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Das Altpapier am 17. Oktober 2017"Fake-News" jetzt noch diffuser

Der lange schon schwammige Begriff jetzt auch im Zusammenhang mit dem Weihnachts-Fernsehprogramm, dem jüngsten "Tatort" und mit der Frankfurter Buchmesse. Über den neuen Dominik-Graf-Film wird aber auch inhaltlich diskutiert. Außerdem: der Deutsche Cartoonpreis, die ARD-Audiothek und ein "Riesenklops". Ein Altpapier von Christian Bartels.

Das deutsche "Superwahljahr" (Anne Will) ist vorbei, und was immer man von den Ergebnissen, die noch viiiele Talkrunden mit Gesprächsstoff versorgen werden, hält - dass sog. Fake-News daran Mitschuld tragen, behauptet niemand. Gab es überhaupt welche?

Doch, schon. Ein hübsch harmloseses Beispiel für eine Allerwelts-Fake-News schilderte kürzlich, ein multipler Berater und Experte für was mit Internet, Felix Beilharz in seinem Blog felixbeilharz.de. Schon weil es um eine unbestreitbare Kernkompetenz des Altpapier-Auftraggebers MDR geht, um weihnachtliche "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel"-Ausstrahlungen, verdient es Erwähnung:

"Ich habe eine Fake News generiert, die von dutzenden Zeitungen und sogar Radio- und TV-Sendern online aufgegriffen wurde. Und dabei wusste ich davon nicht einmal etwas und hatte das auch nicht vor. Das Beispiel zeigt aber schön, wie solche Fake News entstehen können und welche Rolle schlampiger Journalismus dabei spielt",

schreibt Beilharz, der u.a. (vermutlich, weil sich so was dank Suchmaschinenoptimierung etwas lohnt) die Webseite weihnachtsfilme.de betreibt:

"Letztes Jahr haben wir eine solche Grafik für den beliebten Film 'Drei Haselnüsse für Aschenbrödel' erstellt. Wie es sich für einen ordentlichen SEO gehört, gibt es dazu natürlich auch eine passende Landingpage, in der die Grafik eingebunden war und die die Sendetermine zusätzlich als Text enthielt. Diese Landingpage hat gut bei Google gerankt, wurde letztes Jahr gut geshared, alles gut. Da das Thema ein Saisongeschäft ist, habe ich am 19.03.2017 die Landingpage etwas umgestellt und alle Nennungen von '2016' durch '2017' ausgetauscht. Ansonsten blieb die Landingpage unverändert. Mein Plan war, irgendwann im Oktober mal zu schauen, ob es schon neue Sendetermine gibt. Ich habe nicht damit gerechnet, dass jetzt schon jemand die Website findet und im Social Web teilt."

Der AutorChristian Bartels

Die noch alten Sendetermine mit neuer Jahreszahl wurden aber entdeckt und geteilt, auch von journalistischen Medien (Beilharz nennt u.a. "ze.tt (gehört zu ZEIT)". Schließlich zählt Konkurrenzbeobachtung und das Selber-Melden von allem Klickträchtigen, das andere melden, zu den onlinejournalistischen Grundprinzipien. Den ersten der "Aufklärungsartikel" unter der attraktiven Überschrift "Wirbel um Ausstrahlung von 'Drei Haselnüsse für Aschenbrödel'" lieferte dann, mit attraktivem Aschenbrödel-auf-Pferd-Szenenfoto, die Mitteldeutsche Zeitung aus der Dumont-Mediengruppe.


Bittere Pointe der Buchmessen-Berichte

Eine andere, frischere und weniger harmlose Fake-News dröselte als erstes wohl dbate.de auf, das vor allem video-basierte Portal des Dokumentaerfilmers Stephan Lamby. Es geht um Vorfälle auf der Frankfurter Buchmesse, die gestern bereits im Altpapierkorb vorkamen. Hendrik Holdmann schreibt (und zeigt mit Tweets und Onlinevideos):

"Zunächst hieß es, der DIE PARTEI-Politiker Nico Wehnemann sei von Nazis zusammengeschlagen worden. Dann verbreitete sich ein Video im Netz, das die Szenen ganz anders darstellt."

