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Wendelstein 7-X, die weltweit größte Fusionsanlage vom Typ Stellarator, steht in Greifswald. Irgendwann soll die Kernfusion uns billigen Strom liefern. Doch noch verbraucht die Anlage jedes Jahr 18 bis 20 Gigawattstunden Energie. Bildrechte: IPP, Jan Michael Hosan

Klima- und EnergiekriseEnergiesparen und Nachhaltigkeit: Fasst sich die Forschung auch an der eigenen Nase?

02. Dezember 2022, 12:32 Uhr

Die Wissenschaft ist die Gallionsfigur im Kampf gegen die Klimakrise. Gerade jetzt zeigt sich aber, wie energiehungrig Forschung sein kann. Doch auch für die Forschungslandschaft führt kein Weg an der Klimaneutralität vorbei. Eine Bestandsaufnahme.

  • Großforschungsprojekte verschlingen viel Energie, abschalten ist aber eher eine Notlösung
  • Bildungseinrichtungen sind auf dem Weg, klimaneutral und nachhaltiger zu werden
  • das gilt auch für die großen deutschen Forschungsinstitute


Und, welche Großverbraucher haben Sie schon in den eigenen vier Wänden abgestöpselt, um den horrenden Strompreisen etwas entgegenzusetzen – und einen Beitrag zur Energiesicherheit zu leisten? Radiator im Gästeklo? Leucht-Schneemann auf dem Dach? Oder einfach nur den Wäschetrockner? Alles Peanuts – seien Sie froh, dass Sie keinen Teilchenbeschleuniger im Hobbyraum stehen haben. Der größte seiner Art – der LHC am CERN bei Genf, wo seit 2008 Protonen auf Kollisionskurs gehen – schafft es auf 750 Gigawattstunden im Jahr.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes kam ein deutscher Drei-und-mehr-Personenhaushalt in Deutschland 2019 auf nicht mal 0,005 Gigawattstunden. Es können also gut 152.000 größere Haushalte mit Strom versorgt werden (gut ein Fünftel der Mehrpersonenhaushalte in Thüringen oder Sachsen-Anhalt) – oder diese Wahnsinnsmaschine (und noch ein paar kleinere irre Maschinen) im Kanton Genf. Das CERN macht keinen Hehl aus seinem Stromzählerbeschleuniger und kommuniziert die Zahlen öffentlich: 1,3 Terrawattstunden, so der Gesamtstromverbraucht am CERN pro Jahr. Das ist, mit Verlaub, fast die Hälfte des Stromverbrauchs im ganzen Kanton, mitsamt des Weltstädtchens Genf. Ein Teil des Geländes liegt auf französischem Staatsgebiet, wo jährlich 500 Terrawattstunden Strom produziert werden. Das CERN ist da schon mal ein guter Abnehmer, in einem Land, das zuletzt durch eine marode Kernkraftwerksinfrastruktur geglänzt hat und sich in diesem Winter auf Engpässe vorbereiten muss.

Teilchenbeschleuniger: Abschaltung in Spitzenzeiten

Die können auch das CERN betreffen. So wird eine Abschaltung in den Spitzenzeiten am Morgen und Abend erwogen. Oder das Protonenkarussell am Genfer See muss zeitweise ganz heruntergefahren werden. Für so einen Fall hat man sich bereits einen Tag Vorlauf erbeten, damit der LHC keinen Schaden nimmt. Das sei jedoch sowieso nur die letzte Maßnahme, von einer Abschaltung sollen zuerst die sieben kleineren Beschleuniger am Standort betroffen sein. Ein Viertel des Stromverbrauchs ließe sich so schon einsparen.

Diesen (Ausschnitt!) des LHC-Teilchenbeschleunigers muss man nicht verstehen. Er soll zeigen: Das Ding ist verdammt groß und verbraucht verdammt viel Strom. Bildrechte: imago/Everett Collection

Am Karlsruher Institut für Technologie beschäftigt sich inzwischen sogar ein eigenes Forschungsprojekt damit, wie eigentlich so gar nicht auf Energieeffizienz getrimmte Teilchenbeschleuniger sparsamer eingesetzt werden können. Erste Ansätze gehen in Richtung Optimierung der energiehungrigen Kältetechnik und temporärer Abschaltung einzelner Prozesse.

