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"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 10. Mai 2023Noch einmal anders

10. Mai 2023, 09:50 Uhr

Die "Tagesschau" trötet nun auch auf Mastodon. Wenn öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten sparen, löst das nicht nur Freude aus. Die Debatte über Regierungs-Honorare an Journalisten geht unter PR-Aspekten weiter. Und die über Zustellungsförderung erst recht. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

von Christian Bartels

Das Altpapier"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Was geht bei Mastodon?

Über Mastodon gibt es unterschiedliche Meinungen. Viele Menschen googlen halt, bekommen angezeigt, dass es sich um einen Hype handele, der seinen Höhepunkt schon überschritten habe, und vertreten dann diese Ansicht. Andere versuchen zu erklären, dass Mastodon etwas ziemlich anderes ist als andere Plattformen, zu denen es dennoch in Konkurrenz steht. Es ist das "wohl einzige soziale Medium, das vermutlich kein 'sog.' davor benötigt", schrieb ich im Januar hier. Die Zahl der aktiven Accounts sank nun wieder auf derzeit "rund 1,2 Millionen", zählt heise.de. Die Zahl der Instanzen – der Server, auf denen das dezentrale Netzwerk läuft – steigt dagegen. Gestern, indem "Tagesschau"-Sprecher Jens Riewa nonverbal, also Tröten-basiert trötete, startete das ARD-Leuchtturm-Flaggschiff "Tagesschau" seinen Mastodon-Auftritt. "Tröten" heißt auf Mastodon das, was auf anderen Plattformen auf deutsch (aber englisch betont) "posten" heißt, oder auf Twitter "twittern". Es gehe darum, erläutert die NDR-Pressemitteilung,

"... auf dem Microblogging-Dienst Mastodon Erfahrungen mit neuen, nutzerbetriebenen Plattformen [zu] sammeln. Das Experiment soll Erkenntnisse liefern, die auch in den Betrieb eigener ARD-weiter Digitalplattformen einfließen. Kai Gniffke, Vorsitzender ARD: 'Der Start der tagesschau auf Mastodon ist ein vielversprechender Ansatz, das Internet und Social Media noch einmal anders zu denken – stärker auf die Nutzerinnen und Nutzer fokussiert und weniger abhängig von amerikanischen oder chinesischen Tech-Konzernen. ...'"

Ob man die "Tagesschau" nun für solch einen Flaggschiff-Leuchtturm hält wie diese sich selbst oder von ihren nonlinear-digitalen Ausprägungen weniger überzeugt ist (wie z.B. ich) – das ist zweifellos ein wichtiger und richtiger Schritt, um eine breitere Öffentlichkeit mit den bei allen Nachteilen ebenfalls klar erkennbaren Vorzügen von Mastodon vertraut zu machen. Konkreteres über die ARD-Pläne mit der eigenen Instanz steht im heise.de-Artikel. Schon vor der ARD setzte das ZDF eine Mastodon-Instanz auf. Da erledigen dessen Distributionsredakteure ihren Job nun auch und machen etwa auf Royals-"Dokus" gespannt. Weitere, internationalere Akteure engagieren sich ebenfalls. Etwa der zumindest in Deutschland größte Konzern-unabhängige Browser Firefox, also die US-amerikanische Mozilla Foundation, meldet netzpolitik.org:

"Der Schritt ist bedeutend, weil Mozilla bei Browsern in Deutschland knapp 19 Prozent und weltweit etwa sechs Prozent Marktanteil hat und somit ein weiterer großer Player aktiv ins dezentrale Fediverse einsteigt. Das macht den großen zentralisierten Social-Media-Konzernen zunehmend Konkurrenz."

Etwas andersrum betrachtet, sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, dass öffentlich-rechtliche Anstalten, die junge Zielgruppen ja auch dazu animieren, sich bei Tiktok anzumelden (und also chinesischen Konzernen, die notwendigerweise ziemlich staatsnah sind, jede Menge Daten zur Verfügung zu stellen), "Alternativen zu den kommerziellen Plattformen" zumindest auch bespielen. Zu ihrem Tiktok-Start im Herbst '19 hatte die "Tagesschau" ein "heiteres Krawatten-Filmchen mit Jan Hofer" (Altpapier) produziert.

Wo der öffentlich-rechtliche Rundfunk spart

Sparen die Öffentlich-Rechtlichen in ausreichendem Ausmaß? Nur da, wo freie Mitarbeiter betroffen sind, und die zahlreichen Führungsetagen nicht? Sparen sie so, dass es kracht und eine Säule der Demokratie bedroht ist? Da gibt es je unterschiedlichere Ansichten, desto konkreter Sparpläne werden.

