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Das Altpapier am 31. August 2022Für eine Zukunft ohne Angst

02. September 2022, 08:48 Uhr

Die Berichterstattung um zwei Führungskräfte des NDR in Schleswig-Holstein liefert wichtige Einblicke in die Binnen- und Machtverhältnisse in einem Landesfunkhaus, rückt aber auch schon länger virulente Grundsatzfragen in den Blick. Ein Altpapier von René Martens.

Wenn eine ehemalige Medienjournalistin im Zentrum eines Medienskandals steht

Vor zwei Wochen sendete das NDR-Medienmagazin "Zapp" eine Spezialausgabe unter dem Titel "Was nun, ARD? Der Fall Schlesinger und die Folgen", über die wir im Altpapier berichtet haben. Die Sendung ist eines der vielen Beispiele für die Bestrebungen der Öffentlich-Rechtlichen, über einen Skandal, der ihr gesamtes System betrifft, ausführlich zu berichten.

Heute steht schon wieder ein "Zapp Spezial" auf dem Programm, dieses Mal aber geht es unter dem Titel "Vorwürfe gegen den NDR: Wie geht es weiter?" um das eigene Haus, weil ausgelöst durch die Ent- und Verwicklungen beim RBB auch medienskandalträchtige Vorgänge beim NDR ans Licht gekommen sind. Wobei man natürlich betonen muss, dass es rein inhaltlich um etwas völlig anderes geht, nämlich um hausinterne Kritik an zwei Führungskräften des Landesfunkhauses Kiel, die nach Ansicht ihrer Kritikerinnen und Kritiker für eine "zu 'große Nähe‘ zur CDU-geführten Landesregierung" stehen, wie es hier am Montag hieß (im Altpapier von Donnerstag ging es auch schon um den Fall).

Exemplifiziert wird diese Kritik an der Daniel-Günther-unkritischen Berichterstattung des NDR Schleswig-Holstein rund um den Rücktritt des CDU-Politikers Hans-Joachim Grote vom Posten des Landesinnenministers am 28. April 2020. Er trat damals auf Drängen seines Parteifreundes Günther zurück (siehe dazu u.a. einen Überblicksartikel, den ich für die heutige SZ-Medienseite geschrieben habe).

Der eben genannte Politiker Grote ist - für Lesende, die mit der Politik in Norddeutschland weniger vertraut sind, sei es erwähnt - nicht zu verwechseln (oder verwandt) mit einem ebenfalls Grote heißenden Politiker, der durch das sogenannte Pimmelgate bundesweite Berühmtheit erlangte (mindestens). Dieser steht in Hamburg weiterhin an der Spitze jenes Ressorts, das sein Nachnamensvetter in Schleswig-Holstein bis April 2020 führte.

Bei den beiden von Redakteurinnen und Redakteuren des NDR kritisierten Führungskräften handelt es sich um Norbert Lorentzen, heute Chefredakteur des NDR für Schleswig-Holstein, zum Zeitpunkt des strittigen Umgangs in der Günther/Grote-Sache ebendort Leiter des Programmbereichs Fernsehen, und Julia Stein. Sie ist in Kiel Leiterin der Abteilung "Politik und Recherche" und zumindest branchenweit bekannter als Lorentzen: Stein war von 2015 bis 2021 Erste Vorsitzende des Netzwerks Recherche (und gehört dem Vorstand der Organisation als "kooptiertes" Mitglied weiterhin an). Sie ist zudem eines von sieben deutschen Mitgliedern des International Consortium of investigative journalists (ICIJ), das bei vielen globalen Großrecherchen der vergangenen Jahre eine zentrale Rolle spielte (siehe zum Beispiel dieses Altpapier). Oder, um mal kurz Wikipedia zu bemühen: "Zu den Aufgaben des ICIJ gehört die Aufdeckung von Machtmissbrauch, Korruption und Pflichtverletzung durch mächtige öffentliche und private Institutionen."

Nicht zuletzt gehört Stein zu den prägenden Figuren in der 20-jährigen Geschichte von "Zapp". Sieben Jahre lang war sie dort tätig, die meiste Zeit als Redaktionsleiterin. Das muss man natürlich erwähnen angesichts dessen, dass sich "Zapp" heute mit den "Vorwürfen gegen den NDR" beschäftigt (die ja zu einem maßgeblichen Teil Vorwürfe gegen Stein sind).

Die grundsätzlichen Aspekte des Kieler Falls

Über viele (teilweise komplizierte) Detailfragen zur Berichterstattung über einen Politikerrücktritt und zu den Binnen- und Machtverhältnissen in einem Landesfunkhaus hinaus geht es im Kieler NDR-Fall aber auch um viele grundsätzliche, den öffentlich-rechtlichen Journalismus (aber vielleicht auch nicht nur den öffentlich-rechtlichen) betreffende Fragen. Bei stern.de (€) zum Beispiel sagte neulich eine namentlich nicht genannte Person aus dem NDR:

"Redaktions- und Funkhausspitze wollen ihre gut dotierten Verträge behalten oder weiter vorankommen. Und deswegen wollen sie niemandem auf die Füße treten. Aber so ist kritischer Journalismus nicht möglich."

