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Martina Engelhard-Oxe von der Suchtberatungsstelle Haldensleben erklärt, warum ein Großteil der Schülerinnen und Schüler die Legalisierung ablehnen würden.

MDR SACHSEN-ANHALT Mi 20.03.2024 10:00Uhr 00:57 min

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Interview Suchtprävention nach Cannabis-Legalisierung: "Wir brauchen keine Plakate, sondern mehr Personal!"

20. März 2024, 18:15 Uhr

Martina Engelhard-Oxe von der Suchtberatungsstelle Haldensleben befürwortet die Legalisierung von Cannabis grundsätzlich. Doch sie übt auch Kritik an einigen geplanten Regelungen. Im Interview mit MDR SACHSEN-ANHALT spricht die Fachkraft für Suchtprävention über Forderungen an die Bundespolitik und erklärt, warum viele Schülerinnen und Schüler die Legalisierung ablehnen.

  • Martina Engelhard-Oxe arbeitet als Fachkraft für Suchtprävention in der Drogen- und Suchtberatungsstelle Haldensleben. Die geplanten Regelungen der Cannabis-Legalisierung würden Probleme mit sich bringen, sagt sie.
  • Allerdings hofft sie, dass die Cannabis-Debatte auch zu einer Diskussion über stärkeren Jugendschutz in puncto Alkohol und Nikotin führt.
  • Mit der Legalisierung von Cannabis müsse eine personelle Aufstockung der Suchtberatungsstellen einhergehen, fordert Engelhard-Oxe.

MDR SACHSEN-ANHALT: Frau Engelhard-Oxe, wie stehen Sie der geplanten Teillegalisierung von Cannabis gegenüber?

Engelhard-Oxe: Spannende Frage. Ich bin da sehr ambivalent eingestellt. Es gibt sicherlich gewisse Vorteile: ein Stück weit eine Entkriminalisierung, ein gedeckelter THC-Gehalt, sauberes Cannabis. Ich sehe allerdings auch die Probleme. Die Menge, die man besitzen darf, ist zu hoch angesetzt. Die Altersgrenze von 18 Jahren ist aus meiner Sicht zu niedrig. Das Gehirn ist aber erst mit Anfang 20 vollständig entwickelt.

Suchtberaterin: Legalisierung von Cannabis hat "gewisse Vorteile"

Außerdem glaube ich, dass Menschen unterschätzen könnten, was der Konsum mit ihnen im Straßenverkehr macht. Es gibt noch keine sicheren Grenzwerte. Und ich habe die Befürchtung, dass Cannabis bagatellisiert werden könnte, wenn es legal wird. Es bleibt allerdings eine Substanz, die gefährlich sein kann. Das muss jedem bewusst sein.

Martina Engelhard-Oxe von der Suchtberatungsstelle Haldensleben
Suchtberaterin Martina Engelhard-Oxe Bildrechte: MDR/Daniel George

Schon jetzt ist es schwer, alles umzusetzen. Es braucht in jedem Fall eine stärkere finanzielle Unterstützung für die Präventionsstellen, damit wir mehr Personal einstellen können. Sonst wird es ganz schwierig.

Martina Engelhard-Oxe Drogen- und Suchtberatungsstelle Haldensleben

Welche Änderungen an dem Gesetz bedarf es denn aus Ihrer Sicht?

Bisher gab es im Betäubungsmittelgesetz die geringe Menge von sechs Gramm, bei der die Staatsanwaltschaft entscheiden konnte, das Verfahren einzustellen und nicht weiter zu verfolgen. Das könnte ich mir vorstellen, eventuell zehn Gramm. Und bei der Altersgrenze wären 21 Jahre sicherlich sinnvoll. Natürlich kommt dann oft das Argument, dass es Alkohol auch ab 18 Jahren und jünger gibt. Aber das macht es ja nicht besser. Auch darüber müsste man vielleicht mal drüber nachdenken, bei Alkohol und Nikotin die Altersgrenze höherzusetzen.

Inwiefern könnte das aus Ihrer Sicht also eine positive Folge der Debatte sein, dass auch über den Umgang mit Alkohol und Nikotin diskutiert wird?

