Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio
Klima & UmweltMedizinPsychologieWeltraumGeschichteNaturwissenschaftBildung

DiskurseWie eine neue Art von Klimawandelleugnung die Klimapolitik lähmt

18. März 2024, 09:45 Uhr

Narrative zur Leugnung des Klimawandels sind komplexer geworden, aber nicht verschwunden. Sie zu erkennen, ist so schwieriger denn je. Auch politische Akteure verwenden sie immer wieder.

"It’s all a big fucking bullshit", so fasste Philip Hopf im vergangenen Jahr den menschengemachten Klimawandel zusammen. Es gebe keine Beweise dafür. Phillip Hopf hostet zusammen mit Kiarash Hossainpour den Podcast "Hoss & Hopf".  Die Aussagen fielen in einer Folge mit dem Titel "Klimawandel: Gletscher schmelzen – große Lüge?". Dass es einen sehr großen wissenschaftlichen Konsens zur Existenz des menschengemachten Klimawandels gibt, erwähnen die beiden nicht.  Inzwischen ist die Folge online nicht mehr abrufbar. "Hoss & Hopf" rangiert regelmäßig in den Top10 der deutschen Podcasts und erreicht ein Millionenpublikum – auch mit dem Leugnen des Klimawandels. Weil es aktuell viel Kritik an dem Duo gibt, sprechen sie nun von einer "Medienkampagne".

Desinformation während der Wahlen 2023

Die Verbreitung von Falschinformationen über den Klimawandel ist aber kein Einzelfall: Das European Digital Media Observatory hat Desinformation während Wahlen im Jahr 2023 in Europa ausgewertet. Die Ergebnisse ihrer Analyse zeigen, wie divers und weit verbreitet Anti-Klima-Erzählungen in Europa bereits sind: Bei den Parlamentswahlen in Estland wurde Klimawandel als "linke Verschwörungstheorie" dargestellt. Während des finnischen Wahlkampfs wurde behauptet, Klimapolitik vernichte Arbeitsplätze. In Spanien war behauptet worden, das Land wolle "Landwirtschaft abschaffen", um das Klima zu schützen und es werde "Klima Lockdowns" geben.

Politische Konsequenzen

Dass all diese Klimawandel-Leugnung nicht nur für Chaos im Diskurs sorgt und Menschen verunsichert, sondern auch tatsächlich politische Konsequenzen hat, zeigt ein aktueller Fall aus Thüringen. Mit Stimmen aus der AfD, CDU und FDP wurde dort Ende des vergangenen Jahres der Ausbau von Windenergie massiv erschwert.

Falschbehauptungen: Wer macht das und warum?

Es gibt verschiedene Arten von Motivation hinter Falschbehauptungen, so Carel Mohn, Chefredakteur von Klimafakten. Zum einen seien da sogenannte "Populismus-Unternehmer", die beispielsweise als Blogger über Reichweite Geld oder Einfluss mit Klimawandelleugnung verdienten. Dazu gehören einzelne politische Parteien, die, statt Lösungen voranzutreiben, lieber polarisieren wollen. Dann gebe es Menschen mit grundlegender Skepsis gegenüber manchen Themen. Außerdem gebe es noch eine Gruppe, die gezielt Falschaussagen verbreitet, weil ihre eigenen Interessen von Klimapolitik direkt berührt sind. Dazu gehören zum Beispiel Akteure aus der fossilen Industrie.

Erfurt: Demonstranten einer Bürgerinitiative gegen Windräder halten ein Schild mit der Aufschrift "Schluss mit der Klimahysterie Schluss mit der Abzocke" nach oben Bildrechte: imago images/Karina Hessland

Florian Teller arbeitet für die Fachstelle Radikalisierungsprävention und Engagement im Naturschutz (FARN). Dafür schaut er sich genauer an, wer Falschnachrichten übers Klima verbreitet. Ein wichtiger Akteur sei das Europäische Institut für Klima & Energie (EIKE). Dabei handelt es sich nicht um ein wissenschaftliches Institut, sondern um einen eingetragenen Verein. Personell ist EIKE eng mit Politkern der AfD verbandelt. Auf der Website des Vereins gibt es Artikel über "IPCC-Gaukler" und in seinem Selbstverständnis schreibt der Verein, er "lehne 'Klimapolitik' als einen Vorwand ab, Wirtschaft und Bevölkerung zu bevormunden und das Volk durch Abgaben zu belasten". (Das Portal scheint derzeit – 07.03.2024 – offline zu sein.) Teller hört auch oft Behauptungen, wie "es gibt keine freie Wissenschaft in Deutschland" oder "die Bundesregierung bezahlt Wissenschaftler". AfD-Politiker greifen die Narrative von EIKE gerne auf: Marc Bernhard, der für die AfD im Bundestag sitzt, lud beispielsweise Anfang des Jahres zu einem Bürgerdialog mit dem Thema "Klimahysterie" und "Märchen, Fakten und Alternativen" ein.

Klimawandel leugnen: Nicht neu, aber immer wieder anders

Neu ist die Leugnung des Klimawandels nicht, sie hat sicher aber verändert: Ein Bericht von der Nichtregierungsorganisation Center for Countering Digital Hate differenziert zwischen "alten" und "neuen" Narrativen in der Leugnung von Klimawandel. Alte Narrative sind demnach Aussagen wie "Es gibt den Klimawandel nicht" oder "Von Menschen verursachte Treibhausgase sind nicht für den Klimawandel verantwortlich".

