der Wahrnehmung von Artikeln zu stereotyp männlichen/weiblichen Themen befasst hat und fragte: Beeinflusst das Geschlecht der Schreibenden, wie ein Artikel gelesen wird? Kim Maurus und Mario Haims zeigen in ihrer Studie, dass das nicht der Fall ist. Für die Lesenden spielt das Geschlecht der Menschen hinter dem Artikel keine Rolle, was die Glaubwürdigkeit der Inhalte angeht. Damit wiederspricht diese Studie anderen Untersuchungen, denen zufolge die Glaubwürdigkeit mitunter stark davon beeinflusst wird, wer welche Inhalte kommuniziert. Der so genannte Backlash-Effekt wurde nicht bestätigt. Datenjournalismus-Forscher Dr. Mario Haim: "Mich hat überrascht, dass man den Backlash-Effekt nicht gefunden hat, wo wir davon ausgegangen waren, dass wir ihn finden würden: dass Frauen negativer wahrgenommen werden, wenn sie über stereotyp männlich besetzte Themen berichten. Das hat uns tatsächlich positiv überrascht."

An der Studie, die mittels Online-Befragungen durchgeführt wurde, nahmen 417 Personen teil, davon etwas mehr Frauen (53 Prozent) als Männer; der Altersdurchschnitt lag bei 47 Jahren. Die Artikel, die gelesen wurden, wurden von einer fiktiven Journalistin namens Sabine Schmied beziehungsweise einem fiktiven Journalisten namens Peter Schmied verfasst. Eine Kontrollgruppe der Teilnehmenden las computergenerierte Artikel. Unter den Artikeln wurden jeweils drei künstlich erstellte Kommentare ausgespielt, die sich im Tonfall ähnelten - entweder rein sachbezogene Kommentare oder sexistische, die sich auf das Geschlecht der Autorin bezogen.

Sexistische Kommentare lenken die Aufmerksamkeit

Aber warum verstärken nun ausgerechnet sexistische Kommentare die Glaubwürdigkeit von Journalistinnen? Das Forschungsteam nennt dafür drei mögliche Erklärungen. Zum einen könnten derartige Kommentare der Tropfen gewesen sein, der ein Fass zum Überlaufen bringt in einer Kommentardiskussion, und das beeinflusste dann die Studienteilnehmer.

Die Anfeindung von Frauen wie Claudia Neumann, die Fußballspiele kommentieren, war für Kim Maurus der Aufhänger für diese Studie. Bildrechte: imago images/Sven Simon

Denkbar sei aber auch, heißt es in der Studie, dass die Forschungsteilnehmenden die sexistischen Kommentare tatsächlich als künstlich erstellt identifizierten. Dritte mögliche Erklärung könnte dem Forschungsteam zufolge aber auch sein, dass angesichts der generellen öffentlichen Debatte um Sexismus derartige Kommentare bei Lesenden dafür sorgen, dass die Autorin anders wahrgenommen wird. Kim Maurus sagt: "Es kann sein, dass man Frauen, wenn sie sexistisch angefeindet werden, als glaubwürdiger erachtet, weil es für viele reichweitenstarke Frauen auch im Jahr 2022 ganz normal ist, im Internet beleidigt zu werden. Es ist denkbar, dass die Menschen Solidarität mit der Frau zeigen wollten, indem sie ihre Glaubwürdigkeit höher eingestuft haben." Oder wie es Dr. Mario Haim formuliert: "Sexistische Kommentare lenken offenbar die Aufmerksamkeit, das beeinflusst Leute beim Lesen, die schauen da dann mal genauer hin und machen sich ein eigenes Bild."

Sensibilisierung dank öffentlicher Sexismus-Debatte

Deutet sich hier vielleicht ein Wandel in der Gesellschaft an, eine Normalisierung, was Expertenschaft in medialer Berichterstattung angeht? Kim Maurus bezweifelt das. Dafür bräuchte es zum einen Studien, die genau das untersuchen würden, zum anderen seien Studiensetting und Realität zu unterschiedlich. Aber, so Maurus, man könne aus den Studienergebnissen schließen, dass Hasskommentare etwas bei den Menschen auslösen, die sie lesen.

Dr. Haim sagt abwägend: "Diese Art von Befunden deutet für mich darauf hin, dass wir auf einem guten Weg sind. Aber das ist rein spekulativ. Das Thema Sexismus ist in der Öffentlichkeit aber so breit diskutiert. Das hat bei Menschen zu mehr Sensibilität geführt, zum Beispiel bei weiblichen Expertinnen in der Fußballberichterstattung. Aber man muss einschränkend auch sagen, dass alle diese Studien auf Stichproben basieren. Da haben wir es mit Befragten zu tun, die der Wissenschaft gegenüber offen sind und die sich nicht lautstark mokieren, wenn Frauen zum Beispiel ein Fußballspiel kommentieren."

Das Studienergebnis über das Verhältnis von Glaubwürdigkeit und Geschlecht der schreibenden Zunft lässt sich nicht auf andere Settings übertragen, zum Beispiel auf die Wahrnehmung von Fußball-Liveberichterstattung durch Kommentatorinnen. Hier sind noch viele Forschungsfelder offen.

Die Studie "Stereotypes and sexism? Effects of gender, topic, and user comments, die on journalists' credibility" lesen Sie hier im Original.

(lfw)

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