"Aufgabe hervorragend gelöst" Untersuchungsausschuss: Alt-Ministerpräsident Bernhard Vogel verteidigt Treuhand im Landtag

09. Mai 2023, 18:38 Uhr

Alt-Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU) sagte im Treuhand-Untersuchungsausschuss im Thüringer Landtag, die Behörde habe erfolgreich gearbeitet. Widerspruch kommt von der ehemaligen DDR-Wirtschaftsministerin Christa Luft. Anfang der 1990er-Jahre sollte die Treuhand rund 8.000 Volkseigene Betriebe in Ostdeutschland privatisieren. Der Untersuchungsausschuss im Thüringer Landtag soll klären, ob bei der Bewertung der Betriebe von der Treuhand Fehler gemacht wurden.

Porträt-Collage Online-Redakteur Lukas Schliepkorte
Bildrechte: MDR/Daniela Dufft

Thüringens Alt-Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU) hat die Treuhandanstalt verteidigt. Die Behörde habe ihre Aufgabe "hervorragend gelöst", sagte der 90-Jährige vor dem Treuhand-Untersuchungsausschuss im Thüringer Landtag am Dienstag. Davon sei er bis heute überzeugt. Er verteidige die Treuhand entschlossen, aber nicht alles, was die Behörde gemacht habe.

Zentrale Aufgabe der Anstalt sei gelungen

Vogel saß von 1992-1994 in seiner Funktion als Ministerpräsident im Verwaltungsrat der Treuhandanstalt. Ihm zufolge gab es bei der Treuhand auch "schwarze Schafe und Versager", die ihrer Sache nicht gewachsen waren. Auch, weil Entscheidungen so schnell wie möglich hätten getroffen werden müssen.

Die zentrale Aufgabe, die Deindustrialisierung Ostdeutschlands zu verhindern, sei der Behörde gelungen, sagte Vogel. Unter anderem seien in Jena Teile des Zeiss-Kombinates gerettet worden und Jenoptik entstanden.

Die Treuhand hat ihre schwierige Aufgabe alles in allem hervorragend gelöst. Das ist bis heute meine Überzeugung.

Bernhard Vogel Ehemaliger Ministerpräsident Thüringens

Viele Proteste gegen die Schließung von Betrieben seien zu der Zeit selbstverständlich gewesen, so Vogel. Die Menschen hätten ihre Arbeitsplätze aber nicht wegen der Treuhand verloren. Entscheidend sei die wirtschaftliche Lage der Betriebe zum Ende der DDR. Die Mehrzahl der Volkseigenen Betriebe (VEB) sei nicht international wettbewerbsfähig gewesen, deren Produkte selbst in Ostdeutschland nicht mehr gekauft wurden. Die Treuhand habe die Verhältnisse ändern wollen. Alles in allem sei ihr das auch gelungen.

Vogel erklärt Schließung des Kali-Werks Bischofferode

Zur umstrittenen Schließung des Kali-Werks in Bischofferode 1993 sagte Vogel, Kali-Salz aus dem Ausland sei zu dieser Zeit billiger gewesen als es in Ost- oder Westdeutschland habe produziert werden können. Trotz seines eigenen vehementen Einsatzes für Bischofferode hätten alle anderen Vertreter im Treuhand-Verwaltungsrat sich für eine Kali-Fusion aller deutschen Betriebe und die Schließung des Werks ausgesprochen. Weitere Kaliwerke seien geschlossen worden, auch in Westdeutschland.

DDR-Wirtschaftsministerin: Privatisierungsorgie der Treuhand

Die Wirtschaftsministerin der letzten DDR-Regierung vor der Wende unter Hans Modrow, Christa Luft, äußerte sich erheblich kritischer. Die 85-jährige ehemalige SED-Genossin sprach im Ausschuss von einer "Privatisierungsorgie" der Treuhand. Sie sei als Wirtschaftsprofessorin selbst Ende der 1980er-Jahre beauftragt gewesen, ein Reformkonzept für die DDR zu erarbeiten. "Radikale Privatisierung" sei darin nicht vorgesehen gewesen.

Luft sagte, erst die Regierung unter Lothar de Maizière habe unter Anordnung der westdeutschen Bundesregierung diesen Kurs verfolgt. Bestärkt habe diese die Volkskammer-Wahl im März 1990, bei der die DDR-Bevölkerung auch den von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) angestoßenen Kurs der sofortigen Währungsunion selbst gewählt habe.

Christa Luft, ehemalige Ministerin im Kabinett von Hans Modrow, spricht auf der Trauerfeier für den ehemaligen DDR-Ministerpräsidenten Hans Modrow im Münzenberg-Saal am Franz-Mehring-Platz.
1988 wurde Christa Luft Rektorin der Hochschule für Ökonomie in Berlin. Sie sprach sich für mehr wissenschaftliche Beteiligung an politischen Entscheidungen in der DDR aus. Bildrechte: picture alliance/dpa | Jens Kalaene

Christa Luft: Rohwedder wollte mehr Zeit

Trotz mahnender Stimmen, die Privatisierung der Volkseigenen Betriebe (VEB) nicht zu überhasten, sei eine schnelle Abwicklung sogar durch Boni honoriert worden, sagte Luft. Selbst Treuhand-Chef Detlev Rohwedder habe von mehreren Jahren gesprochen, die nötig seien, um größere VEB für den freien Markt vorzubereiten. Solche Mahnungen seien auf taube Ohren gestoßen. Es seien "kriminelle Dinge gelaufen".

Die Nachfolgerin Rohwedders, Birgit Breuel (CDU) habe eine "Haftungsfreigabe" erhalten, selbst für "grobe Fehler". Grundlegend sei der ökonomische Zustand der DDR Ende 1989 im sogenannten Schürer-Papier unterbewertet worden. Das habe falsche Entscheidungen angestoßen, die Millionen Arbeitslose und keine kleinteilige Wirtschaft ohne große Betriebe in der ehemaligen DDR zur Folge hatten, sagte die 85-Jährige.