Kaum noch Schnee in den tschechischen Mittelgebirgen im Winter 2023/24 Bildrechte: IMAGO / CTK Photo

In ihrer Untersuchung von mehr als 12.000 Videos auf YouTube kam das Center for Countering Digital Hate zu dem Ergebnis, dass im Jahr 2023 nur noch rund 30 Prozent der Klimawandelleugnung zu der "alten" Art gehörte. Gleichzeitig ist der Anteil der neuen Narrative demnach von 35 Prozent im Jahr 2018 im vergangenen Jahr auf 70 Prozent gestiegen. Die neuen Erzählungen sind komplexer, sie leugnen den Klimawandel nicht mehr als Ganzes. "Mittlerweile spüren in Deutschland schon 85 Prozent der Menschen den Klimawandel, da ist es schwierig geworden, das plumpe Abstreiten aufrechtzuerhalten", sagt Carel Mohn und bezieht sich auf eine Studie des Umweltbundesamts.


Zur neuen Form von Klimawandelleugnung gehören Aussagen wie:

  • Die Folgen des Klimawandels sind harmlos oder nützlich
  • Klimalösungen, wie der Ausbau von Erneuerbaren, werden nicht funktionieren
  • Klimawissenschaft und die Klimabewegung sind unzuverlässig

Wie Lösungsansätze zum Klimaschutz systematisch schlecht gemacht werden

Mohn erklärt: "Die Kernaussage des Argumentationsstrangs rund um Lösungen ist, dass sie nicht funktionieren, nicht greifen, dass sie nicht effizient sind oder dass sie teuer sind und wir und das nicht leisten können". Diese neue Form des Leugnens von Klimawandels verzögert dann wichtige Klimaschutzmaßnahmen. Manchmal wird behauptet, dass es schon "zu spät" sei und wir nichts mehr gegen den Klimawandel tun könnten. In einer Variante taucht dieses Narrativ dann auch als die Aussage "Wir sind machtlos" auf, oftmals in Verbindung mit dem Hinweis, dass die Emissionen in anderen Ländern besonders hoch seien.

"Nicht ich, nicht jetzt, nicht so": Muster von Leugnungs-Szenarien

"Nicht ich, nicht jetzt, nicht so" – das identifiziert Mohn als gleichbleibende Muster von Klimawandelleugnung. Die würden an aktuelle politische Debatten angepasst: in den vergangenen Jahren beispielsweise ans Verbrenner-Aus, das Heizungsgesetz, den Atom- und Kohleausstieg oder ganz aktuell an Subventionen oder Stilllegung von Flächen in der Landwirtschaft.

Tierfutter-Anbau braucht Fläche Bildrechte: IMAGO/Roland Hartig

In dem Zusammenhang mit dem Stilllegen von Flächen wird beispielsweise immer wieder behauptet, das gefährde die Ernährungssicherheit. Auf den ersten Blick wirkt das Argument plausibel – weniger Fläche, weniger Nahrungsmittel. Es lässt aber den Kontext außer Acht: Auf einem großen Teil von landwirtschaftlicher Fläche wird gar keine Nahrung an sich produziert, sondern Futtermittel für die Tierindustrie.

Die Deindustriealisierung Deutschlands: Ein neues Narrativ der Klimawandel-Leugnung

Neue Narrative sind schwieriger zu durchschauen. Ein Beispiel: In Deutschland wird aktuell auch in großen Medien darüber diskutiert, ob das Verbrenner-Aus zur Deindustrialisierung Deutschlands führe. Im US-amerikanischen Bundesstaat Wyoming hatten Republikaner im vergangenen Jahr sogar eine Resolution eingebracht, um E-Autos zu verbieten – unter anderem wegen Umweltbedenken. Erst bei genauerem Hinsehen wird da klar – dieser Diskurs passt genau in die Kategorie "Klimalösungen delegitimieren" und führt dazu, dass Lösungen verzögert werden.

Und was ist mit dem angeblichen "Morgenthauplan"?

Hinter der Erzählung von Deindustrialisierung steckt oft noch mehr, meint Florian Teller von FARN. Nämlich die Verschwörungserzählung vom "Morgenthauplan", demzufolge Deutschland durch Klimapolitik eigentlich in einen Agrarstaat umgewandelt werden soll. Diese Erzählung tauche in verschiedenen Abwandlungen immer wieder auf.

Wissenschaftsleugnung mit rhetorischen Tricks

Weil viele Argumente so glaubhaft wirken, hat Klimafakten Strategien erarbeitet, um grundsätzlich Wissenschaftsleugnung zu erkennen. Das wird dann "Debunken" genannt. Wissenschaftsleugnung basiert auf rhetorischen Tricks, um sie glaubwürdig zu machen: Demnach werden häufig Pseudo-Experten zitiert, also Menschen, die gar keine echte Expertise in einem Themengebiet haben. Häufig enthalten Argumentationen Logikfehler. Sehr beliebt ist das sogenannte "Rosinen picken". Dabei werden einzelne Fakten aus dem Kontext gerissen, so dass sie ins Argumentationsmuster passen. Beliebt sind außerdem auch Verschwörungsmythen, die geheime Vernetzung oder Finanzierung im großen Rahmen unterstellen.

Für Carel Mohn jedoch ist "Debunking" nicht die beste Lösung – denn die Falschinformation ist dann schon in der Welt. Besser sei "Prebunking", also Menschen im Vorfeld mit der Materie und der Möglichkeit von Falschaussagen bekannt zu machen.

Links/Studien

Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 15. März 2024 | 10:15 Uhr

Kommentare

Laden ...
Alles anzeigen
Alles anzeigen

Nachrichten

Mehr zum Thema