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"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 17. August 2023Prekäres Leben

17. August 2023, 11:01 Uhr

Die Zukunft des "Missy Magazines" ist langfristig noch nicht gesichert. Ob es die Zeitschrift "Art" weiter geben wird, ist auch ungewiss. Sicher dagegen: Das Magazin "Beef!" erscheint im Herbst zum letzten Mal. Und in Frankfurt fordern Redakteure mehr Geld. Heute kommentiert René Martens die Medienberichterstattung.

von René Martens

Das Altpapier"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Unerträgliche Arbeitsbedingungen bei der FR?

Am Mittwoch haben wir hier gerade erst eine antirassistische Selbstverpflichtung der Redaktion der "Frankfurter Rundschau" gewürdigt, heute dagegen müssen wir einen Blick in die finstere Innenwelt des Hauses werfen.

Diese wird jedenfalls beschrieben in einem Offenen Brief des Aktivenausschusses der "Frankfurter Rundschau", laut Selbstauskunft "ein Gremium der Belegschaft, das die Tarifverhandlungen mit Öffentlichkeitsarbeit begleitet". Gerichtet ist der Brief an die eigene Geschäftsführung. Anlass der Veröffentlichung: die nächste Tarifverhandlungsrunde am kommenden Dienstag.

"Diese Verhandlungen entscheiden unserer Ansicht nach auch über die Zukunft der Frankfurter Rundschau",

schreibt der Aktivenausschuss unter anderem. Seine Forderung: "die Rückkehr in den Tarifvertrag". Eine der Begründungen:

"Viele Kolleg:innen verdienen so wenig, dass die Lebenshaltungskosten im Rhein-Main-Gebiet für sie nicht mehr zu stemmen sind (…) Mit großem Bedauern haben wir in den letzten Monaten und Jahren vielversprechende Talente und altgediente Redakteur:innen die Rundschau verlassen sehen, weil sie die Arbeitsbedingungen nicht mehr ertragen konnten. Offene Stellen werden oft nicht nachbesetzt, die Arbeitsbelastung für die verbliebenen Beschäftigten steigt immer weiter an."

Zu den Medien, die den Offenen Brief aufgreifen, gehört das Stadtmagazin "Journal Frankfurt", und den Text dort hat Katja Thorwarth verfasst, die zu jenen "altgedienten Redakteur:innen" gehört, die die FR erst in diesem Jahr verlassen haben. Ein entsprechender Hinweis fehlt beim "Journal" allerdings.

Wie auch immer: Im Offenen Brief heißt es weiter, der Ippen-Konzern rühme sich

"für sein großes Netzwerk an Redaktionen und Verlagen und nutzt Synergien zwischen den einzelnen Betrieben, vornehmlich um Personal einzusparen. Statt die Vielfalt in der Presselandschaft zu erhalten, wird sie schleichend abgebaut, Inhalte werden vervielfältigt und dadurch journalistische Perspektiven und Meinungen zentralisiert".

Zentralisierte Meinungen, höhere Arbeitsbelastung - das gilt ja nicht nur für Ippens Laden, sondern auch für andere Player in Regionaljournalismusgeschäft. Was aber Ippen-spezifisch sein könnte:

"Redaktionen werden gegeneinander ausgespielt, es soll ein permanenter Konkurrenzkampf um finanzielle Mittel und personelle Ressourcen herrschen."

Die maue Lage linker Medien

Die WoZ aus Zürich beschäftigt sich in ihrer neuen Ausgabe mit den finanziellen Problemen des linken feministischen Magazins "Missy" - wie in der vergangenen Woche bereits das ND, dem es selbst ja auch nicht gut geht. Silvia Süess schreibt:

"(Im) Juli schlug die Redaktion Alarm (und) lancierte (…) eine Rettungskampagne. Höhere Produktions-, Druck- und Vertriebskosten sowie die steigende Miete bringen das Magazin in finanzielle Nöte."

Die "Missy"-Co-Chefredakteurin Nelli Tügel wird dazu wie folgt zitiert:

"Einerseits gibt es weniger Neuabonnent:innen, dazu kommen andererseits Kündigungen von bestehenden Abonnent:innen, die sich das Abo nicht mehr leisten können."

Dennoch:  

"Die Rettungskampagne trug Früchte: Innerhalb von nur zwei Tagen fand das Magazin 1500 neue Abonnent:innen – die Produktionen der nächsten Ausgaben sind gesichert, doch nicht das langfristige Weiterbestehen."

Andererseits: Die "Missy" hat eine sehr respektable Auflage von 30.000 Exemplaren. Wie mag es da erst linken Printobjekten gehen, deren Auflage sich im vierstelligen Bereich bewegt?

Zur generellen Lage im Segment von "Missy" schreibt WoZ-Redakteurin Süess:

"(Sie) kämpft mit denselben Problemen wie viele andere kleine linke Medien im deutschsprachigen Raum – während gleichzeitig neue rechte Medienplattformen gegründet werden, wie zum Beispiel 'Nius' (…), getragen von Großfinanciers."

In der vergangenen Woche hat Michael Bittner diesen Aspekt bereits in seiner Kolumne für Mission Lifeline aufgegriffen:

"Es scheint fast, als gäbe es gar kein linkes Medium mehr, das nicht am Abgrund stünde. Dass es in Deutschland eine Zeitungskrise gibt, ist keine Neuigkeit. Dazu kommen derzeit noch Rezession und Inflation. Linke Medien trifft all dies härter, verfügen sie doch nicht über reiche Werbekunden, Anteilseigner oder Gönner, die in Zeiten der Dürre Scheine regnen lassen könnten."