Solche Kritik haben Medienjournalistinnen und Medienjournalisten in ähnlichen Varianten schon öfter vernommen, nicht nur den NDR betreffend und auch zu Zeiten, als keine Skandale auf den Agenden standen.

Den aktuellen Konflikt in purer Form gibt es übrigens in diesem geleakten Dokument, das den 30-seitigen Untersuchungsbericht des NDR-Redaktionsausschusses aus dem Herbst 2021 und eine Art Nachwort des Gremiums aus dem Dezember enthält. Darin heißt es:

"Der Redaktionsausschuss hat in den vergangenen Wochen und Monaten viele Gespräche mit den Kolleginnen und Kollegen geführt. Es ist ein Alarmzeichen, dass sie nicht bereit sind, offen über diese Punkte zu sprechen. Immer wieder berichten sie von Angst und Konsequenzen (…) Es ist dringend geboten, dass die Situation und das Klima im Programmbereich Fernsehen des Landesfunkhauses Kiel aufgearbeitet wird (…)".

Am Ende klingt es wie eine Vision:

"Unser gemeinsames Ziel sollte es sein, dass Sorgen und Probleme nicht mehr anonym, sondern offen geäußert werden können und dass niemand Angst vor Konsequenzen haben muss."

Solche Überlegungen, wie sie der Redaktionsauschuss hier formuliert (er konnte natürlich nicht wissen, dass sie an die Öffentlichkeit gelangen würden zu einem Zeitpunkt, zu dem sich die Öffentlich-Rechtlichen mit einer Grundsatzdiskussion bisher unbekannten Ausmaßes konfrontiert sehen), sollten unbedingt einfließen in die aktuelle Debatte über die Zukunft von ARD und ZDF.

Volker hört die Signale

Bemerkenswert ist übrigens, dass, ähnlich wie die "Abendschau" des RBB in eigener Sache (Altpapier), auch das "Schleswig-Holstein-Magazin" des NDR (das mit der "Abendschau" entfernt vergleichbar ist) geradezu vorbildlich übers eigene Haus berichtet. Zum Beispiel am Dienstagabend in diesem Beitrag, in dem sich viele Landespolitiker zur Sache äußern, unter anderem der Ex-Medienmanager Berni "Sonnendeck" Buchholz.

Die zentrale Passage ist die mit dem Kieler Landesfunkhausdirektor Volker Thormählen:

"Wir haben ein Problem mit der Kultur, mit dem Klima und der Kommunikation hier bei uns im Haus. Das habe ich in Ansätzen gewusst, aber in der Dimension nicht richtig eingeschätzt. Das bedauere ich außerordentlich. Das weiß ich erst seit vergangenen Donnerstag, wo sich jetzt vieles Bahn bricht und viele Kolleginnen und Kollegen sich melden, die sich vorher nicht gemeldet haben. Und wir werden das jetzt sehr schnell angehen, weil wir müssen das sehr schnell angehen."

Mit diesem Teil-Mea-Culpa setzt er sich mindestens zwischen den Zeilen ab von Lorentzen und Stein, denen er hier die Verantwortung für das "Klima" zuschiebt, von dem er, Thormählen, nur "in Ansätzen" gewusst haben will.

Der Chef von dit Janze versucht also, seine eigene Haut zu retten. So etwas kennt man ja aus so vielen arbeits- und lebensweltlichen Bereichen.


Altpapierkorb (Bonussystemende, Wahlverschiebung, Großsendervision, Krise als Chance)

+++ Neues vom RBB: Der Verwaltungsrat hat das dubiose Bonussystem gekippt. Und: Die gestern hier für heute angekündigte Wahl einer Interimsintendantin oder eines Interimsintendanten für den RBB findet nun doch noch nicht statt. Einen neuen Termin gibt’s derzeit nicht (siehe "Süddeutsche").

+++ Die Linksfraktion in Sachsen-Anhalt wünscht sich einen ostdeutschen Großsender. "Die Welt" hat Details parat.

+++ Und die FAZ berichtet in ihrem Frankfurt-Teil über ein vom Hessischen Rundfunk mit seinem eigenen Intendanten Florian Hager geführtes und in der "Hessenschau" ausgestrahltes Interview, in dem dieser sich dazu äußerte, inwiefern er die gegenwärtige ÖRR-Krise als "Chance" sieht, "seine Agenda voranzutreiben". Zunächst war an dieser Stelle von einer "internen Veranstaltung des HR“ die Rede. Wir danken dem Leser Sohiel Partoshoar für den Hinweis.

Neues Altpapier gibt es wieder am Donnerstag.

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