Kernfusion: Noch verschlingt sie Energie

Auch an der deutschen Ostsee steht ein Großverbraucher: Die erst diesen Herbst in den Regelbetrieb überführte Experimentieranlage Wendelstein 7-X in Greifswald ist Teil der zweiten großen Hoffnung in Energiedingen – neben den Erneuerbaren – und soll die Stromerzeugung mittels Kernfusion erforschen. Das Hoch- bzw. Runterfahren der Anlage braucht allein drei Monate. Sie soll demnach auch in Zeiten mit Versorgungsengpässen weiterbetrieben werden, allerdings mit Arbeitszeiten in den Tagesrandzeiten. Mit 18 bis 20 Gigawattstunden jeweils in den Jahren 2023 und 2024 ist der Strombedarf ohnehin noch beschaulich im Vergleich zum LHC-Teilchenbeschleuniger.

Das Wendelstein 7-X-Fusionsexperiment (hier von 2019) verbraucht ordentlich viel Strom – und wird nie Strom liefern. Leistet aber wichtige Vorarbeit für weitestgehend saubere Energie. Bildrechte: imago/arguseye

Dass zukunftsweisende Großforschung einen hohen Energiebedarf hat – nun ja, das ist nun mal so. Aber wie sieht es bei denen aus, die in ihrer Arbeit mit den Konsequenzen unseres Energiehungers und den Folgen fürs Klima Tag für Tag konfrontiert sind – und die demnach auch irgendwie mit guten Beispiel vorangehen müssten? Die Rede ist von Bildungs- und Forschungseinrichtungen, so ganz allgemein.

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Ein Check der zehn staatlichen Universitäten in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, zeigt, dass sich tatsächlich alle Institutionen auch abseits der Forschung irgendwie mit dem Thema Nachhaltigkeit, Umwelt- und Klimaschutz auseinandersetzen. So gab die Bauhaus-Uni Weimar (die sich in ihrem Portfolio zum Beispiel mit Themen wie nachhaltigem Städtebau beschäftigt) Ende November bekannt, man müsse auf Anordnung des Freistaats Thüringen nun ordentlich Strom sparen – 15 bis 20 Prozent des bisherigen Energieverbrauchs. Das ist für so in Schwung gekommene Institutionstanker wie Universitäten sicher kein Leichtes, betrifft aber derzeit Unternehmen genau wie Bildungseinrichtungen oder Behörden und ist damit keine herausstellungswürdige Eigenschaft. Auf Initiative von Studierenden hat sich in Weimar aber auch die Klima AG als Arbeitsgruppe des Senats gegründet. Die setzt sich für eine klimaneutrale Universität und Klima-Bildung an der Hochschule ein.

Nachhaltigkeitsbüro & Co. an mitteldeutschen Unis

Nachhaltigkeit abseits von Forschungsarbeiten und kühler Büroluft im anstehenden Winter beschäftigt auch die TU Dresden, die bereits seit 2003 ein hochschulinternes Umweltmanagementsystem betreibt, das sich auf das ganze Rondell bekannter Umweltaspekte auswirkt: Abfallvermeidung, Umweltaspekte bei Einkauf und Beschaffung, Energie, Campusgestaltung.

Auch die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg möchte den Weg in eine nachhaltige Bildungslandschaft finden und hat sich dafür im November 2020 ein eigenes Nachhaltigkeitsbüro draufgeschafft. Das zeigt sich in seiner Arbeit durchaus detailverliebt und fördert bei Studierenden und Mitarbeitenden zum Beispiel eine eigene Nachhaltigkeitsrubrik auf der Campus-Karte, zur Unterstützung eines nachhaltiges Uni-Lebens. In der Praxis heißt das: Wo bekomme ich veganes oder vegetarisches Mittagessen in Campusnähe und wo kann ich ein Elektroauto aufladen? (Okay, die Nutzungsfreundlichkeit ist noch ausbaufähig.)