Das ist auf jeden Fall etwas Positives. Ich hoffe, dass der Jugendschutz verstärkt wird. Es gibt das Jugendschutzgesetz seit mehr als 60 Jahren. Aber oft wird es nicht für wichtig erachtet oder nicht richtig umgesetzt. Da habe ich schon die Hoffnung, dass es durch die Teillegalisierung von Cannabis einen personell stärkeren Unterbau gibt, um das Jugendschutzgesetz besser durchzusetzen, vor allem, um mehr Kontrollen durchzuführen. Aktuell wird zu wenig kontrolliert. Das ist ein Problem.

Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit, steht zu Beginn der Pressekonferenz zum Cannabis-Gesetz neben einer Werbeanzeige seines Ministeriums zum Cannabis-Konsum.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) neben einem digitalen Aufklärungs-Plakat zur Cannabis-Kampagne der Bundesregierung. Bildrechte: picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

Wie hoch ist die Suchtgefahr bei Cannabis?

Pauschal lässt sich das schlecht beantworten. Es hat natürlich nicht so ein hohes Suchtpotenzial wie Heroin oder Crystal Meth. Aber es kommt immer darauf an, wer konsumiert. Ein 40-Jähriger, der stabil in seinem Umfeld ist und gelegentlich mit Freunden kiffen würde, ist das eine. Das ist eine andere Geschichte als ein 14-Jähriger, der Probleme im Elternhaus oder in der Schule hat und dann konsumiert. Da ist das Suchtpotenzial wesentlich höher.

Viele Menschen glauben, Cannabis macht nicht süchtig. Stimmt das?

Nein, auf keinen Fall. Es macht psychisch süchtig und inzwischen weiß man auch, dass es eine leichte körperliche Abhängigkeit verursacht.

Wie können sich Betroffene von der Cannabis-Sucht lösen?

Zum einen muss man sich bewusst machen, dass man ein Problem hat. Dann muss man motiviert sein, sich auch Hilfe zu holen. Die Leute müssen anrufen und sagen, dass sie einen Termin haben wollen. Manchmal ist der Druck von außen da, vom Arbeitgeber oder Familienmitglied, aber letztendlich muss die Motivation von dem Betroffenen selbst kommen. Dann geht es in die Beratung und in die Therapie.

Kontakt zur Drogen- und Suchtberatungsstelle

Die Drogen- und Suchtberatungsstelle Haldensleben ist per E-Mail, Telefon und über ein anonymes Kontaktformular im Internet zu erreichen. Kontakt zu sämtlichen Drogen- und Suchtberatungsstellen in Sachsen-Anhalt finden Betroffene, Angehörige oder an Präventionsarbeit interessiere Personen mit dem Suchthilfewegweiser. Zusätzlich gibt es das Angebot der digitalen Suchtberatung.


Ein Argument gegen die Teillegalisierung von Cannabis ist die Befürchtung, dass auch immer mehr Jugendliche zu der Droge greifen, sobald sie freigegeben ist. Wie schätzen Sie diese Gefahr ein?

Das ist ein Blick in die Glaskugel, wir wissen es nicht. Manchmal sagen Jugendliche in den Präventionsveranstaltungen: 'Bald ist es legal, dann können wir kiffen.' Da muss ich dann immer verneinen. Ich kann mir aber vorstellen, dass die Jugendlichen schneller an Cannabis kommen. Es wird schneller greifbar sein. Vielleicht liegt es sogar zuhause rum. Die Eltern schließen auch Alkohol und Zigaretten nicht in den Safe ein, genau so wenig werden sie Cannabis einschließen.

Aufgrund der hohen Mengen weiß ich außerdem nicht, ob der Schwarzmarkt wirklich ausgedünnt wird oder ob manche Menschen, die volljährig sind, das vielleicht an Minderjährige verkaufen. Das könnte sein. Es könnte aber auch sein, dass dieser Reiz wegfällt, weil es nicht mehr illegal ist. Aber wir haben schon die Befürchtung, dass der Konsum erst einmal zunehmen wird.

MDRfragt – das Meinungsbarometer für Mitteldeutschland – hat in einer nicht-repräsentativen Umfrage herausgefunden, dass viele Teilnehmende davon ausgehen, dass Minderjährige im Zuge der Teillegalisierung von Cannabis mehr konsumieren werden.