Hier scheint offensichtlich, dass der, äh, Politiker den sich schnell im Internet verbreitenden Bildern gerne seinen eigenen Dreh geben wollte und dabei davon profitierte, dass, äh, prominente Influencer eine Chance erkannten, sich durch frühzeitiges Teilen, also Weiter-Verbreiten preiswert gegen die von Wehnemann erwähnten "Nazis" engagieren zu können. Bloß hat's halt nicht gestimmt. Und wieder stiegen journalistische Onlinemedien ein. Dazu meedia.de, für das Stefan Winterbauer aus dem gleichen Material eine eigene Zusammenschau (unter der Überschrift "Von Nazis und Narzissten") kuratierte:

"Nachdem Wehnemanns Tweet von Leo Fischer zugespitzt und von Jan Böhmermann geteilt worden war, stiegen schnell Medien in die Berichterstattung ein. Allgemeiner Tenor: Politiker wurde von Nazis auf der Buchmesse zusammengeschlagen, während 'Sieg Heil'-Rufe skandiert wurden",

die es allerdings wohl nicht gegeben hat. Bittere Pointe: Die Weiterverbreitungs-Faktor der Meldung profitierte von einem attraktiven Bild, das tatsächlich von der Buchmesse stammt und auch meedia.de - attraktive Bilder sind halt attraktiv und visuell - zur Illustration seines Beitrags einsetzt. In dem Winterbauer durchaus schreibt:

"Bei der Berichterstattung macht unterdessen ein dpa-Bild die Runde, das einen kahlköpfigen Mann in schwarzem T-Shirt zeigt, der aggressiv mit dem Finger auf einen anderen zeigt. Der Mann, der auf den ersten Blick wirken könnte, wie ein rechter Aggressor, ist freilich ein Mitglied des antifaschistischen 'Black Bembel Block' der den 'rechten Verleger' Götz Kubitschek vom Antaios Verlag angeht."

Jetzt muss der Antifaschist wahrscheinlich ein paar Jahre lang damit klarkommen, bei jeder Gelegenheit in jedem Medium mit DPA-Zugang als attraktives Motiv zur Bebilderung vermeintlich aggressiver Rechter eingesetzt zu werden. Übrigens auch in den sog. Qualitätsmedien: "Auch die SZ publizierte zwischenzeitlich das Foto in Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Tumulte auf der Buchmesse", meldete sueddeutsche.de dann noch mal unter dem leicht verharmlosenden Vorspann-Spin "Es ist die alte Social-Media-Falle".

Wer sich beruflich mit Onlinejournalismus beschäftigt, könnte irgendwann ja auch erfahren genug sein, nicht in jede Social-Media-Falle reinzutappen, selbst wenn man sich parallel gegen etwas engagiert, was einem persönlich zu weit rechts ist.

Zwischenfazit: Bei "Fake-News" kann es sich um vieles handeln. Sowohl all das als natürlich auch der Vorwurf an jeweils gegnerische Seiten, Fake-News zu verbreiten, sind zu ganz normalen Mitteln im politischen Meinungskampf geworden. Und die Zeiten, in denen eher Linke automatisch besser und klüger mit solchen Mitteln umgingen, sind - falls es sie gegeben hat - erst mal vorbei.

Falls Sie noch Lust auf was Lustiges dazu haben: Gerade wurde der Deutsche Cartoonpreis vergeben, und im drittplatzierten, vielleicht sogar lustigsten Cartoon geht's auch um "alternative Fakten". (Am Rande: dass der Cartoonpreis-Jury ein "Director Business Development Visual Culture & Kinder- u. Jugendbuch" sowie ein "ehemaliger Humorchef" angehören, ist außerdem lustig).


Stefan Aust vs. Dominik Graf

Überdies schillert der Begriff "Fake-News" auch schön feuilletonisch, zumindest, wenn es nicht um die unmittelbare Gegenwart geht.

"Bilder statt Beweise - das hat einen Nachhall, klar. Aber sie bleiben Fake News in dem Sinne, dass sie eine Annahme als Gewissheit verkleiden",

wirft jedenfalls Joachim Huber (Tagesspiegel) lustvoll in die anschwellende Debatte um den jüngsten "Tatort" ein.

Falls Sie von der Aufregung um diesen Film von Dominik Graf gar nichts mitbekommen haben, etwa weil Sie sich um die Wahlsendungen davor und danach kümmerten [wie ich]: Auf den Stand bringt Michael Hanfeld in der FAZ. Energisch gegen den Regisseur und Co-Autor Graf argumentiert Stefan Aust, allerdings im kostenpflichtigen Sektor der Bild-Zeitung. Laut FAZ sagte er:

"Das ist RAF-Propaganda. Ich kann nicht verstehen, dass zur Hauptsendezeit im öffentlich-rechtlichen Fernsehen so ein gefährlicher Unsinn verbreitet werden kann",

und bezieht sich darauf, dass im Film Szenen enthalten sind, die die Ermordung der RAF-Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe im Stuttgart-Stammheimer Gefängnis durch staatliche Kräfte zeigen.