Zum Beispiel brachte der ARD-Vorsitzende Kai Gniffke geduldig und geschickt das Beispiel der "Arthrose in Bautzen", die sich von Arthrosen anderswo in Deutschland nicht so stark unterscheide, dass jede ARD-Mitgliedsanstalt für die eigenen Gesundheitssendungen eigene Filmbeiträge darüber drehen muss, in die Öffentlichkeit. (Als Altpapier-Überschrift diente dieses Beispiel auch schon mal). Nun will der besonders unter Geldnot leidende RBB die Idee in die Praxis umsetzen – und ab 2024 seine Gesundheitssendung "rbb Praxis" streichen.

Auch wenn die Redaktion als "Kompetenzzentrum ... weiter trimediale und vertiefende Gesundheitsthemen zuliefern" soll, führte der Plan dort zu "großer Bestürzung", schreibt der "Tagesspiegel". "Die Seniorinnen und Senioren" in Brandenburg und Berlin "möchten nicht von einer rheinischen Frohnatur über die fällige Therapie unterrichtet werden, sondern am liebsten von einer Charité-Koryphäe im Berliner Fernsehstudio", flankiert Joachim Huber. Und während die Ankündigung, dass der ARD-Anteil des "MiMa", also des gemeinsam mit dem ZDF gesendeten "Mittagsmagazins", vom RBB zum MDR übergehen wird, natürlich "in Leipzig schon ... gut an"-kam (wie Steffen Grimberg hier nebenan von den Medientagen Mitteldeutschland berichtete), löst er bei den betroffenen RBB-Mitarbeitern in Berlin genauso natürlich auch eher Bestürzung aus.

Und auf noch einen Move der ARD macht Huber im "Tsp." aufmerksam: Auf Youtube gibt es nun den Kanal "ARD GESUND". Dort wird man derzeit mit großer Freude begrüßt. Ganz neu ist der Kanal freilich nicht, wie die URL youtube.com/@ndrgesund noch andeutet. Der NDR benannte seinen Gesundheits-Kanal um. Außer Mastodon wertet er Googles Youtube also auch auf. Immerhin wird Patienten, die unter Psoriasis-Arthritis leiden, bereits geholfen.

Mehr Spar-Potenzial im Schnelldurchlauf: Lässt sich auf dem Intendantenposten beim RBB sparen? Wenn nun "50 Bewerbungen eingegangen" sind, wie ebenfalls der "Tagesspiegel" Springers "B.Z." entnahm, könnten es ja welche für weniger als 295.000 Euro im Jahr machen. Dass die amtierende Intendantin Katrin Vernau zwar weiter machen würde, sich aber nicht noch mal bewerben wollte, stand neulich schon hier. +++ Doch nicht so zum Sparen eignen sich Auslandsreisen der Nachrichtensendungen. Zwar schreibt die "SZ"-Medienseite heute von "medialen Muskelspielchen", wenn etwa "Tagesthemen" und "heute-journal" zu besonderen Anlässen aus dem Ausland senden. Doch zumindest Beispiele aus der Türkei, wo am Sonntag gewählt wird, haben Autor Harald Hordych überzeugt. +++ Ob die gern bemühte Erzählung, dass ARD und ZDF sich publizistischen Wettbewerb liefern, mitunter zutrifft, darüber ließe sich streiten. Wettbewerb liefern sie sich nun zumindest wieder beim Übertragen (deutscher) Fußball-Länderspiele, meldet digitalfernsehen.de. Dabei könnte die RTL auch alleine stemmen. +++ Über eine kostensenkende Maßnahme freut sich dann noch "epd medien", nämlich

"... dass die Unterstützung durch externe Expertise der Hamburger PR-Agentur Fischer-Appelt, welche die ehemaligen WDR-Sprecher Birand Bingül und Svenja Siegert einkaufte, um deren ARD-Expertenwissen wiederum als teure Beratungsleistung an den Senderverbund zurückzuverkaufen, Ende März auslief".

Wobei Ellen Nebel sich vor allem über die ARD-Pressestrategie ärgert, "die proaktive Kommunikation auf ... Pressemitteilungen" zu beschränken, die streng genommen schon zuvor (etwa von Kai Gniffke in seinen zahlreichen Interviews) verkündete Neuigkeiten nochmals bündeln, auf "direkten Austausch", also Fragen nach Presseauftritten, aber zu verzichten.