RTL hat sich verkalkuliert

Wohlhabende Fleischesser sind offenbar eine sehr seltsame Spezies - jedenfalls, wenn man als Maßstab nimmt, was die "Süddeutsche" heute über die Zeitschrift "Beef!" aus dem Nachlass von Gruner + Jahr schreibt:

"Im Beef!-eigenen Shop gibt es teure Küchengeräte für mehrere Hundert Euro, darunter einen Wurstbefüller und einen Fleischwolf, ebenso wie Fleisch-Reifekühlschränke, für die vierstellige Preise aufgerufen werden."

Allerdings gibt es den Shop mit den "Fleisch-Reifekühlschränken" (was immer das sein mag) wohl nicht mehr lange, weil das Heft zum Shop im Oktober zum letzten Mal erscheint. Anders als vom RTL-Konzern erwartet, hat sich kein Käufer finden lassen.

Was Anna Ernst, die inoffizielle G+J-Beauftragte der SZ, außerdem erfahren hat: Dass der "Spiegel" nun doch nicht das Magazin "Art" kaufen möchte, weil der Mitarbeiter-KG "der Preis, den RTL (…) aufgerufen habe, (…) zu hoch" gewesen sein soll. Und dass der von wem auch immer als Interessent für "Art" ins Spiel gebrachte Zeit-Verlag die Kunstzeitschrift auch nicht kaufen will.

"Das sagt ja sogar ein Araber"

Sheila Mysorekar, die Vorsitzende des Netzwers Neue Deutsche Organisationen, widmet sich in ihrer ND-Kolumne einem trüben Subgenre des Expertenwesens: dem Integrationsexperten. Unter Verweis auf ein Zitat des Sozialwissenschaftlers Cihan Sinanoğlu ("Deutschland liebt seine sogenannten Integrationsexperten, weil diese beim Entlasten, Verschieben und Ignorieren helfen") schreibt sie:

"Wenn bezüglich sozialer Konflikte ein arabischer Experte sagt, Muslime seien kulturell bedingt gewalttätig und frauenfeindlich, dann braucht man sich keine Gedanken mehr zu machen, ob dies fragwürdig ist. Denn 'das sagt ja sogar ein Araber‘. Diese 'Experten’ dienen zur psychologischen Entlastung: auf diese Weise kann der Vorwurf des Rassismus leicht abgeschmettert werden. Der Fehlschluss besteht darin anzunehmen, dass jemand mit türkischem oder arabischem Hintergrund nicht rassistisch sein könne, auch nicht gegenüber seiner eigenen Community. Doch, das kann man durchaus. Und von diesen Leuten gibt es einige: Necla Kelek, Seyran Ateş, Hamed Abdel-Samad, und vorneweg natürlich Ahmad Mansour."

Solche Experten, so Mysorekar weiter, dienten als "Zeugen der Anklage". Inwiefern?

"Sie bestätigen die bereits vorhandenen Vorurteile in der deutschen Gesellschaft, aber ihnen als Türk*innen oder Araber*innen, die ja 'ihre eigenen Landsleute am besten kennen' wird mehr Glaubwürdigkeit zuerkannt. Dies ist ein Geschäftsmodell, mit dem sich diese selbsternannten Expert*innen einen festen Platz in deutschen Talkshows und auf den Bestsellerlisten sichern."


Altpapierkorb (Masterarbeit über "Aufregezeichen", Gedanken einer afghanischen Journalistin zum Jahrestag der erneuten Machtübernahme der Taliban, Kritik an Türkei-Reisewarnung des DJV)

+++ "Der Spiegel" hat mit dem Germanisten Simon Schwarzkopf über seine Masterarbeit "Danke Merkel!!!1!! – Das Aufregezeichen in der politischen Anschlusskommunikation" gesprochen. Auslöser für das Interview könnte ein Thread gewesen sein, den am Dienstag der Politikberater Martin Fuchs zu Schwarzkopfs Arbeit veröffentlicht hat.

+++ "The best way to protect the lives of Afghan people is to protect journalists. If we want to know what’s happening there, we need to help journalists continue their work" - das schreibt Soraya Amiri anlässlich des zweiten Jahrestags der erneuten Machtübernahme durch die Taliban für "The Walrus", ein gemeinnütziges kanadisches Medienprojekt. Amiri, die in Afganistan fünf Jahre lang als TV-Journalistin arbeitete, war im August 2021 nach Kanada geflohen.

+++ Dass der DJV seinen Mitgliedern gerade geraten hat, weder privat noch beruflich in die Türkei zu reisen (Altpapier), sieht Barış Altıntaş im "Freitag" kritisch: "Die Frage ist (…), ob der DJV überreagiert. Man müsse zwischen einzelnen politischen Vorfällen und dem breiteren Klima für internationale Journalist*innen im Land unterscheiden, betonte der Präsident der Foreign Media Association (Vereinigung ausländischer Medien, FMA) in der Türkei, Chris Feiland. Es könne durch politische Aussagen zu Spannungen kommen, aber das bedeute kein generelles Risiko für alle Journalist*innen."

Das Altpapier am Freitag schreibt Ralf Heimann.

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