Frei online sprang die Bild-Zeitung Aust mit einem "Unerträglich"-Kommentar bei, der allerdings selbst nicht leicht erträgliche Gedankenspielchen ("Man stelle sich (vielleicht in zehn Jahren) einen 'Tatort' aus Leipzig vor ...") anstellt, um auf Aufregungshöhe zu kommen. Gegen diesen Kommentar und gegen Aust also springt Huber ("Doch, es gibt sie, diese Zweifel", nämlich "dass es Selbstmord gewesen sei". "Dass sie existieren, zeigt an, dass beileibe nicht nur rechte, sondern auch linke Verschwörungstheorien durch die Köpfe geistern") wiederum Dominik Graf bei.

Interessant ist ferner, dass Stefan Austs frühere Wirkungsstätten Spiegel und Welt offenbar wenig Lust auf solche Skandalisierung hatten. Dort besprachen Kritiker den Krimi, wie Kritiker eben Dominik-Graf-Filme besprechen ("furios überreizt" bzw. ein "'Tatort', wie es ihn nie gab. Wie es ihn häufiger geben sollte"). Weshalb es übrigens umso peinlicher ist, dass der SWR den Film für "den ersten Tatort von Dominik Graf" hielt statt für den vierten seit 1986 ...

Fazit: Schön, dass es mal wieder eine inhaltsgetriebene "Tatort"-Debatte gibt. Falls sie dazu beitragen sollte, dass der schwammige Begriff "Fake-News" nun so diffus wird, dass ihn ein paar Jahre lang niemand mehr benutzen mag, wäre das auch in Ordnung.


Viiiel mehr zum Hören

Falls Sie dazu lieber was hören statt lesen wollen: Deutschlandfunks "@mediasres" hat die "War das okay?"-Frage an Willi Winkler von der Süddeutschen Zeitung gestellt, der zwar wohl wenig Lust zum Quatschen hatte, aber auch mal ein RAF-Buch geschrieben. ...

Womit wir bei einer Verbesserung sind: Die "ARD-Audiothek"-App ("Die besten Wortinhalte aus den Hörfunkprogrammen der ARD und des Deutschlandradio") ist da, wie der Tagesspiegel meldet. Das heißt, Beta-Versionen lassen sich für Googles Android und Apples iOS runterladen.

"Neuen Ärger mit Zeitungsverlegern wie bei der App Tagesschau24 müssen ARD und Deutschlandradio wegen der Audiothek vermutlich nicht befürchten, denn auf presseähnliche Berichte wird verzichtet",

schreibt Kurt Sagatz, allerdings birgt dieser Schmelztiegel Internet natürlich Konfilktpotenzial an allen Ecken und Enden:

"Wenn überhaupt könnte sich die private Radio-Konkurrenz an der neuen App stoßen. Eine derart umfangreiche Sammlung kostenloser Audio-Inhalte hat es zuvor nicht gegeben, es besteht tatsächlich die Gefahr, dass sich Radio-Fans beim Stöbern in der App verlieren".


Altpapierkorb ("Riesenanstaltsklops", "ARD ohne Tagesschau", Mord in Malta, mehr Narzissten)

+++ Dazu gleich ein Nachtrag vom Freitag: der jüngste, inzwischen auch frei online verfügbare Hanfeld-Rant zum "Riesenanstaltsklops" des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ("Das wirtschaftliche Interesse von ARD, ZDF und Deutschlandradio besteht in der Eigenversorgung mit Spitzengehältern, Nebenleistungen (wir erinnern nur an die sendereigenen Tankstellen bei hr und ZDF) und eine Best-of-Rentenregelung, für deren Finanzierung in diesem Land alle, ob sie wollen oder nicht, zwangsweise herangezogen werden"). Es geht um die am Freitag hier erwähnte Rundfunkbeitrags-Erhöhungsforderung Annegret Kramp-Karrenbauers. +++

+++ Noch mal die Mitteldeutsche: Sachsen-Anhalts Staatskanzleichef Rainer Robra "will das 'Erste' in seiner jetzigen Form abschaffen" bzw. eine "ARD ohne 'Tagesschau'"!+++

+++ "A person was killed this afternoon in a blast that rocked a car in Bidnija, with sources saying it appeared the victim was journalist and blogger Daphne Caruana Galizia" (timesofmalta.com). +++ Der Journalistenmord im EU-Mitgliedsstaat Malta griff dann weit über die Insel hinaus, zumal Zusammenhänge zum Panama-Papers-Skandal naheliegen: "Galizia, 53, had spent the last year publishing stories about allegations of corruption involving Prime Minister Joseph Muscat and his closest allies. The story first came to light in the Panama Papers scandal", schreibt politico.eu, das Caruana Galizia 2016 als "one of 28 individuals who would have a major impact on Europe in 2017" einstufte. +++ Siehe auch SPON. +++