Minderjährige konsumieren mehr nach Cannabis-Freigabe
Eine Mehrheit der Teilnehmenden von MDRfragt glaubt, dass durch eine Cannabis-Legalisierung auch Minderjährige mehr konsumieren würden – obwohl es für sie weiterhin illegal bleibt. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Wie würde sich das auf die Präventionsarbeit auswirken?

Schon jetzt ist es schwer, alles umzusetzen. Es braucht in jedem Fall eine stärkere finanzielle Unterstützung für die Präventionsstellen, damit wir mehr Personal einstellen können. Sonst wird es ganz schwierig. Wir haben ja noch andere Baustellen. Wir brauchen keine Plakate aufhängen, auf denen so etwas steht wie: 'Cannabis ist kein Brokkoli.' Und wir brauchen auch keine Flyer auslegen in den Schulen, die dann sowieso liegen bleiben. Wir brauchen mehr Personal. 

Worauf liegt der Fokus Ihrer Präventionsarbeit bezüglich Cannabis?

Wir holen die Jugendlichen dort ab, wo sie stehen. Also es geht darum, mit Mythen aufzuklären. Oft wird behauptet, dass Cannabis deshalb ungefährlich sei, weil es eine Pflanze ist. Solche Sprüche kommen zum Teil. Oder auch: 'Fast alle Jugendlichen kiffen. Deshalb ist das doch normal.' Auch das stimmt nicht. Es ist nur ein Bruchteil der Jugendlichen, die kiffen. Wer nicht kifft, gehört zur Mehrheit, nicht zur Minderheit.

Was sagen denn die Jugendlichen zur geplanten Teillegalisierung?

Das ist ganz spannend. Ich habe bei den letzten Veranstaltungen immer gesagt: 'Wir spielen jetzt mal Bundesrat. Ihr dürft eure Stimmen abgeben.' Und tatsächlich wurde es von Seiten der Schülerinnen und Schüler nicht durchgehen. Der Großteil in den Klassen hat gesagt, dass sie dagegen sind.

Mit welchen Begründungen?

Dass es nicht auch noch sein muss. Dass es gefährlich ist. Diejenigen, die dafür sind, hatten aber auch ihre Argumente, zum Beispiel, dass der Schwarzmarkt ausgetrocknet wird.

Die Fragen stellte Daniel George.

Gäste in einem Fernsehstudio. 59 min
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Fakt ist! Mo 18.03.2024 22:10Uhr 59:18 min

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MDR (Daniel George)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 21. März 2024 | 19:00 Uhr

5 Kommentare

Maria A. vor 5 Wochen

Ach ja, es gibt noch keinen. Seltsam, bei diesem brisanten Thema. Es popularisiert tatsächlich, im Umfeld wird viel diskutiert. Und die Meinungen gehen nicht konform mit dem, was aus den Reihen der Befürworter tönt. Aus berufenem Mund, von Suchtberatern und -betreuern gab es auch skeptische bis kritische Anmerkungen. Aber hier ist es wie mittlerweile überall - was von oben kommt, ist abzunicken.

Volker S. vor 5 Wochen

Gern möchte ich hier Olaf Sendel, Vorsitzender des Landesverbandes der Deutschen Polizeigewerkschaft in Sachsen-Anhalt, welcher sich mit diesen Worten dazu äußerte, zitieren: "Ich bin über das unverantwortliche, unsoziale Handeln und die Inkompetenz der politisch Verantwortlichen völlig sprachlos". Denn er hat als Drogenermittler mehrere Jahre gearbeitet und hat lange genug die Wirkung und die Folgen des Konsums für Konsumenten, den Familien der Konsumenten und die Gesellschaft gesehen.

Maria A. vor 5 Wochen

Tja, was man an der Basis meint, das ist den Theoretikern egal. Bei "Fakt ist" kam es, zwar verhalten, aber doch mal offen, zur Sprache, was Menschen mit Suchtbetreuungserfahrung kommen sehen. Oder die mit Lebenserfahrung. Die befürchten allesamt noch mehr Abhängige. Und sehen auch die Menge als zu hoch an. Praxisbezug gilt nichts mehr. Die SPD- Politikerin legte davon beredt Zeugnis ab.

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