2014 sah es am Campus Augustusplatz der Uni Leipzig noch besonders kahl aus. Das Gelände war zu dem Zeitpunkt noch neu – ein paar Jahre später wäre die Betonlandschaft wahrscheinlich nicht durchzusetzen gewesen. Bildrechte: imago/Harald Lange

Gezielte Förderung für Nachhaltigkeitstransformation

Das Thema ist nicht nur an den Unis, sondern auch an den staatlichen Fachhochschulen angekommen. An der größten in Mitteldeutschland, der HTWK in Leipzig, hat sich 2021 die Senatskommission "Umweltschutz und Nachhaltigkeit" gebildet. Und die Hochschule Magdeburg-Stendal hat eine ganze Palette von Ideen, mit denen sie klimaneutral werden möchte und von denen Ende vergangenen Jahres auch schon einige umgesetzt waren – Lastenanhänger und Ökostrom zum Beispiel.

An und für sich ist der Tenor an den Hochschulen doch recht ähnlich. Das liegt mitunter auch daran, dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung Mitte vergangenen Jahres Zuwendungen für Hochschulen in Aussicht gestellt hat, mit denen gezielt Projekte gefördert werden, die den Institutionen einen Nachhaltigkeitsschub verleihen. "Dies umfasst Nachhaltigkeit im ökologischen, sozialen und ökonomischen Sinne", so das BMBF in der entsprechenden Bekanntmachung. "Ein Beitrag zur Bewältigung ökologischer Nachhaltigkeitsherausforderungen, wie beispielsweise die Schonung natürlicher Ressourcen, der Schutz der Biodiversität oder ein Beitrag zur Bewältigung des Klimawandels, wird grundsätzlich erwartet."

Chemnitz: Wenn die Straße neben der Mensa eine Fahrradstraße ist, geht das schon in Richtung grüne Bildungslandschaft. Bildrechte: imago/HärtelPRESS

Deutsche Forschungsinstitute ziehen an einem Strang

Und das gehört, das kennen wir aus der Privatwirtschaft, mittlerweile zum guten Ton. Auch in der außeruniversitären Forschung. So gibt es das Max-Planck-Nachhaltigkeitsnetzwerk und das Netzwerk Helmholtz Klimaneutral – die im vergangenen Jahr in geballter Zweisamkeit eine Erklärung der Allianz der Wissenschaftsorganisationen begrüßten, bis 2035 in ihren Arbeitsweisen und Forschungsprozessen Klimaneutralität zu erreichen. Bedenkt man die Vorreiterrolle der Wissenschaft, dürfte es aber ruhig ein Stück schneller gehen.

Zu besagter Allianz zählen auch die anderen großen Player, wie Leibniz, Fraunhofer und die Leopoldina. Es ist also davon auszugehen, dass die Institute jetzt an einem Strang ziehen und Maßnahmen entwickeln, wie das große gemeinsame Ziel Klimaneutralität umgesetzt werden soll. So tritt die Allianz auch jetzt, ein Jahr später, geschlossen auf, wenn es ums Energiesparen geht: Die Mitglieder hätten "bereits Maßnahmen ergriffen, um an ihren Einrichtungen Energie in erheblichem Umfang einzusparen und so ihren Beitrag zur gemeinsamen Bewältigung der Energiekrise zu leisten." Sie macht aber auch klar: Das dürfe nicht zur Schwächung der Wissenschaftslandschaft führen. "Gravierend wären die Auswirkungen etwa für Biodatenbanken und -archive und laufende, groß angelegte Versuchsreihen und Studien in der Medizin und den natur- sowie ingenieurwissenschaftlichen Fächern sowie für komplexe Forschungsinfrastrukturen."

Die Wäschetrockner unter den Forschungseinrichtungen – CERN, Wendelstein und Co. – sind da wahrscheinlich die Extreme in einer Extremsituation. (Wobei das Fusionsexperiment an der Ostsee dann auch bis spätestens 2035 mit Ökostrom laufen müsste.) Und die wissenschaftliche Breite? Ihre grünen Bestrebungen sind meist zu jung, um die Wirksamkeit zu beurteilen. Sie macht eben das, was die meisten in diesen Tagen und Jahren tun: Irgendwie ihren Beitrag leisten, in der Hoffnung, dass der groß genug ist.

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