Die Debatte über Regierungs-Honorare geht weiter

Die Grenzen zwischen PR und Journalismus zerfließen sowieso. Ebenfalls in "epd medien" führt der Unternehmenskommunikations-Professor und "ehrenamtliche Vorsitzende des Deutschen Rats für Public Relations", Lars Rademacher, die von Volker Lilienthal an derselben Stelle angestoßene Diskussion (Altpapier) über Regierungs-Honorare an Journalisten fort. Unter der Überschrift "Wenn Journalisten zu PR-Beratern werden" beschreibt er die "Bredouillen", in die notwendig gerät, wer als Journalist solche Regierungs-Aufträge annimmt, und wirft etwa die Frage auf,

"die so mancher Journalist sicher ungern hören mag: Ist ein Journalist, der sich als Moderator für eine Veranstaltung einkaufen lässt, denn noch als Journalist tätig? Antwort: Das hängt davon ab! Es kommt auf die Vorgaben und das Ziel der Moderation an. Ist ein Journalist, der ein Medientraining mit einem Ministeriumsmitarbeiter durchführt, denn noch als Journalist tätig? Antwort: Auf gar keinen Fall! Natürlich wird er eingeladen wegen seiner journalistischen Erfahrung, seiner Fähigkeiten, seiner nachweislichen Kompetenz. Aber wer ein Regierungsmitglied oder eine Behördenleitung berät, macht ganz schlicht PR. ... Da wirkt der Satz des Netzwerks Recherche 'Journalisten machen keine PR' nur noch wie ein frommer Wunsch."

Wichtiger als die Namen zu entschlüsseln, die in den sukzessive veröffentlichten, langen Listen bekanntlich nicht genannt werden, sei eine künftige Regelung. Rademacher regt an, dass die Regierung und nachgeordneten Behörden "auf freiwilliger Basis ankündigen, Regierungsaufträge für Journalisten und Journalistinnen vom kommenden Jahr an in einem Jahresbericht mit Nennung von Namen und Beträgen zu veröffentlichen."

Die insgesamt aus durchschaubaren Gründen ohnehin geringe Medien-Berichterstattung über solche Regierungs-Honorare ist inzwischen abgeebbt, auch weil die größten Summen und längsten Listen ja schon bekannt sind und nurmehr noch kleinere Summen nachkommen. Es kommen aber weiter welche nach. Hier etwa (PDF-Download) veröffentlichte kürzlich der baden-württembergische Landtag, auf eine AfD-Anfrage hin, so eine Liste.

Greiz bleibt nicht allein (Zeitungszustellung)

Teile des großen, aber nicht gerade einwohnerstarken Landkreises Greiz in Thüringen genießen gerade größere Aufmerksamkeit als "Modellregion" (Altpapier). Dort bekommen Abonnenten seit Mai keine gedruckte Zeitung mehr zugestellt, auch wenn sie dafür bezahlen wollen würden.

Um die Frage, ob die vor allem in großen ländlichen Gebieten teure Zeitungszustellung nun endlich jene Bundes-Subventionen bekommen sollte, die eigentlich schon während (und auch wegen) Corona zugesagt waren, kreist eine schwierige Debatte. Schwierig vor allem deswegen, weil sich in der Bundesregierung niemand mehr damit befassen möchte.

Am Dienstag verkomplizierte per Gastbeitrag in der "FAZ" Philipp Welte die Debatte noch weiter – nicht in seiner Eigenschaft als Burda-Vorstand, sondern als der des MVFP, also Medienverbands der freien Presse (bei dem es sich um die vormals als Zeitschriftenverleger-Verband VDZ bekanntere Interessenvertretung handelt). Außer öfter erscheinenden Zeitungen müssten auch seltener erscheinende Zeitschriften gefördert werden, argumentierte er:

"Wenn die Regierung in Berlin nun nur Zeitungen finanziell unterstützen würde, Zeitschriften aber ihrem Schicksal überließe, wäre dies nicht nur ein ordnungspolitischer Irrweg, sondern ein gefährlicher Eingriff in die freie Presse."