+++ Medienkommissar Hans-Peter Siebenhaar vom Handelsblatt befasst sich aktuell mal nicht mit ARD und ZDF, sondern mit der Wahl an seinem Standort Österreich: "Noch-Bundeskanzler Christian Kern ... sieht sich nun als Opfer der Boulevardmedien". Dabei habe er noch im Mai gesagt: "'Politik besteht heute zu 95 Prozent aus Inszenierung.' Das war auch das Mantra seiner überschaubaren Amtszeit." +++

+++ Der Begriff "Narzisst" tauchte in den letzten Jahren nicht sehr oft auf, aber heute gleich noch einmal: Der Fußball-Bundesligist Hertha BSC sei "selbstgerecht, eitel, narzisstisch", kommentiert SZ-Sportredakteur Philipp Selldorf, der vor allem ein "Konzept, das offenkundig in der Marketingabteilung des Klubs ausgearbeitet wurde oder auch - was Hertha aber bestreitet - in der Werbeagentur, die dem Verein zur Seite steht", kritisiert. +++ "Als Positionierung der Marke Hertha BSC war die Geste also erfolgreich, ganz so, wie es sich der 'Agenturpartner' des Vereins wohl auch vorgestellt hatte. Das aber auf Kosten ... der US-Sportler" (SPON). +++ Fairerweise muss hinzugefügt werden: Mit schönem Fußball hat die Hertha nix am Hut. +++

+++ "Es ist wie bei Gullivers Reisen. Da haben ja auch viele Akteure gemeinsam versucht, den Riesen zu bändigen. Beim Vorgehen gegen Google, Facebook und Co. ist das so ähnlich", sagt Verbraucherzentralen-Chef Klaus Müller im Tagespiegel-Interview. +++ Doch trotz des Erfolges gegen (Facebooks) Instagram, den die Verbraucherzentralen erzielten, sei es "für Jubel ... allerdings zu früh", findet netzpolitik.org. +++ Welchen Jubel? Den zalandoiden aus der VZBV-Pressemitteilung. +++

+++ Serkan Tolu, Mesales Sohn, ist eines von "594 Kinder, die derzeit in türkischen Gefängnissen sitzen müssen. Vom Säugling bis zum Sechsjährigen" (Welt). +++

+++ "Wir haben ein sehr gesundes Programm-Budget. Da wir es nicht veröffentlichen, ahnen die meisten nicht, wie viel Geld wir tatsächlich ins Programm stecken - nicht nur in die kostenintensiveren Genres wie Fiction oder Sport" (RTL-Programmgeschäftsführer Frank Hoffmann im - nicht frei online verfügbaren - Interview auf der SZ-Medienseite). +++ Über eigene Serien, die RTL inzwischen wieder in etwas größerem Ausmaß produziert, geht's auch in Wilfried Urbes taz-Bericht zur Fernsehmesse in Cannes. +++

+++ Der Sat.1-Film "Nicht mit uns! Der Silikon-Skandal" ist Thema der FAZ-Medienseite (Axel Weidemann: "Leider geht die Idee, das Thema in Form einer Art 'Dramödie' zu erzählen, entsetzlich schief"). +++ Sowie ein "wütender Brief ..., in dem sogar der Begriff 'globale Internet-Imperialisten' vorkommt", den ProSiebenSat1-Medienvorstand Conrad Albert an die EU schickte. Es geht um die Sat/Cab-Verordnung (siehe dieses Altpapier). +++

+++ Alexander Becker von meedia.de aus Hamburg hat mit Stephan Schäfer von Gruner + Jahr aus Hamburg ein E-Mail-Interview geführt, in dem Schäfer u.a. schrieb: "G+J wird von seinem neuen Zuhause in der Hafencity aus weiter der kreativste und innovativste Magazinverlag sein." +++

+++ Zu so einer Zeitschriften-fähigen "Kult-Blondine", wie Barbara Schöneberger sie für G+J darstellt, möchte der ebenfalls Hamburger Bauer-Verlag Daniela Katzenberger machen (horizont.net). +++

+++ Der Tagesspiegel hat den ehemaligen US-amerikanischen Botschafter John Kornblum zu einem neuen Berliner Radiosender interviewt, mit dem er etwas zu tun hat. +++

+++ Und ob "US-Unternehmen, die global agieren, all ihre Daten an US-Behörden weitergeben" müssen, was ungefähr sämtliche Internetnutzer der Welt betrifft, soll nun der Supreme Court entscheiden (Standard). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.