CDU hinterfragt Ausschuss-Vorladung für 90-jährigen Vogel

Die CDU-Fraktion im Thüringer Landtag äußerte sich kritisch über die Vorladung Bernhard Vogels. Pressesprecher Felix Voigt sagte, die Reden des Alt-Ministerpräsidenten seien gut dokumentiert. Ob es für die Arbeit des Ausschusses wirklich notwendig war, dem 90-jährigen Vogel die "anstrengende Anreise nach Thüringen aufzubürden", sei "mehr als fragwürdig".  

Das sagen unsere User:

Von "Untreuhand" schrieb Lyn: "Betriebe wurden für die symbolische DM verscherbelt. Der neue Eigentümer übernahm die Kundenlisten und machte so peu a peu den Leuten klar, sie könnten nicht arbeiten, dann wurde geschlossen", was Peter Pan ergänzte mit "der neue Besitzer macht den Betrieb dicht, holte den Maschinenpark raus und sanierte seinen maroden Betrieb im Altbundesgebiet, so ist das alles 1000 fach gelaufen" und kritisierte, dass sich Vogel dafür heute noch auf die Schulter klopfe. Aus Sicht von Tpass hätten dagegen Vogel oder Kurt Biedenkopf in Sachsen mit ihren Kontakten zu wichtigen Entscheidungsträgern Investoren gewinnen können.

Der Kritik von Jackblack "Herr Vogel verteidigt die Wessis (Ausbeuter und Piraten)" entgegnete Der Matthias ironisch, dass "wir Ossis" damit natürlich überhaupt nichts zu tun gehabt hätten – nicht mal mehr die eigenen Ostprodukte gekauft und damit den wirtschaftlichen Niedergang von Traditionsbetrieben forciert hätten. Auch Sascha Ulmen schrieb: "Machen wir uns nichts vor: Die wenigsten Leute in den neuen Bundesländern haben nach der Wiedervereinigung DDR-Produkte kaufen wollen", worin Knarf "eine bestimmte Neugier auf bis dahin unbekannte Produkte" vermutete. Inzwischen wisse die Mehrheit, dass Erdbeeren zu Weihnachten nicht so gut schmeckten wie in der Saison. Heiko Schultz schrieb auf Facebook: "Es ging nie um Produkte , es ging um Grundstücke, wo bekam man sonst 5-10.000 m2 für symbolisch 1 Mark."

Eine gemischte Treuhand-Bilanz zogen Matthi mit "nicht alles falsch gemacht, aber manchem Glücksritter aus dem Westen auf dem Leim gegangen, Milliarden Werte verplempert und so mancher Westfirma die ostdeutsche Konkurrenz vom Hals geschafft" und Tschingis1 mit "sicherlich auch vieles richtig gemacht, doch auch viele Firmen plattgemacht", die mit mehr Geduld erhaltbar gewesen wären.

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MDR (ls)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 09. Mai 2023 | 19:00 Uhr

50 Kommentare

knarf vor 51 Wochen

Tpass:Nicht nur die Treuhand machte Fehler große Teile der
Bevölkerung auch aus der irren Annahme jetz kommen die gebratenen Tauben ins Schlaraffenland.Die Ernüchterung kam mit der Arbeitslosigkeit!

martin vor 52 Wochen

Gibt es jemand, der Betrug leugnet? Ich kenne jedenfalls niemanden ....
Allerdings sind meiner Meinung nach viele Argumente - freundlich formuliert - etwas kurz gegriffen.

Um Ihr Beispiel aufzunehmen: Wissen wir, ob Hochtief oder einer der anderen "Großen" das Kombinat als Ganzes gekauft hätte? Falls ja, zu welchem Preis? Und was wäre dann daraus geworden? Für die "Zerlegung" der großen Kombinate sprechen grundsätzlich zwei Gedanken: Zum einen ist der potenzielle Bieterkreis für kleinere Einheiten größer und zum anderen besteht für kleinere Einheiten eine größere Chance, dass sie in "ostdeutscher Hand" bleiben. Und sei es nur, weil die für die finanzstärkeren westdeutschen Unternehmen nicht so attraktiv sind.

Ich finde, dass derartige Erwägungen in der Beurteilung des damaligen Vorgehens nicht völlig unter den Teppich gekehrt gehören. Und die fehlenden Kenntnisse über die Motivation der Handelnden (und damit meine ich nicht nur Rohwedder, Breul & Co) machen die Bewertung schwierig.

Harka2 vor 52 Wochen

@martin
Jeder im Osten weis nur zu genau, wie da betrogen wurde. Beispiel: Das Staßen und Tiefbaukombinat Erfurt wurde erst in Einzelbetriebe zerschlagen, weil ja große Betriebe unverkäuflich seien. Diese nun unrentablen Kleinunternehmen, die sich nicht mehr wie früher gegenseitig helfen konnten, wurden alle von Hochtief für symbolische Preise aufgekauft. Es folgten Fördergelder, die aber alle nur den westdeutschen Filialen zu Gute kamen und nach fünf Jahren, dem Ablauf der Bindefrist der Fördergelder, gingen alle Einzelstandorte überraschend Pleite. Oder: Greußener Wurst - der Verkaufsschlager in der DDR, war laut Treuhand unverkäuflich. Die Presse bekam davon Wind und berichtete eine Woche vor der Schließung durch die Treuhand täglich. Plötzlich gab es ein Bietergefecht und den Laden gibt es heute noch (wenn auch mit nicht mehr ganz so hochwertiger Wurst).

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