Und ärgerte sich besonders über einen von SPD-Politikern, allerdings von  Bundesländer-Ebene, verfassten vorherigen "FAZ"-Beitrag, indem oft von Zeitungen, aber gar nicht von Zeitschriften die Rede ist. Tagesaktuell kommt nun die erste Ankündigung, dass der Landkreis Greiz nicht allein bleiben wird. Ab Oktober gesellt sich die Prignitz im Westen Brandenburgs zu ihm:

"Der Prignitz-Kurier wird die erste rein digitale Lokalausgabe der Märkischen Allgemeinen Zeitung (MAZ) und soll sich zum beispielgebenden Zukunftsmodell auch für andere Regionen Deutschlands entwickeln. In seiner gedruckten Version wird der Prignitz-Kurier nicht mehr zugestellt",

teilt Madsack mit und bemüht sich dermaßen um konstruktiv klingendes Wording ("Zukunftsregion für digitalen Regionaljournalismus"), dass die Pressemitteilung fast schon wie ein erster Antrag auf Fördermittel klingt. Was womöglich wiederum damit zusammenhängt, dass der mit knapp einem Viertel relativ größte Eigentümer der dynamischen (und mit seiner Hauptstadtbüro-Leiterin in vielen Talkshows vertretenen) Madsack-Mediengruppe ja die SPD ist.


Altpapierkorb (RAI-Chefposten, DJV-Austritt, Hamburger Blätterwald, Diekmann bei Bertelsmann, Bankiers-Tagebuch, Harald Welzer)

+++ "Auch öffentlich-rechtliche Anstalten sind Instrumente des Einflusses. Sie transportieren und bekräftigen die in Politik und Gesellschaft gerade vorherrschenden Gedanken und Gefühle", schreibt die "FAZ" nicht mit Bezug auf ARD und ZDF, sondern auf die RAI. In Italien führt die rechtsstehende Meloni-Regierung die Gepflogenheit fort, den Anstalts-Chefposten nach eigenem Gusto neu zu besetzen. Und hat für den nun zurückgetretenen Vorstandsvorsitzenden Carlo Fuortes zuvor einen Posten als Opern-Intendant freigeräumt, wie er ihn vor seiner RAI-Zeit schon bekleidet hatte. Am Rande: Könnte man sich vorstellen, dass hierzulande jemand vom Opern- zum Rundfunkanstalten-Intendant wird? +++

+++ Der Deutsche Journalisten-Verband DJV "hat seine Mitgliedschaft in der Internationalen Journalisten-Föderation gekündigt", schreibt die "taz" und zitiert "Intransparenz", "undemokratisches Verhalten" sowie "finanziellen Unstimmigkeiten" als Gründe für diesen Schritt, den Journalistenverbände aus Finnland, Norwegen, Dänemark und Island auch schon gingen. Wer nicht mitzog: die andere größere deutsche Journalistengewerkschaft dju/Verdi, die "die Gründe für den Austritt nicht nachvollziehen" kann. Um ein IFJ-Antwortschreiben "in salopp formuliertem und mit Schreibfehlern gespicktem Englisch" geht es dann auch noch. +++

+++ Zu den vielfältigen Meldungen, dass nach Springers Klage nun staatsanwaltschaftlich gegen Julian Reichelt ermittelt wird, passt auch die, dass der "Stern" erwägt, dem Reichelt-kritischen Bericht des "Spiegel", der einen Nannen-Bambi, pardon: Stern-Preis oder so was gewann, diesen zu entziehen. Siehe bei kress.de. Wie auch immer: Ein bisschen Rivalität kann dem Hamburger Rest-Blätterwald nur gut tun. +++

+++ Das gerade viel vorabgedruckte Kai-Diekmann-Buch erschien übrigens nicht bei Holtzbrincks Kiwi (wie "Noch wach?"), sondern bei Bertelsmann. So zeigt sich nun "auch der Justiziar der publizierenden Verlagsgruppe Penguin Random House ... Rainer Dresen, ... gelassen" ob von Helmut Kohls Sohn Walter dagegen angekündigter rechtlicher Schritte ("Tagesspiegel"). +++

+++ Eine spannende Darf-man-aus-privaten-Mitteilungen-zitieren-Frage verhandelte der Bundesgerichtshof gerade mündlich. Da geht es um "Tagebücher des früheren Warburg-Bankers Olearius", die im auch Bundeskanzler Scholz betreffenden Cum-Ex-Skandal eine Rolle spielen, sowie die "Süddeutsche". Die "FAZ" berichtet. +++

+++ Voriges Jahr oft im Altpapier, zuletzt in einem unserer Rückblicke erwähnt wurde Harald Welzer, weil er mit Richard David Precht ein "bauchgefühlsstarkes Buch" schrieb. Inzwischen liegt die damals fehlende, dann angekündigte "Inhaltsanalyse der Berichterstattung zum Ukraine-Krieg" vor. "Datenjonglage", ärgert sich Andrej Reisin bei uebermedien.de. "In einem Punkt trifft Harald Welzer voll ins Schwarze", findet "Telepolis". +++

Das nächste Altpapier schreibt am Donnerstag Annika Schneider.

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